Erler: Aufnahme von Uiguren aus Guantanamo vor der Bundestagswahl "unwahrscheinlich"

8. Juli 2009

Gernot Erler, SPD, Staatsminister im Auswärtigen Amt im „SWR2 Tagesgespräch“ mit Rudolf Geissler 

Baden-Baden: Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), rechnet nicht damit, dass die Bundesregierung in nächster Zeit doch noch uigurischen Gefangenen aus Guantanamo Zuflucht in Deutschland gewähren könnte. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler auf die Frage, ob so ein Zeichen aktueller Solidarität mit den Uiguren in China denkbarsei, er halte eine Entscheidung noch vor der Bundestagswahl für „unwahrscheinlich". Allerdings werde der Umgang mit dieser Volksgruppe in China auf dem G8-Gipfel in L´Aquila zur Sprache kommen. Die vorzeitige Rückreise des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao ändere nichts daran, dass die Pekinger Delegation auf dem Gipfeltreffen mit den „gleichen Mahnungen" rechnen müsse, die es „damals in der Tibet-Katastrophe" gegeben habe, sagte Erler. Ursache der aktuellen Unruhen sei die fragwürdige Stellung der Uiguren in der chinesischen Gesellschaft. 

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Bundeskanzlerin Merkel sagt, das entscheidende Forum für die Zukunft der Welt ist immer weniger die G8, die Gruppe der acht führenden Industrienationen. Es ist die Gruppe der 20, also inklusive der Schwellenländer China etwa, Indien oder Brasilien.Wenn das so ist, warum dann noch dieser 35. G8-Gipfel heute. Warum nicht gleich die paar Wochen noch abwarten bis zum nächsten Treffen der G20?

Erler: Also, erst mal hat natürlich so ein Format ein Beharrungsvermögen. Sie haben ja schon die Zahl genannt, wie oft da schon Treffen stattgefunden haben. Und so etwas schafft sich nicht gerne selber ab. Aber auf der anderen Seite nutzt man eigentlich im Augenblick jede Möglichkeit von internationalen Treffen von wichtigen Staaten, um in dieser Wirtschaft- und Finanzkrise auch zu versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden. Und das wird jetzt auch bei diesem Treffen in L' Aquila im Vordergrund stehen. 

Geissler: Wie werden sich denn die Industrienationen auf die Schwellenländer zu bewegen, auf diesem Gipfel, womit rechnen Sie?

Erler: Also, zunächst einmal sind die ja auch wieder dabei. Schwellenländer, mit denen wird natürlich hauptsächlich das Klimathema im Fordergrund stehen. Und da scheint es ja in den Vorbereitungen auch einen gewissen Fortschritt gegeben zu haben.

Geissler: Die deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik hat gestern sozusagen aus Erfahrung vorhergesagt, es wird vage Absichtserklärungen geben, bei denen sehr fraglich ist, ob sie jemals umgesetzt werden. Was gibt Ihnen Grund zur Annahme, dass es diesmal anders wird als bei anderen Gipfeln in der Vergangenheit?

Erler: Also, wünschenswert wäre es schon. Und gerade bei der Klimafrage könnte es sein, dass doch etwas hängen bleibt von diesem Gipfel, denn im Vorfeld scheint es gelungen zu sein, diese fünf Schwellenländer, die regelmäßig in diesem Format 8 plus 5 eingeladen werden, dazu zu bringen, dass sie ein bestimmtes Ziel akzeptiert haben, nämlich dieses Ziel, was auch von der Wissenschaft immer wieder unterstützt wird, dass wir bis Mitte dieses Jahrhunderts den CO2-Ausstoß weltweit halbieren, also bis 2050. Bisher war das sehr schwierig, die Schwellenländer davon zu überzeugen. Die haben immer gesagt: „Na Ihr seid gut Ihr klassischen Industrieländer, Ihr habt Jahrhunderte lang die Natur ausgebeutet, Ihr seid dabei reich geworden, jetzt kommen wir auf einen starken Entwicklungspfad, jetzt wollen wir unseren Wohlstand erhöhen und jetzt erzählt Ihr uns irgend etwas von Klimagefahren". Das ist eine typische Konstellation bisher gewesen. Und wenn es gelingt, vielleicht auf diesem Gipfel tatsächlich die Schwellenländer auf dieses Ziel zu verpflichten, dann wäre das ein konkreter Fortschritt.

