Ungarn gefährdet vor Ratspräsidentschaft Pressefreiheit im eigenen Land – Fragen an Frau Merkel

Pressemitteilung, 21. Dezember 2010

Zur Verabschiedung des neuen Mediengesetzes im ungarischen Parlament erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Wenige Tage vor Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft hat die Zweidrittel-Regierungsmehrheit im Budapester Parlament eine Mediengesetzgebung zum Abschluss gebracht, die Kritiker als Einstieg in eine offene Pressezensur bezeichnen.

Künftig wird in Ungarn eine Medienbehörde (NMHH) alle Sender, Zeitungen und Online-Portale kontrollieren. Die Präsidentin dieses Kontrollorgans, die von Premierminister Viktor Orbán persönlich benannte Ex-Journalistin Annamaria Szalai, hat ebenso das Parteibuch der Regierungspartei wie die weiteren Mitglieder der Behörde sowie die Mehrheit des begleitenden Medienrats.

Frau Szalai, auf neun Jahre verpflichtet, kann Verordnungen und Vorschriften erlassen, kann entscheiden, was "Ausgewogenheit" oder "Informationspflicht" bedeutet und kann Bußgelder bis zu 730.000 Euro gegen einzelne Medien verhängen (sofort zahlbar) - und das alles ohne jede parlamentarische Kontrolle.

"Allein die Möglichkeiten der Einschränkungen der Pressefreiheit, die das neue Gesetz enthält, werden zur Selbstzensur, Denunziation und vorauseilendem Gehorsam führen, Gift für kritische Medien. Darin liegt wohl auch sein Sinn." So urteilt Marco Schicker, Chefredakteur der ungarischen Zeitung "Pester Lloyd".

Die neue ungarische "Medienverfassung", auch von dem OSZE-Repräsentanten für die Freiheit der Medien Karol Jakubowicz scharf kritisiert, überschattet den Beginn der ungarischen EU-Präsidentschaft. In seinem eigenen Land, so scheint es, glaubt Viktor Orbán sich alles leisten zu können - in der Europäischen Union wird das zu Recht auf kritische Beobachtung stoßen.

Die Regierungspartei FIDESZ gehört zur konservativen EU-Parteienfamilie EVP, genauso wie die Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie und die CDU/CSU haben beim FIDESZ-Wahltriumpf im April nach Kräften mit geholfen. Das hat Mitverantwortung zur Folge. Frau Bundeskanzlerin, was gedenken Sie jetzt zu tun, wo Ihr Parteifreund Orbán jetzt die EU-Präsidentschaft antritt, mit einer Quasiabschaffung der Pressefreiheit im eigenen Land im Handgepäck?