Scheitern verboten

Interview im Rheinischen Merkur, 8. April 2010

Verteidigungsexperte Gernot Erler hält einen Truppenabzug ab 2011 noch immer für möglich. Seine Partei steht fest zum Einsatz am Hindukusch, wenn die Strategie wie geplant verändert wird.

Rheinischer Merkur: Die ehemalige EKD-Chefin Margot Käßmann beklagte vor kurzem: Nichts ist gut in Afghanistan. Hat der Tod der drei deutschen Soldaten ihr recht gegeben?

Gernot Erler: Die Tragödie bestätigt, was bekannt war: dass es in der Nordprovinz, wo Deutschland die Kommandogewalt hat, sehr unterschiedliche Situationen gibt. In der Region Char Darah greifen Talibanverbände an. Das hat zu den schweren Verlusten am Karfreitag geführt.

RM: Wie gefährlich ist die Lage für die Soldaten wirklich?

Erler: Seit zwei Jahren nimmt die Zahl der Anschläge und Selbstmordattentate zu. Obwohl es bei diesen Gewalttaten noch immer geografische Unterschiede gibt, hat sich die Lage auch für die Bundeswehr deutlich erschwert.

RM: Also herrscht dort Krieg, wie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg es nun nennt?

Erler: Er geht bis an die Grenze dessen, was man sagen kann. Er betont ausdrücklich, man könne umgangssprachlich von Krieg sprechen. Diese Wortwahl ist rein völkerrechtlich und von dem deutschen Mandat her problematisch, obwohl sie den Erfahrungen der Soldaten sehr nahe kommt.

RM: Ist das auch Ihre Wortwahl?

Erler: Ich rede in meinen Veranstaltungen auch vom Afghanistankrieg.

RM: Welche politischen Schlüsse ziehen Sie aus dem Tod der Soldaten?

Erler: Es gilt umzusetzen, was wir beschlossen haben. Wir müssen uns auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren, mehr in die zivile Infrastruktur investieren und von Präsident Karsai eine bessere Regierungsführung einfordern. Das sind die drei entscheidenden Momente, um bis spätestens 2015 die Verantwortung voll in afghanische Hände legen zu können. Was in den vergangenen Tagen passiert ist, bestätigt eher, dass dieser Weg richtig ist.

RM: Sollten die deutschen Soldaten auch Taliban angreifen?

Erler: Wir stehen an einem Wendepunkt. Es geht nicht darum, das Gefecht mit den Taliban und ihren Verbündeten zu suchen. Das war zum Teil die bisherige Vorgehensweise der internationalen Gemeinschaft - mit wenig überzeugenden Ergebnissen. Zum Kern der neuen US-Strategie gehört der Schutz der Bevölkerung vor Aufständischen. Dazu müssen sich die deutschen Soldaten und ihre Verbündeten weniger durch Streifendienste, sondern vielmehr stärker in der Fläche präsent zeigen.

RM: Einige Gebiete sind aber in Händen von Aufständischen. Wie wollen Sie diese zurückgewinnen, wenn nicht durch eine Offensive?

Erler: Ich schließe ja aktives Handeln gegen die Taliban nicht aus. Aber Ziel darf nicht sein, durch Kämpfe möglichst viele Taliban zu töten. Ziel muss sein, die Drangsalierung der Menschen durch die Taliban zu unterbinden. Das kann im Einzelfall mit militärischen Auseinandersetzungen einhergehen.

RM: Sind unsere Soldaten dafür gut genug ausgerüstet und ausgebildet?

Erler: Ich würde erwarten, dass wir dazu ein Wort des Verteidigungsministers hören. Es sind Klagen und unterschiedliche Angaben über fehlende Aufklärungskapazitäten und Kampfhubschrauber zu hören. Eigentlich ist es Aufgabe der Bundeswehrführung und des Verteidigungsministeriums zu erklären, ob es Mängel gibt oder nicht. Hier ins Blaue hinein zu diskutieren halte ich für wenig zielführend.

RM: Die SPD will im nächsten Jahr mit dem Abzug der deutschen Soldaten beginnen. Gleichzeitig wird die Lage in Afghanistan aber immer schlechter. Wie passt das zusammen?

Erler: Die Sicherheitslage ist sehr unterschiedlich. Es gibt vergleichsweise sichere Gebiete, in denen der friedliche Aufbau vorangeht. Dort kann man sich durchaus vorstellen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte bald die Verantwortung übernehmen. Das soll nicht mit einem Schlag geschehen, sondern Distrikt für Distrikt. Einhergehen muss dieser Prozess mit einer stärkeren und besseren Ausbildung der afghanischen Soldaten und Polizisten.

RM: Darum bemüht man sich seit längerem - mit wenig Erfolg. Warum soll in wenigen Monaten gelingen, was seit Jahren nicht funktioniert?

Erler: Das erfordert in der Tat eine koordinierte Anstrengung der 44 Staaten, die sich in Afghanistan engagieren. Immerhin hat die Bundesregierung eine Anregung der SPD aufgegriffen und beschlossen, die Zahl der deutschen Ausbilder von 280 auf 1400 zu verfünffachen. Das muss so schnell wie möglich umgesetzt werden. Erst dann können wir beurteilen, ob unsere Ziele realistisch sind.

RM: Glauben Sie wirklich, dass die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2011 das Gewaltmonopol zurückgewinnen können?

Erler: Schon seit 2007 sind die afghanischen Sicherheitskräfte für den Raum Kabul zuständig. Mit dem Effekt, dass dort die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle eindeutig gesunken ist. Was dort funktioniert, wird natürlich nicht mit einem Schlag im ganzen Land klappen, aber doch schrittweise.

RM: Aber was wollen Sie tun, wenn die Lage 2011 instabiler als heute ist?

Erler: Es ist kein guter Rat, zu Beginn einer veränderten Strategie darüber zu spekulieren, was man tut, wenn der Plan fehlschlägt. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft ohne Erfolg abzieht. Am Horizont stünde ein äußerst blutiger Bürgerkrieg und ein Übergreifen des Konflikts auf Pakistan. Jede Spekulation über ein Scheitern verbietet sich angesichts dieser Vorstellung.

RM: Mit jedem toten deutschen Soldaten wächst die Kritik am Afghanistaneinsatz. Wie lange steht die SPD noch zu ihm?

Erler: Die SPD steht fest zu dem Afghanistaneinsatz, wenn er so verändert wird, wie ich es dargelegt habe.

Das Gespräch führte Jan Kuhlmann.