Erler: Wir setzen Präsident Karsai unter Druck

Interview mit der Frankfurter Rundschau, 9. Dezember 2010

Sozialdemokrat Gernot Erler über den Rückzug aus Afghanistan, verschiedene Zieldaten und die Linie der SPD

FR: Herr Erler, US-Präsident Barack Obama hat angekündigt, die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan im kommenden Jahr reduzieren zu wollen. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) peilt dagegen das Jahr 2012 an. Verstehen Sie diesen Unterschied?

Erler: Mir ist das ganz und gar schleierhaft. Westerwelle hat am 10. Februar im Bundestag erklärt, Ende 2011 wolle man so weit sein, das Bundeswehr-Kontingent verringern zu können. Jetzt spricht er von 2012, ohne zu erklären, weshalb er seine Haltung verändert hat. Das ist ein kompletter Widerspruch zu den Erfolgsmeldungen, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von sich gibt. Der sagt, die Pläne bei der Ausbildung von afghanischen Soldaten und Polizisten seien übererfüllt worden. Ich verstehe nicht, warum die Verkleinerung unseres Kontingents verschoben werden soll.

FR: Welche Bedingungen stellt die SPD für die Verlängerung des Afghanistan-Mandats?

Erler: Ich werde mich in der Fraktion dafür aussprechen, den Beginn der Verkleinerung des deutschen Kontingents noch im Jahr 2011 zur Conditio sine qua non für die Zustimmung der SPD zu machen.

FR: Das heißt?

Erler: Wenn die Regierung Wert auf die Zustimmung der SPD legt, sollte sie klipp und klar zusagen, das Bundeswehr-Kontingent schon im nächsten Jahr zu verkleinern.

FR: Halten Sie den Plan des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai für realistisch, bis Ende 2014 in Afghanistan selbst für Ruhe und Ordnung sorgen zu können?

Erler: Die ganze Welt ist ein bisschen frustriert über die vielen Ankündigungen Karsais. Für uns ist es besonders wichtig, dem Präsidenten deutlich zu machen, dass wir es mit der Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte ernst meinen. Wir setzen damit Karsai unter Druck, besser zu regieren als bisher.

FR: Aber selbst der Isaf-Oberkommandeur David Petraeus bezweifelt, dass die Zielmarke 2014 zu halten ist.

Erler: Präsident Obama hat sich exakt festgelegt: Im Juli 2011 wird es die ersten Reduzierungen amerikanischer Kräfte in Afghanistan geben. Es ist lange bekannt, dass Petraeus andere Ansichten hat und sich mit Obamas Ankündigung nie anfreunden konnte.

FR: Eine Umfrage unter Afghanen hat ergeben, dass die deutschen Soldaten im Norden des Landes immer weniger gelitten sind. Ist die Schlussfolgerung daraus, so schnell wie möglich abzuziehen?

Erler: Ich ziehe die Schlussfolgerung so nicht. Die Bundesregierung muss jetzt aber endlich einen konkreten Fahrplan für die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen sowie für den Beginn des Rückzugs der Bundeswehr vorlegen und sich vor allem an ihre eigenen Zusagen halten.

FR: Wenn die SPD dem Afghanistan-Mandat nicht zustimmen sollte, könnten das die deutschen Soldaten in Afghanistan, die viel Wert auf Rückendeckung durch den Bundestag legen, als Misstrauensvotum werten.

Erler: Ich sehe nicht uns in Erklärungsnot, sondern die Regierung. Ihr Außenminister hatte sich auf das Jahr 2011 festgelegt und will nun nichts mehr davon wissen.

Interview: Damir Fras