Staatsminister Erler, Chefvermittler Annan und Botschafter Lindner 

Politikstunde im Nationalpark

Interview in der  Badischen Zeitung. 16. Februar 2008 

FREIBURG. In Kenia ist nach Einschätzung des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan ein Ende des Machtstreits absehbar. Ein umfassendes Abkommen sei sehr nahe, sagte er am Freitag in Nairobi. Zuvor hatten die Delegationen von Präsident Mwai Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga 48 Stunden lang verhandelt. Als Überraschungsgast dabei: der Freiburger Bundestagsabgeordnete und Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD). Mit ihm sprach Jens Schmitz.

BZ: Herr Erler, Sie sind heute Morgen von einem Überraschungsbesuch in Kenia zurückgekehrt. Was haben Sie da gemacht?

Erler: Kofi Annan hat Außenminister Frank Steinmeier gebeten, jemanden zu entsenden, der Auskunft geben kann über die Mechanismen und Chancen einer großen Koalition. Er sucht nach einem Weg zu einer Zusammenarbeit der beiden Lager in Kenia. Steinmeier hat mich dann gebeten, da hinzufahren.

BZ: Vor wem haben Sie gesprochen?

Erler: Ja, also das war tatsächlich eine aufregende Geschichte. Ich bin am Sonntag direkt von der Münchner Sicherheitskonferenz nach Nairobi geflogen und in Annans Hotel angekommen. Dort hat er mir erklärt, was gebraucht wird, wie meine Information sein sollte. Danach ist er mit seinem Team und mit den beiden Verhandlungsdelegationen an einen unbekannten Ort geflogen, das war eine Lodge im Tsavo-Nationalpark. Am Tisch waren außer Annan fünf Leute von jeder Seite.

BZ: Und was haben Sie denen erzählt?

Erler: Am ersten Abend war nur Konversation. Erst am Mittwochvormittag hat Annan mich vorgestellt und gesagt, wir haben hier jemanden, der erklären kann, wie eigentlich so eine große Koalition entsteht. Dann habe ich einen halbstündigen Vortrag gehalten in fünf Kapiteln: Einmal zu Prinzipien und Entstehungsweise einer großen Koalition, dann über die Erarbeitung eines verbindlichen Programms. Außerdem - was die natürlich sehr interessiert hat - die Frage, wie man die Posten verteilt und wie sich das spiegelt im Parlament. Und das Letzte waren die Voraussetzungen dafür, dass so etwas funktionieren kann in der weiteren Arbeit - wie klärt man Konflikte, was ist das Minimum an Vertrauen zueinander und an Bereitschaft zur Kooperation? Ich bin dann noch anderthalb Tage geblieben und stand zur Verfügung, und das haben auch viele zu Einzelgesprächen genutzt.

BZ: Haben Sie Annan erstmals getroffen?

Erler: Nein, aber ich habe zum ersten Mal persönlich mit ihm gearbeitet. Ich war zutiefst beeindruckt davon, wie er das gemacht hat, wie geschickt er das vorbereitet und langsam auf diese Lösung hingeführt hat. Wie er mich als Überraschung präsentiert hat, jemanden, der da Auskunft geben kann. Er hat eine enorme Ausstrahlung von natürlicher Autorität.

BZ: Sehen Sie denn selbst Möglichkeiten, das deutsche System für Kenia anzupassen? Und was könnte es dort leisten?

Erler: Wir wollten ja vor der großen Koalition auch die Verfassung ändern beim Verhältnis von Bund und Ländern, wir hatten das Problem mit den unerledigten Reformvorhaben: Rentenreform, Gesundheitsreform. Und wir hatten den Ausschluss einer Dreierkoalition. Es ist natürlich nicht in der Dramatik vergleichbar, aber es gab sehr große politische Herausforderungen und keine konsensfähige Möglichkeit einer normalen Koalition. Ich habe auch beschrieben, dass das in Deutschland nach 40 Jahren zum ersten Mal wieder ins Gespräch gekommen ist. Dass es keine normale Antwort ist, aber in einer besonderen Situation eben auch eine demokratische Möglichkeit. Ich habe aber nicht gesagt, ich will, dass ihr das macht, sondern ich habe nur ganz sachlich unsere Erfahrungen beschrieben.

BZ: Haben Sie den Eindruck, dass auf beiden Seiten der Wille zur Einigung da ist?

Erler: Der ist bei der Regierungsseite sicher skeptischer zu beurteilen, weil die sich weiter bewegen müssen. Die Opposition hat ja ihre Forderungen nach sofortigen Neuwahlen schon fallen gelassen, die sind schon näher dran. Nächsten Montag kommt Condoleezza Rice für drei Stunden nach Nairobi. Es ist offensichtlich noch weiterer Druck nötig.

BZ: Ist eine Einigung realistisch?

Erler: Je länger ich mit den Leuten gesprochen habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass es eigentlich keine vernünftige Alternative dazu gibt. Mein Eindruck war schon, dass Kofi Annan sehr viel erreicht hat, dass die Beteiligten immer deutlicher sehen, dass das die einzige Brücke ist, die aus der Situation führt.