Erler: Jeder kann einen humanitären Beitrag leisten

8. Juli 2009, Reutlinger General-Anzeiger 

TÜBINGEN. Das große Schwungrad zu einem dauerhaften Frieden auf der Welt wird nicht nur am Tisch der ganz Mächtigen gedreht. Jeder Einzelne kann einen humanitären Beitrag leisten. Und je mehr Menschen sich auf den unterschiedlichsten Ebenen für ein bisschen mehr Menschlichkeit engagieren, umso besser. Gernot Erler, SPD-Politiker und Staatsminister im Außenamt, lässt bei seinem Vortrag an der Universität Tübingen keinen Zweifel daran, dass nach vielen Jahren des Rüstungswettlaufs ein Paradigmenwechsel notwendig war, denn die gigantischen Militärausgaben haben keinerlei Garantie für einen Weltfrieden geboten.

Wäre es anders, die Menschen müssten sich rund um den Globus friedlich in den Armen liegen. Konflikte vermeiden helfen, regionale Hilfe leisten, ziviles Engagement für und mit benachteiligten Menschen - das sind für Erler die Grundlagen für jenes anzusteuernde Fernziel, das er in seinem neuen Buch als »Mission Weltfrieden« ins Auge gefasst hat.

Nur ein paar Dutzend Interessierte sind ihm in das »Audimax« der Universität gefolgt und verfolgen gebannt, wie er den Bogen von einem historischen Rückblick und den Lehren des Zweiten Weltkriegs über die deutsche Außenpolitik und den Erfahrungen in der Praxis bis zu einer komplett neuen Aufgabenstellung der Friedenspolitik spannt, die sich schließlich Schritt für Schritt dem Weltfrieden als Zielvorgabe nähern sollen.

Gernot Erler ist bekennender Friedenspolitiker. Seine Lehre hierfür hat der gebürtige Berliner in der Friedensbewegung gemacht. Im Außenministerium ist er einer der wichtigsten Mitarbeiter von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er könnte gültige Sätze über Afghanistan formulieren. Er könnte eine Stegreif-Rede über den Iran halten oder die Bedingungen eines Friedens im Nahen Osten ins Visier nehmen. Als Russland-Experte, der auch russisch spricht, könnte er zu einem möglicherweise unmittelbar bevorstehenden neuen Kapitel des Verhältnisses zwischen den USA und Russland sprechen oder - Erler hat neben Politik und Geschichte auch slawische Sprachen studiert - etwas Verbindliches zum brüchigen Frieden auf dem Balkan sagen. Doch wer darauf gewartet hat, wird enttäuscht. Erler redet an diesem Abend lieber über die Notwendigkeit einer »neuen politischen Kultur«.

Der 65-Jährige, der seit 1987 für die SPD im Bundestag sitzt, sieht die Voraussetzung für einen globalen Frieden im wechselseitigen Respekt der Menschen und der Völker. In dieser Konsequenz und in der Bündelung zahlreicher vorangegangener Fehler forderte er immer wieder eine neue Politik: »Wir brauchen einen Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen der westlichen Welt und dem Islam« - schöner hätte es Imanuel Kant auch nicht formulieren können.

Mit Barak Obama als US-Präsident bewege sich die Weltmacht Amerika dabei »in die richtige Richtung«. Der Seitenhieb auf dessen Vorgänger George W. Bush und der unausgegorenen amerikanischen Irak-Mission sitzt und Erler entsagt sich eine Lobeshymne auf Altkanzler Gerhard Schröder, der den USA für eine gemeinsame Sache im Irak die Gefolgschaft verweigerte. Viel lieber formuliert der Außenpolitiker eine neue Sicherheitsstrategie und bezieht sich dabei auf Beschlüsse der Europäischen Union. »Aktive Menschenrechtspolitik kann Konflikte verhindern«, betont Erler. Deshalb macht er sich für mehr Entwicklungszusammenarbeit stark und will die Aufgaben der Vereinten Nationen weiter aufwerten.

Im Kern, so Erler, laufe diese Strategie darauf hinaus, dass »die Prävention der Intervention vorzuziehen ist«. Und wenn es nicht gelinge, eine gerechtere Weltordnung zu schaffen, sei Sicherheit nicht möglich. Diese »europäische Grundüberzeugung« stehe noch immer in einem Spannungsverhältnis zur amerikanischen Administration. Für Erler hat ein Satz Gültigkeit, der schon von Willy Brandt formuliert wurde: »Der Dialog der Kulturen ist das beste Argument.« (GEA)