Erler: Gesprächsbereitschaft von Israel und Hamas ist Erfolg der Diplomatie

Interview mit Deutschlandradio Kultur, 8. Januar 2009  

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hat die Signale der Gesprächsbereitschaft von Israel und der Hamas als Erfolg der zahlreichen internationalen Vermittlungsbemühungen bezeichnet. Die Überwachung eines Stopps der Waffenlieferungen an die Hamas durch eine internationale Truppe sei wahrscheinlich unumgänglich, sagte der SPD-Politiker.

Leonie March: Nach zwölf Tagen ununterbrochener, heftiger Kämpfe haben die Waffen im Gazastreifen gestern Mittag zum ersten Mal für ein paar Stunden geschwiegen. Seit dem Nachmittag wird weiter gekämpft, aber beide Seiten zeigen sich jetzt auch offen für Verhandlungen über eine Waffenruhe. Israel hat eine Delegation nach Kairo geschickt, um heute dort über den ägyptisch-französischen Vorschlag zu beraten, und ein Hamas-Sprecher sagte, er sei optimistisch, dass schon bald eine Einigung erzielt werden könne. Über die Aussichten spreche ich jetzt mit Gernot Erler. Der SPD-Politiker ist Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau March!

March: Wie zuversichtlich sind Sie, dass Israel und Hamas schon bald eine neue Waffenruhe vereinbaren können?

Erler: Zunächst einmal ist es ein großer Erfolg, dass jetzt überhaupt über die vielen Ermahnungen, die vielen Forderungen, die gestellt worden sind, es zu Gesprächen in Kairo kommen wird, obwohl man das noch nicht gleichsetzen kann mit einer Waffenruhe, aber die Perspektive ist zum ersten Mal da.

March: Klarer diplomatischer Erfolg für wen?

Erler: Das ist ein Erfolg der gesamten internationalen Bemühungen. Es hat ja viele bilaterale Versuche gegeben, auch von Deutschland. Die deutsche Außenminister, die Bundeskanzlerin haben sich beteiligt an dieser Telefondiplomatie, haben viele Gespräche geführt, haben immer wieder gemahnt, dass es zu einer Waffenruhe kommt. Aber es gibt eben auch diese Reisediplomatie, vor allen Dingen von der EU, aber eben auch von Herrn Sarkozy extra, und es gibt den ägyptischen Vorschlag. Auch die Türken haben sich beteiligt. Also hier haben sich viele bemüht.

March: Die Bedingungen Israels sind ja klar, ein Ende des Raketenbeschusses durch die Hamas und keine Waffenlieferungen mehr in den Gazastreifen. Letzteres könnte eine internationale Truppe überwachen, das hat Ägypten vorgeschlagen. Ist das eine realistische Option?

Erler: Wahrscheinlich wird es überhaupt nur so gehen, dass Israel auch vertraut, dass da nicht ein neuer Tunnel gegraben wird und dann doch wieder ein Zufluss von Waffen stattfindet. Wir erleben ja im Augenblick gerade auch diesen sehr starken Beschuss der Region von Rafach, wo diese Tunnel da sind. Also Israel vertraut auch nicht alleine darauf, dass eine solche Zusage eingehalten wird, sondern will offensichtlich, bevor es überhaupt ein Verhandlungsergebnis gibt, insofern Fakten schaffen, als die vorhandenen Tunnel militärisch zerstört werden. Und insofern kann man sich gut vorstellen, dass Israel nur dann das akzeptieren wird, wenn es auch eine Kontrolle gibt, sprich eine internationale Mission, die aufpasst, dass - was ja nicht sehr schwer ist - neuer Tunnel gegraben wird.

March: Können Sie sich denn in diesem Fall auch eine deutsche Beteiligung an einer solchen Mission vorstellen?

Erler: Ich glaube, dass wäre zwei, drei Schritte zu machen, bevor die ersten notwendigen stattfinden. Wir haben ja noch gar keinen Beginn des Verhandlungsprozesses, und dann schon über eine Zusammensetzung hier zu spekulieren, halte ich nicht förderlich für den Friedensprozess.

