Afghanistan: Erfolgsdruck unter neuer Führung

Pressemitteilung, 24. Juni 2010 

Zur Entlassung des Afghanistan-Oberkommandierenden General McChrystal durch Präsident Obama erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Präsident Obama hatte keine Wahl. Ein Kommandeur, der einen Artikel wie den in "Rolling Stone" nicht verhindert, zeigt tatsächlich "schlechtes Urteilsvermögen". Wer aber die Verantwortung für mehr als 100.000 Soldaten im Einsatz trägt, braucht ein sicheres Urteilsvermögen. Eine Hinnahme der herablassenden bis beleidigenden Zitate aus der Umgebung McChrystals über die Washingtoner Führung hätte die Autorität des Präsidenten, um die Obama bei der Tragödie im Golf von Mexiko sowieso ringen muss, definitiv beschädigt.

Obamas Bedauern über den notwendigen Personalwechsel klingt überzeugend. Das ganze kommt zum schlechtest möglichen Zeitpunkt. Die neue Afghanistan Strategie, mit dem Namen McChrystal eng verbunden, steht gerade in einer ernsten Bewährungsprobe. Der Juni 2009 ist mit bisher 80 Toten der verlustreichste Monat der NATO in Afghanistan   und er ist noch nicht einmal zu Ende. McChrystal musste vor zwei Wochen die geplante große Kandahar-Offensive verschieben. Erste Zweifel an Obamas ambitionierten Zeitplan für Erfolg und Rückzug aus Afghanistan kommen auch in der Heimat auf.

Der amerikanische Präsident handelt in dieser Druck-Situation umsichtig: mit der Ernennung des erfahrenen und mit Erfolgen verbundenen Generals David Petraeus und mit der klaren Devise "Personalwechsel, aber kein Politikwechsel". Man kann sich schwer vorstellen, dass der noch eher junge Neuansatz in Afghanistan erneut infrage gestellt wird.

Ohne den dabei in den Vordergrund gestellten Schutz der Zivilbevölkerung, die Zurückhaltung bei Luftangriffen und die starke Priorisierung der Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten hätte der internationale Afghanistaneinsatz noch mehr Akzeptanzprobleme in den 44 Ländern, die sich an ihm beteiligen - und die sind ohnehin erheblich. McChrystal sollte der Petraeus Afghanistans werden. Jetzt muss Petraeus selbst den Strategiewechsel vor Ort zum Erfolg führen.