Erler: Ein Scheitern in Afghanistan können wir uns nicht leisten

Interview in der Berliner Zeitung, 30. März 2009  

Damir Fras: Herr Erler, an einem erfolgreichen Afghanistan-Einsatz entscheidet sich die Zukunft der Nato, oder?

Gernot Erler: Es ist wahr, dass die Mission in Afghanistan für die Nato eine besondere Bedeutung hat. Deswegen wird Afghanistan im Zentrum des Jubiläumsgipfels stehen.

Damir Fras: Was sollte die Botschaft des Nato-Gipfels sein?

Gernot Erler: Wir sollten klarstellen, dass wir entschieden sind, die Sache zu einem Erfolg zu machen. Wir sollten klar sagen, dass eine Unterbrechung des Einsatzes oder eine Reduzierung nicht in Frage kommen.

Damir Fras: Wie muss die Nato umgebaut werden, um Einsätze wie in Afghanistan besser bewältigen zu können?

Gernot Erler: Sie tun ja so, als stünde wieder ein Einsatz der Nato mit so einer Dimension bevor. Nein. Der Afghanistan-Einsatz hat eine Sonderstellung. Er hat aber eine entscheidende Funktion. Das Vertrauen in das westliche Bündnis, keine Rückkehr zu Verhältnissen wie vor dem 11. September 2001 zuzulassen, hängt vom Erfolg in Afghanistan ab.

Damir Fras: Tut Deutschland genügend, um der Nato in Afghanistan zu helfen?

Gernot Erler: Wir müssen uns nicht verstecken, sondern geben sogar ein gutes Beispiel für andere ab. Wir haben die Zahl der Soldaten, die nach Afghanistan geschickt werden können, auf 4 500 erhöht. Wir sind nach den USA und Großbritannien drittgrößter Truppensteller. Wir haben kontinuierlich die Geldsumme für die zivile Hilfe erhöht - auf 170 Millionen Euro in diesem Jahr. Das kann sich im internationalen Vergleich sehen lassen.

Damir Fras: Ein Abzug der internationalen Truppen wird erst möglich sein, wenn die Afghanen selbst für ihre Sicherheit sorgen können. Wann wird das sein?

Gernot Erler: Diese Frage kann heute noch niemand beantworten, auch ich nicht. Wir müssen aber klarmachen, dass wir solange in Afghanistan bleiben, bis die Afghanen selber in der Lage sind, sich zu schützen.

Damir Fras: US-Präsident Obama will Hunderte Fachleute nach Afghanistan schicken, die Polizisten und Soldaten ausbilden sollen. Warum macht das nicht auch die Bundesregierung?

Gernot Erler: Wir haben uns zunächst alleine bemüht, die Polizei in Afghanistan aufzubauen. Später ist daraus eine EU-Polizeimission geworden, die aus bis zu 400 Fachleuten bestehen wird. Davon sollen aus Deutschland allein 120 Polizisten kommen. Außerdem werden bis zu 45 Feldjäger zur Ausbildung im Polizeibereich eingesetzt.

Damir Fras: Klingt nach mitmachen, aber nicht nach vorangehen.

Gernot Erler: Man muss schon auch sehen, dass es unterschiedliche Konzepte gibt. Die US-Seite will afghanische Polizisten in kürzeren Lehrphasen eher nach dem Vorbild französischer Gendarmen ausbilden, die auch die Fähigkeit zu militärischen Aktionen haben. Wir dagegen versuchen, die Polizisten länger auszubilden, damit ihnen die Bevölkerung auch vertraut. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung.

Damir Fras: Braucht es in Afghanistan nicht doch mehr den robusten Gendarmen und weniger den netten Kontaktbereichsbeamten?

Gernot Erler: Das ist regional völlig unterschiedlich. Für den Norden Afghanistans, wo Deutschland Verantwortung trägt, stimmt diese These nicht. Dort klagen die Menschen häufig über korrupte, unzuverlässige Polizisten. Das wollen wir ändern. Denn im Norden ist tatsächlich die Qualität der Polizeiarbeit eine sicherheitspolitische Aufgabe.

Damir Fras: Was halten Sie von der Idee Obamas, mit jenen unter den Taliban zu verhandeln, die bereit sein könnten, ihre Waffen niederzulegen?

Gernot Erler: Das liegt zunächst in der Verantwortung der Regierung in Kabul, die auch entsprechende Initiativen ergriffen hat. Ich muss das akzeptieren. Wir können schlecht von der Eigenverantwortlichkeit der Afghanen reden und ihnen vorschreiben, mit wem sie reden oder nicht.

Damir Fras: Und wenn das hieße, diese Taliban an der Macht beteiligen zu müssen?

Gernot Erler: Militärisch ist das Problem in Afghanistan nicht zu lösen, das geht nur politisch. Die afghanische Gesellschaft muss selbst entscheiden dürfen, welchen Weg sie nimmt, solange dieser nicht wieder zu Zuständen wie vor dem September 2001 führt. Aber wenn dieser Weg nicht zu unserem Ideal von Demokratie oder einer modernen Gesellschaft führen sollte, dann ist das vielleicht zu bedauern, aber dann haben wir das gleichwohl zu akzeptieren.

Damir Fras: Wenn die Nato in Afghanistan scheitert, bedeutet das auch das Ende des Verteidigungsbündnisses?

Gernot Erler: Die Nato und die ganze westliche Welt können sich ein Scheitern in Afghanistan einfach nicht leisten. Denn dann droht uns, hier in Deutschland, eine enorme Gefahr. Das ist nicht hinnehmbar. Scheitern ist keine Option, weder für die Nato noch für andere wie beispielsweise Russland, das sehr kooperativ ist bei unserem Versuch, Afghanistan zu stabilisieren. Auch andere Länder wie Iran haben kein Interesse an einer Rückkehr der Taliban.