Bundeswehr in Afghanistan

Staatsminister warnt vor Rückzugsdebatte von Joachim Zepelin. Interview in der Financial Times, 20. August 2009

Gernot Erler, einer der wichtigsten deutschen Außenpolitiker, appelliert an die Parteien, nicht in einen "Wettbewerb einzusteigen, wer die deutschen Truppen als Erster nach Hause holt". Seiner Meinung nach würde das Deutschland international enorm beschädigen.

FTD Herr Erler, sehen Sie Unterschiede zwischen den Koalitionsparteien beim Thema Afghanistan?

Erler Ich würde eher den breiten Konsens unterstreichen. Den sollte man auch im Bundestagswahlkampf nicht infrage stellen. Ich bin nicht glücklich über die Äußerungen von Volker Rühe und anderen, die jetzt eine Diskussion anzetteln, wann dieser Einsatz beendet werden kann. Forderungen nach einem abstrakten Exit-Datum arbeiten den Taliban in die Hände, die dann sehen, dass man hier die öffentliche Meinung beeinflussen kann.

FTD Sehen Sie die Gefahr, dass der Konsens verloren gehen könnte?

Erler Die Versuchung ist offensichtlich zu groß, so zu tun, als ob man das nicht alles gemeinsam beschlossen hat. Jetzt in einen Wettbewerb einzusteigen, wer die deutschen Truppen als Erster nach Hause holt, ist nicht seriös. Das wäre das Ende der Anerkennung Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft, wenn wir als erstes wichtiges Land den Konsens brechen würden. Solche Äußerungen sind bedauerlich, weil sie indirekt eine Fernwirkung der Brutalität des Vorgehens der Taliban sind. Das ist genau deren Kalkül.

FTD Soll man also gar nicht über Exit-Strategien reden?

Erler Ja, das ist falsch, weil man dann nicht ohne ein Datum auskommt. Anders ist es mit der Diskussion über Konzepte und Kräfte.

FTD Aber muss man nicht darüber sprechen, gerade weil die Bevölkerung den Einsatz ablehnt?

Erler Afghanistan ist kein Entscheidungsthema im Wahlkampf. Wenn es ein zentrales Thema wäre, bin ich sicher, dass man die Bürgerinnen und Bürger vom Sinn und Zweck des deutschen Engagements überzeugen könnte.

FTD Isaf-Kommandeur Stanley McCrystal wird bald eine Ausdehnung des Einsatzes fordern. Was kommt auf Deutschland zu?

Erler Ich bin davon überzeugt, dass es gute Gründe dafür gibt, dass die Bundesrepublik nicht der erste Adressat sein wird. Wir sind drittgrößter Truppensteller und liegen auch bei den zivilen Anstrengungen weit vorn. Auch was Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr im Süden angeht, hat sich die Lage durch die verschärfte Sicherheitslage im Norden doch deutlich verändert.

FTD Muss Deutschland sein Mandat nach den Wahlen anpassen?

Erler Das lässt sich von heute aus schwer sagen. Es könnte ja sein, dass es nach den Wahlen in Afghanistan zu einer relativen Beruhigung kommt. Erst dann wird man Entscheidungen darüber treffen können, welche Kapazitäten man braucht.