Geissler: Nur unter diesen Schwellenländern, die für den Klimaschutz gewonnen werden müssen, sind Länder wie etwa China, deren Führungen gleichzeitig ins Gewissen geredet werden soll, damit sie mehr auf die Menschenrechte achten. Was wird da dem Westen, der Bundesregierung im Zweifel wichtiger sein: Pekings Beitrag zum Weltklima oder mehr Freiheitsrechte in China?

Erler: Man muss das nicht gegeneinander ausspielen, es gibt ja auch eben diese Ebene auf diesem Treffen, wo es auch über internationale Fragen geht. Zweifellos durch die aktuellen blutigen Ereignisse in Sinkiang wird natürlich das Thema Uiguren und die Art und Weise, wie Peking hier auf diese Ereignisse dort reagiert, und die Gefährlichkeit der Zusammenstöße dort zur Sprache kommt. Gut, also Hu Jintao ist nicht mehr da, aber die chinesische Delegation ist ja da. Und man kann davon ausgehen, dass hier auch noch mal die gleichen Mahnungen, die damals in der Tibet-Katastrophe ausgesandt wurden, nämlich, dass man möglichst vor allen Dingen an die Ursachen dieses Konflikts herangeht und das ist ja letzten Endes die Frage, welche Stellung die Uiguren in der chinesischen Gesellschaft haben.

Geissler: Bisher allerdings konnte eigentlich nicht der Eindruck entstehen, dass die Bundesregierung besonderes Interesse daran hätte, den Uiguren zumindest dort zu Hilfe zu kommen, wo sie es könnte. Sie hat es ja bisher abgelehnt, die jetzt noch 13 Uiguren, die unschuldig in Guantanamo sitzen und nicht mehr nach China können, hier in Deutschland aufzunehmen. Wäre das nicht ein Signal der ganz praktischen Solidarität, da jetzt umzudenken und diesem Dutzend Leute hier Zuflucht zu gewähren?

Erler: Also Sie wissen, dass diese Frage innerhalb der Bundesregierung sehr umstritten gewesen ist und es dazu auch sehr verschiedene Aussagen gegeben hat. Aber ich würde doch vorschlagen, dass man diese beiden Themen nicht völlig miteinander vermischt. Es ist richtig, dass in Guantanamo auch Uiguren eingesessen sind und dass die Frage jetzt zunächst einmal geklärt scheint. Es gibt ja einen Inselstaat im Pazifik, der bereit ist, die Uiguren da aufzunehmen.

Geissler: Palau aber die Uiguren wollen dort nicht hin, nicht? 

Erler: Ja, aber wir müssen natürlich warten, was jetzt die amerikanischen Erwartungen an die deutsche Regierung, was Guantanamo angeht, weiter sind. Das wissen wir im Augenblick noch nicht so genau, was da weiter von uns erwartet wird. Aber ich meine, das Thema der Uiguren-Minderheit in China, in Westchina, ist ein sehr viel umfassenderes als das also von einigen Gefangenen, ob die da zu Recht oder zu Unrecht festgehalten worden sind.

Geissler: Ich verstehe Sie richtig, Sie rechnen nicht damit, dass es doch noch zur Aufnahme von Uiguren aus Guantanamo in Deutschland kommt?

Erler: Ich glaube nicht, dass in den nächsten Wochen, wo wir hier Bundestags-Wahlkampf haben, da eine Entscheidung getroffen wird. Das halte ich eher für unwahrscheinlich.