Militäraktion gegen Libyen

Interview in der Badischen Zeitung, 23. Februar 2011

Wie geht es weiter mit der Militäraktion gegen Libyen? Welche Absicht verfolgte der UN-Sicherheitsrat und was bedeutet die Enthaltung der Bundesregierung im Bündnis und in Europa? Antworten von Gernot Erler.

Mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD und außenpolitischen Experten, Gernot Erler (66), hat Thomas Fricker gesprochen.

BZ: Herr Erler, die von Frankreich, Großbritannien und den USA angeführte Koalition bombardiert nun schon den dritten Tag Stellungen Gaddafis. Dessen Luftabwehr soll inzwischen weitgehend ausgeschaltet, die Flugverbotszone eingerichtet sein. Rechnen Sie mit einem baldigen Ende des Einsatzes?

Erler: Das Ziel, die brutalen Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Aufständischen zu beenden, ist weitgehend erreicht. Die Katastrophe in Bengasi ist abgewendet worden. Im Sinn des eigentlichen Mandates der UNO nähert man sich also der Erfüllung des Auftrags.

BZ: Umso mehr drängt die Frage, wie es weitergehen soll.

Erler: Wir haben tatsächlich das Problem, dass die wichtigen Akteure des Einsatzes, aber auch der deutsche Außenminister, ständig öffentlich das Ende der Herrschaft Gaddafis fordern, ohne dass dies Teil des UN-Mandates ist. Das ist problematisch, weil es Erwartungen weckt, die durch den UN-Beschluss nicht gedeckt sind.

BZ: Angenommen, man verzichtet auf den Sturz Gaddafis. Muss man dann die libysche Opposition nicht permanent militärisch schützen, weil sonst deren Verfolgung aufs Neue beginnt? Erler: Ich glaube schon, dass die Einrichtung der Flugverbotszone und die Beschädigung der militärischen Logistik Gaddafis sich als ausreichender Schutz vor neuen Massakern erweisen werden. Die Schwierigkeit wird sein, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass diese Militäraktion allein Gaddafi nicht entmachten wird. Das wird eher das Produkt eines längerfristigeren Prozesses sein mit verschiedenen Sanktionen.

BZ: Was überwiegt mit Blick auf diese Entwicklung bei Ihnen: Verständnis für die Skepsis der Bundesregierung gegenüber der Militäraktion oder aber Ärger über die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat, die ja als Ausscheren aus der Bündnissolidarität gedeutet wird?

Erler: Wenige Tage nach dieser Entscheidung in New York schauen wir bei der deutschen Politik auf einen Scherbenhaufen. Die europäische Gemeinsamkeit ist in Frage gestellt worden, und das traditionell hohe Ansehen Deutschlands in der arabischen Welt hat schweren Schaden genommen. Insofern ist die Bilanz aus deutscher Sicht verheerend.

BZ: War die Enthaltung falsch?

Erler: Ich glaube, dass es sich bei der Entscheidung im Sicherheitsrat letzten Endes um die Frage handelte, ob Bengasi ein neues Fanal für das Weltgewissen werden würde, wie das mit den Namen Ruanda und Srebrenica verbunden ist. (Dem Völkermord in Ruanda im Frühling und Sommer 1994 fielen bis zu eine Million Menschen zum Opfer, das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 gilt als schlimmstes Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. In beiden Fällen griffen weder UN-Blauhelm-Soldaten noch andere internationale Truppen ein; die Red.) Ich selber bin mir immer über das Problem und das Risiko militärischer Aktionen zur Erreichung politischer Ziele bewusst. Aber hier glaube ich, dass eine Grenzabwägung von der Bundesregierung falsch getroffen worden ist.

BZ: Hat Ihre eigene Partei da nicht auch Schwierigkeiten? Von SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier, früher immerhin Außenminister, war zum Beispiel nur Verständnis für die Entscheidung der Regierung zu hören.

Erler: Ich glaube, keine der Parteien, in denen es unterschiedliche Auffassungen gibt - und dazu gehören auch CDU und Grüne - muss sich dafür entschuldigen, wenn es um die paar Prozent in einer Abwägung geht, die entweder für oder gegen eine solche weitreichende Maßnahme sprechen. Ich finde, dass diese Unterschiede eher auf eine Gewissenhaftigkeit der Prüfung in einer schwierigen Entscheidung hindeuten.

BZ: Diese Gewissenhaftigkeit der Prüfung billigen Sie der Regierung nicht zu?

Erler: Doch, natürlich. Aber letztlich muss man sagen, dass das Ergebnis mit deutschen Interessen schwer vereinbar ist.

BZ: Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat sich ebenfalls in die Debatte eingeschaltet und einen massiven Schaden für Europa und die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik diagnostiziert. Zurecht?

Erler: Ja, das bereitet mir große Sorge. Deutschland war bisher einer der Hauptakteure einer gemeinsamen europäischen Verantwortungsgemeinschaft und hat sich jetzt nicht nur von dem traditionellen Partner Frankreich abgesetzt, sondern sich auch ins gefährliche Gewässer einer deutschen Sonderrolle begeben. Eine Entwicklung, vor der übrigens in der Vergangenheit auch die Kollegen von CDU/CSU immer gewarnt haben.

BZ: Und die Ihr Parteifreund und früherer Kanzler Gerhard Schröder beim Nein zum Irakkrieg 2003 vermieden hat, weil er die Riege der Kriegsgegner damals gemeinsam mit Frankreich anführte . . .

Erler: Das war der entscheidende Unterschied, weshalb man da von einer Sonderrolle nicht sprechen konnte, obwohl das die damalige Opposition natürlich getan hat.