Es gibt intensive Kooperationen

Interview Mitteldeutsche Zeitung, 13. November 2008 

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), hält die Reformvorstellungen von Präsident Medwedew für ziemlich ambitioniert. Mit ihm sprach Sibylle Quenett.

Mitteldeutsche Zeitung: Herr Erler, Russland will Kurzstreckenraketen rund um Kaliningrad stationieren. Ist das eine Belastung für den EU-Russland-Gipfel?

Gernot Erler: Diese Ankündigung war in erster Linie ein Signal an Washington. Inzwischen hat Präsident Medwedew dies nachträglich mit einem Dialogangebot verknüpft. Die EU fordert schon seit langem, dass Russland und die USA ihren Dissens in dieser Frage durch Verhandlungen beilegen.

MZ: Die EU will wieder über ein neues Abkommen mit Moskau sprechen. Was hat sich verändert nach der Eskalation des Kaukasus-Konflikts?

Erler: Tatsächlich sind die Verhandlungen am 1. September bei einem Sondertreffen der EU nicht unterbrochen, sondern verschoben worden. Die Umsetzung des von der EU vermittelten 6-Punkte-Plans wurde zur Voraussetzung für die Fortsetzung gemacht. Die Mehrzahl der EU-Staaten hält es jetzt für richtig, diese Verhandlungen, die ja im Interesse der EU sind, fortzuführen.

MZ: Worin liegt genau das Interesse der EU?

Erler: Wir haben umfassende Programme mit unserem großen Nachbarn Russland. Da geht es um die Wirtschaftspolitik, Freiheit, Sicherheit und Recht im Inneren Russlands, um die äußere Sicherheit oder um Bildung, Forschung und Kultur. Überall gibt es intensive Kooperationen, etwa im Energiebereich, aber auch im Bereich von Menschenrechten, Rechtstaatlichkeit oder Visa-Erleichterungen. Außerdem geht es natürlich um die Lösung internationaler Krisen und Konflikte.

MZ: Zeigt sich mittlerweile eine Handschrift des neuen Präsidenten Medwedew?

Erler: Am deutlichsten ist das bislang in seiner Rede vor beiden Häusern des russischen Parlaments am 5. November geschehen. Da hat er sich sehr detailliert über seine Reformvorstellungen innerhalb Russlands geäußert. Die sind ziemlich ambitioniert. Leider wurde dies in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Drohung im Zusammenhang mit dem US-Raketenprogramm in den Hintergrund gerückt.

MZ: Ist Europa überhaupt in der Lage die eigenen Interessen stimmig zu formulieren?

Erler: Wir müssen als ein Faktum zur Kenntnis nehmen, dass die russische Politik ganz besonders in der Kaukasuskrise von mehreren Nachbarstaaten Russlands als Gefährdung angesehen wird. Das schlägt sich auch in den Entscheidungsprozessen der EU zu Russland nieder. Wir nutzen deshalb unsere Kontakte zu den russischen Kollegen auch, um auf diese nicht ungefährliche Entwicklung hinzuweisen. Gerade nach dem Kaukasuskrieg wären Zeichen, die Vertrauen schaffen können, an die Adresse dieser unmittelbaren Nachbarstaaten sinnvoll.

MZ: Woran denken Sie?

Erler: Zum Beispiel eine Klarstellung, dass Russland nicht vorhat, über die Vergabe russischer Pässe an Minderheiten sich eine Legitimation für das Eingreifen in solchen Ländern zu verschaffen. Im Kaukasus wurde das Vorgehen damit unter anderem begründet. Das hat große Verunsicherung ausgelöst.

MZ: Ist der Bau der Ostsee-Pipeline nach den jüngsten Äußerungen von Wladimir Putin ernsthaft gefährdet?

Erler: Ich glaube, wir sollten die Äußerungen von Ministerpräsident Putin ernst nehmen. Europa hat aus Gründen der Energieversorgungssicherheit ein starkes Eigeninteresse am Zustandekommen dieses Projekts. Deshalb sollten wir versuchen, die Schwierigkeiten bei der Realisierung zu überwinden.