Historikerstudie zur NS-Vergangenheit des Auswärtiges Amtes

Das „SWR2 Tagesgespräch" vom 28. Oktober 2010

Ex-Staatsminister Erler (SPD): Kein Andenken mehr an braune Diplomaten im Auswärtigen Amt

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion , Gernot Erler (SPD), hält es für notwendig, dass die Fotos von belasteten Diplomaten aus der Nazizeit von den Ahnengalerien im Auswärtigen Amt entfernt werden. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, der bis 2009 dort Staatsminister war, diese Überprüfung ergebe sich als eine Konsequenz aus der neuen Historikerstudie über die NS-Verstrickung des Außenministeriums. Im Augenblick sei es immer noch so, dass an den Wänden jeder Abteilung in chronologischer Reihenfolge „mechanisch nebeneinander gehängt" deren ehemalige Leiter abgebildet seien. Die Ergebnisse der Historikerstudie sollten im Übrigen auch in die Diplomatenausbildung einfließen, regte Erler an. Gegenüber voran gegangenen Arbeiten zu diesem Thema zeigten die neuen Befunde durchaus eine „neue Qualität", weil sie detailreich nachwiesen, dass viele Berufsdiplomaten entgegen ihrem Selbstbild „ganz aktiv besonders bei der sogenannten Endlösung der Judenfrage in Europa" mitgewirkt hätten.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Das Auswärtige Amt, zur Nazizeit tief verstrickt in die Verbrechen des Regimes und nach dem Krieg Hochburg der alten Kameraden sozusagen, das ist der Kernbefund dieser Studie, die heute offiziell vorgestellt wird. Aber so richtig neu ist deren Grundbotschaft ja wirklich nicht, oder denken Sie, dass die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in nennenswerter Weise umgeschrieben werden muss jetzt?

Erler: Nein, diese Studie, dieses Buch stützt sich ja auch auf sehr viele Einzeluntersuchungen die vorher schon stattgefunden haben, aber in der Dichte, in der das jetzt zusammengetragen worden ist, ergibt sich doch eine neue Qualität, auch eine, die einen schon erschreckt, wenn man das liest, weil doch in der Zusammentragung der Einzelfakten auch über das Verhalten von einzelnen Personen, was sehr ausführlich in diesem Band „Das Amt und die Vergangenheit" zusammenkommt, doch ein anderes Bild entsteht, als das man bisher im Kopf hatte. Eben ein Bild davon, dass die Berufsdiplomaten, anders als sie es gerne auch nach dem Krieg dargestellt haben, tiefer verstrickt waren, mehr engagiert waren, auch ganz aktiv besonders bei der sogenannten Endlösung der Judenfrage in Europa, und das ist eine neue Qualität.

Geissler: Bundeskanzler Adenauer hat 1952 gesagt, er sei zwar nicht glücklich mit der personellen Kontinuität im Außenamt, aber er müsse sich an das rheinische Sprichwort halten: dreckiges Wasser darf man nicht wegeschütten, wenn man kein reines Wasser hat. Ab wann, denken Sie, war denn so viel Nachwuchs herangezogen im Auswärtigen Amt, dass man die Altlasten hätte abschütteln können?

Erler: Also, der Schnitt hat nicht stattgefunden, was die alten Spezialisten anging, und das war allerdings keine Besonderheit im Auswärtigen Amt. Das hat es zum Beispiel in der deutschen Justiz auch gegeben, das hat es an den anderen Ministerien auch gegeben, das heißt, man hat einfach nach dem ganz formalen Akt der Entnazifizierung - und da haben ja auch Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt durchaus vor Gericht gestanden - danach hat man eben einfach auf die ausgebildeten Kräfte zurückgegriffen, und dass natürlich ein Mangel überhaupt an einsatzfähigen Männern und Frauen bestanden hat nach dem Krieg, das ergibt sich ja schon aus der Zeitgeschichte.

Geissler: Ihr Fraktionschef Steinmeier hat es als betrübliches Kapitel bezeichnet, dass Willy Brandt, als Außenminister Ende der 60er Jahre nicht durchgegriffen habe, sozusagen. Nur, mit welcher Begründung hätte Brandt das denn machen sollen, unter einem CDU-Bundeskanzler Kiesinger, der ja selber mal Mitglied der Nazi-Partei war und hoher Funktionär beim Reichsaußenminister Ribbentrop. Haben Sie das Herrn Steinmeier mal gefragt?

Erler: Also ich glaube, es ist völlig nachvollziehbar, dass man ganz objektiv bedauert, dass man mit der Vergangenheit, auch mit dieser Zeit nicht anders umgegangen ist. Aber gerade das, was 1966, zu Beginn der großen Koalition stattfand, das war schon ein ganz schwieriger Kompromiss. Man muss sich noch mal überlegen, Sie haben Kiesinger schon erwähnt, auf der anderen Seite war Willy Brandt ja damals unter öffentlichem Beschuss, als jemand, der von der rechten Seite als Vaterlandsverräter bezeichnet wurde, der ins Exil gegangen war, der von draußen auch versucht hat zu kämpfen gegen das Naziregime. Wir hatte damals einen Herbert Wehner, der Minister wurde, der sogar mal Mitglied der kommunistischen Partei gewesen ist, und es war so ein Grundgedanke von Kompromiss und Versöhnung, der zu Beginn der großen Koalition dort die Atmosphäre bestimmte. Und in dieser Phase waren wahrscheinlich die Rahmenbedingen für eine Klärung dieser Vergangenheit besonders schlecht.

Geissler: Jenseits dieser Geschichtsschreibung, ganz kurz noch: kann man praktische Konsequenzen ziehen aus dieser Studie für die Zukunft?

Erler: Ja natürlich, man muss das und ich denke, dass auf jeden Fall diese Überprüfung der Ahnengalerien, an denen ich auch 4 Jahre vorbei gegangen bin im Auswärtigen Amt, vollzogen werden muss. Jetzt hat man wirklich auch die Möglichkeiten mit dieser Veröffentlichung, da etwas genauer hinzuschauen.

Geissler: Da sind die Bilder von den Ex-Braunen Diplomaten auch.

Erler: Ja, in jeder Abteilung, in jedem Referat hängt praktisch, was die Leiter angeht, so eine Art Ahnengalerie, und da wird einfach mechanisch nebeneinander gehängt, wer dort irgendwann Verantwortung getragen hat. Ich denke, das macht Sinn, das ist jetzt überfällig, das zu tun und es wird sicher auch zu überlegen sein, in welcher Weise jetzt die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit auch in die Diplomaten-Ausbildung einfließen muss und ich rechne damit auch, dass ein solche Konsequenz gezogen ist, wobei ich bedaure, dass diese Praxis der Ehrung im Februar geändert worden ist und man nicht auf das Ergebnis dieses Berichtes gewartet hat.