March: Eine Gruppe von Diplomaten und Botschaftern im Ruhestand hat Bundeskanzlerin Merkel in einem offenen Brief vorgeworfen, einseitig Position für Israel zu beziehen und damit die Sympathien in der gesamten arabischen Welt aufs Spiel zu setzen. Teilen Sie diese Kritik?

Erler: Nein, ich halte das nicht insofern für richtig, weil es immer zwei Forderungen gab von allen Deutschen, die sich da beteiligt haben an diesen Bemühungen. Und das war immer ein humanitärer Korridor, das heißt also eine Erleichterung der Lage von den Menschen im Gazastreifen, die unter unvorstellbaren Bedingungen im Augenblick leben müssen, die Zivilbevölkerung, und natürlich auch eben diese zwei Punkte anerkannt, die von Israel gefordert werden, und das ist eben Ende des Kasam-Beschlusses und eine wirksame Unterbindung der Waffenzulieferung. Das ist eigentlich international und auch von Deutschland die Position, und das ist eine letztlich ausgewogene Position.

March: Heißt das auch, direkte Gespräche mit der Hamas sollte zwar Ägypten führen, aber nicht EU und USA?

Erler: Ich glaube, im Augenblick muss man sich darauf konzentrieren, dass tatsächlich in Kairo die Gespräche anfangen, und ich hoffe, dass es dann nicht an solchen formalen Dingen scheitert, dass der eine nicht bereit ist, mit dem anderen zu reden. Jetzt ist der internationale Druck am größten, dass es hier zu direkten Gesprächen kommt, und da ist das Entscheidende das Ergebnis und nicht das Formale.

March: Da meinen Sie dann auch direkte Gespräche zwischen Israel und der Hamas, die Israel ja bis jetzt immer abgelehnt hat?

Erler: Ja, aber ich meine, was macht es für einen Sinn, wenn dort man sich trifft und versucht, eine Lösung zu finden, wenn das dann belastet wird durch solche Verweigerungen von direkten Gesprächen. Ich glaube, dass auch die Hamas bereit sein wird, jetzt irgendeinen Weg zu finden, wie man diese Hürde noch übersteigt, denn wenn es ein Verantwortungsgefühl gibt für die Menschen, die, wie ich schon gesagt habe, wirklich im Augenblick in einer tragischen, in einer dramatischen Situation sind, dann darf das auf keinen Fall an solchen formalen Fragen scheitern.

March: Teil des ägyptisch-französischen Vorschlags sind ja auch Gespräche zwischen Fatah und Hamas. Inwiefern können diese Verhandlungen denn zur Lösung der Krise beitragen?

Erler: Ich glaube, das ist auf jeden Fall der zweite Schritt nach dem ersten. Der erste Schritt muss sein, jetzt zu einer dauerhaften Waffenruhe zu kommen und eben diese Bedingungen zu verhandeln, die dazu führen können. Erst danach macht es Sinn, das wäre ja schon wieder ein Teil des Friedensprozesses, der leider unterbrochen worden ist jetzt, und erst danach macht es Sinn, solche Fragen, die auf eine dauerhafte politische Lösung hinzielen, wieder aufzunehmen.

March: Aber trotzdem noch mal die Nachfrage: Hat die Fatah überhaupt Einfluss auf die Hamas?

Erler: Im Augenblick sind diese beiden Palästinensergruppen völlig getrennt und haben praktisch so etwas wie eine Funkstille untereinander, was natürlich schlecht ist und was natürlich auch für einen dauerhaften Friedensprozess keine ausreichende Grundlage ist. Da müssen beide Gruppen in irgendeiner Weise einbezogen werden, das ist auch der internationalen Gemeinschaft völlig klar. Insofern wäre ein Prozess der Verständigung zwischen den beiden völlig zerstrittenen, verfeindeten Palästinensergruppen eine Voraussetzung für jede langfristige Friedenslösung in der Region.

March: Gernot Erler war das, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Vielen Dank für das Interview!

Erler: Danke Ihnen!