Erler gegen Sanktionen gegen Weißrussland. Interview im Deutschlandfunk, 20. März 2006

Erler gegen Sanktionen gegen Weißrussland

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), hat Sanktionen gegen Weißrussland abgelehnt. Diese träfen immer die Falschen. Vielmehr müsse die EU die weißrussische Opposition unterstützen. Mit dem Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch gebe es in Minsk zum ersten Mal einen Herausforderer des Präsidenten Alexander Lukaschenko, der sich nicht einschüchtern lasse, sagte Erler.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann

Dirk-Oliver Heckmann: Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Heckmann!

Heckmann: Herr Erler, was folgt aus all dem, was wir eben gehört haben? Muss Europa tatenlos zusehen, wie sich ein Diktator an der Macht hält und die Menschen unterdrückt mitten in Europa?

Erler: Das tut Europa schon seit längerer Zeit nicht. Es gibt eine deutliche Unterstützung der Oppositionsparteien und auch besonders des Kandidaten Alexander Milinkewitsch, der ja, wie wir eben noch mal eindrucksvoll gehört haben, nicht erst am Wahltag, sondern dessen Arbeit vor allen Dingen im Vorfeld massiv behindert worden ist. Es gibt bis hin zur Visaverweigerung Maßnahmen gegen Verantwortliche in der Regierung von Lukaschenko, die ja auch für das Verschwinden von Oppositionspolitikern, wo man befürchten muss, dass sie ermordet worden sind, verantwortlich sind. Es gibt natürlich Maßnahmen im wirtschaftlichen Bereich und praktisch in der politischen Isolierung des Landes, die bisher allerdings wenig Wirkung auf den Präsidenten Lukaschenko ausgewirkt haben.

Heckmann: Das heißt Sie sehen dort Handlungsbedarf. Heute beraten die EU-Außenminister über Konsequenzen. Welche Position bringt Deutschland dort ein?

Erler: Ja. Wir glauben, dass wir auf dem Weg der bisherigen EU-Politik auf jeden Fall verstärkt weitermachen müssen. Wir müssen natürlich abwarten, was heute Nachmittag die OSZE an offiziellem Statement über die Wahlbeobachtung geben wird. Es ist aber deutlich gewesen, dass schon im Vorfeld hier eine massive Einschüchterung stattgefunden hat bis hin zu solchen empörenden Äußerungen von Lukaschenko, dass er den Demonstranten, die er mit Terroristen verglichen hat, das Genick brechen und ihnen die Köpfe wie bei Küken abreißen werde, wo man sich ja die Frage stellt, was er eigentlich in seiner Freizeit macht. Das sind ja alles massive Maßnahmen gewesen wie auch die Festnahme von den Wahlkämpfern der Opposition und darauf wird es glaube ich eine sehr einhellige Antwort der EU geben, zumal ja auch dieses Land das einzige ist, das in Europa die Todesstrafe noch nicht abgeschafft hat.

Heckmann: Eine einhellige Antwort in Papierform, oder gibt es dann auch konkrete Maßnahmen?

Erler: Ich hatte ja schon die konkreten Maßnahmen, die bisher hier vorgetragen worden sind, genannt.

Heckmann: Und weitergehende?

Erler: Die weiteren Maßnahmen hängen natürlich jetzt auch davon ab, wie die konkreten Berichte der OSZE sind. Das wird die Grundlage sein für die Beratungen der Außenminister.

Heckmann: Können Sie sich auch Sanktionen, weitergehende Sanktionen gegen das Land vorstellen und treffen die dann nicht die Bevölkerung?

Erler: Das ist das Problem. Bei Sanktionen muss man immer überlegen, wen man damit eigentlich trifft. Wir haben nicht das Gefühl, dass die politische Klasse in Belarus irgendwelche Not leidet. Aber wenn es eben zu Sanktionen, die die Bevölkerung betreffen, kommt, dann werden die Falschen getroffen. Wir müssen wirklich anknüpfen an den Mut von Milinkewitsch, von dem zum ersten Mal auch einhellig von der Opposition aufgestellten Kandidaten. Der hat ja den Mut gehabt, gestern zu Demonstrationen gegen die Art und Weise, wie dieser Wahlkampf geführt wurde, aufzurufen, dem auch mehr als 10.000 Menschen in Minsk gefolgt sind. Das ist zum ersten Mal, dass ein Oppositionspolitiker sich nicht hat einschüchtern lassen und in dieser Form auch ganz selbstbewusst von seinen Rechten Gebrauch macht. Ich glaube, dass er die Unterstützung der gesamten europäischen Staatengemeinschaft verdient hat.

Heckmann: Herr Erler, müsste man, müsste die EU nicht auch Einfluss auf den russischen Präsidenten Putin nehmen, der Lukaschenko nach wie vor die Stange hält?

Erler: Ich kann Ihnen versichern, dass dies ständig passiert, dass Gespräche mit Vertretern der russischen Regierung und auch mit dem Staatspräsidenten mehrfach genutzt worden sind, um auf die Situation in Belarus hinzuweisen. Allerdings haben wir da zum Teil provokative Antworten bekommen, Hinweise darauf, dass der ja offenbar in seinem Land sehr beliebt sei und dass die Situation dort wirtschaftlich und politisch sehr stabil sei. Also hier kann man nicht gerade sagen, dass wir auf Verständnis bei der russischen Seite stoßen.

Heckmann: In vergangenen Tagen wurde des Öfteren mal die Option ins Spiel gebracht, dass Lukaschenko ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof werden könnte. Sehen Sie das auch so?

Erler: Der Internationale Strafgerichtshof ist ja eine ad personam agierende Einrichtung. Das heißt hier müsste man also persönliche Vergehen von Lukaschenko nachweisen können. Bisher hat es Hinweise über andere Regierungsmitglieder gegeben, die eben dann auch zu diesem Visabann und ähnlichen Maßnahmen geführt haben. Aber selbstverständlich ist das eine Möglichkeit in dem Fall, wo man tatsächlich eine persönliche Verantwortung belegen kann.