Erler: Medwedjew ist nicht Putins Marionette

Interview in der Welt, 22. Januar 2008 

Staatsminister Gernot Erler über die Rochade im Kreml und Russlands Haltung zum Kosovo 

Berlin - Am 2. März wird in Russland der neue Präsident gewählt. Amtsinhaber Wladimir Putin unterstützt die Kandidatur von Vizeministerpräsident Dmitri Medwedjew - und will anschließend als dessen Ministerpräsident ins Weiße Haus wechseln. Medwedjews Wahlsieg gilt als ebenso sicher wie Putins auch künftig dominante Rolle in Moskau. Mit Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, sprach Ansgar Graw.

Die Welt: Eine solche Rochade gab es noch nie: Medwedjew soll Präsident werden, und Putin wechselt ins Ministerpräsidentenamt. Was halten Sie davon, Herr Erler?

Gernot Erler: Zunächst einmal fällt mir zu diesem Vorgang das Stichwort Kontinuität ein. Wir werden keinen völligen Politikwechsel in Russland erleben, sondern wahrscheinlich eine weiterhin sehr starke Rolle des bisherigen Präsidenten Wladimir Putin und eine noch zu gestaltende Rolle des neuen Präsidenten Dmitri Medwedjew. Und vielleicht auch eine Aufwertung des Amtes des Premierministers, das bislang keine große Rolle spielt.

Die Welt: Bisher hat das Weiße Haus wenig zu sagen, alle Macht liegt beim Präsidenten im Kreml. Könnte das zu einem Machtkampf der beiden führen?

Gernot Erler: Putin bemüht sich erkennbar, die Weichen auf eine echte Zusammenarbeit zu stellen. Medwedjew hat immer sehr eng mit Putin zusammengearbeitet. Und die Mehrheit der Bevölkerung scheint zu wollen, dass Putin weiterhin die entscheidende Rolle spielt. Aber natürlich wird Putin die verschiedenen Machtfaktoren in seine Strategie einbinden müssen. Auch die Präsidialbürokratie, die ausgesprochen mächtig ist.

Die Welt: Sie kennen Medwedjew. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Gernot Erler: Ich staune mitunter über Artikel, in denen er als unbeschriebenes Blatt oder Mann ohne eigene Meinung dargestellt wird. Ich habe einen anderen Eindruck von ihm. Medwedjew hat recht klare Vorstellungen von der künftigen Rolle Russlands, und er steht offenkundig einer engen Partnerschaft mit der EU positiv gegenüber. Er weiß, wie wichtig das ist für die Modernisierung der russischen Gesellschaft und vor allem der russischen Wirtschaft.

Die Welt: Stünde ein proeuropäischer russischer Präsident wirklich für Kontinuität? Oder wäre das, nach den mitunter harschen Äußerungen Putins gegenüber dem Westen, eine Veränderung ins Positive?

Gernot Erler: Die Frage ist, welche der EU-kritischen Äußerungen aus Moskau der Vorwahlphase geschuldet und welche grundsätzlicher Natur sind. Natürlich gab es Töne, die uns irritiert haben - aber das soll auch in anderen Wahlkämpfen schon vorgekommen sein. Im Prinzip habe ich den Eindruck, dass auch Putin die Zusammenarbeit mit der EU will.

Die Welt: Ist mit der Entscheidung für Medwedjew der Machtkampf zwischen den geheimdienstnahen Silowiki und den Petersburger Liberalen, denen er zugerechnet wird, beendet?

Gernot Erler: Der Großteil der Auseinandersetzungen fand zu einem Zeitpunkt statt, als sich Putin noch nicht festgelegt hatte. Jetzt ist das geschehen, und die Auseinandersetzungen, die mit Unsicherheiten über Besitzstände und Machtpositionen zusammenhingen, sind deutlich abgeklungen. Putin hat sich entschieden, als Nachfolger jemanden zu unterstützen, der eindeutig nicht aus den Sicherheitsstrukturen kommt. Bleibt die Frage, wie künftig die Balance zwischen Petersburger Liberalen und Silowiki aussehen soll.

Die Welt: Nämlich wie?

Gernot Erler: Sowohl in der Regierung wie auch in der Wirtschaft werden nach der Präsidentenwahl noch interessante Posten zu besetzen sein. Da haben Putin und Medwedjew alle Chancen, eine Balance herzustellen.

Die Welt: Ist Medwedjew angesichts der weiterhin großen Macht Putins mehr als dessen Marionette?

Gernot Erler: Ich persönlich habe einen anderen Eindruck von Medwedjew und auch von dem, was Putin anstrebt. Bislang hat er seine Ankündigungen stets wahr gemacht. Er hat gesagt, er wird nicht die Verfassung ändern, um eine dritte Amtszeit zu bekommen, und das hat er gehalten.

Die Welt: Auch ohne Verfassungsänderung könnte Putin aus dem Weißen Haus heraus beim nächsten Mal wieder als Präsident kandidieren.

Gernot Erler: Das wäre in der Tat verfassungskonform. Aber Putin hat auch gesagt, er wolle die Verfassung nicht deformieren und aushöhlen, und ich habe keine Veranlassung, daran zu zweifeln. Ich rechne mit einer Lösung, in der Medwedjew und Putin als starkes Duo Stabilität und Kontinuität sichern.

Die Welt: Ist Putin ein "lupenreiner Demokrat", wie Gerhard Schröder sagte?

Gernot Erler: Ich ziehe es vor, nicht über Personen zu reden, sondern lieber mit den Personen. Dazu gehören die Regierenden, aber auch die Opposition, die außerparlamentarische Opposition und die Vertreter der Zivilgesellschaft in Russland.

Die Welt: Wird es einigermaßen rasch nach dem 2. März ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit Russland geben?

Gernot Erler: Die bisherigen Signale, die wir aus dem Kreml bekommen haben, stimmen mich zuversichtlich. Insbesondere nachdem der Streit über polnische Fleischexporte ausgeräumt ist, gehe ich davon aus, dass Moskau die Chance sieht, in einem neuen Abkommen auch neue Ziele festzulegen. Die französische Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres könnte meines Erachtens den Durchbruch für ein solches Abkommen bringen.

Die Welt: Rechnen Sie nach der Wahl auch mit einer Einigung zwischen EU und Russland in der Kosovo-Frage?

Gernot Erler: Das wird eine der wirklich spannenden Fragen nach dem 2. März. Der Kosovo wird sich offenkundig in Richtung einer begrenzten Souveränität entwickeln, und die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft dürfte den Kosovo anerkennen. Russland hat eine solche Lösung bislang abgelehnt. Aber nach der Wahl wäre für Moskau ein günstiger Zeitpunkt, die eigene Position noch einmal zu überdenken.

Die Welt: Eine andere Baustelle ist der Umgang mit dem Iran. Moskau ist skeptisch bezüglich weiterer Sanktionen. 

Gernot Erler: Zunächst muss man aber doch feststellen, dass es zweimal gelungen ist, sich mit Russland auf Sanktionen zu verständigen. Es gibt das große Interesse der EU und der an den Iran-Gesprächen beteiligten drei Länder Frankreich, Großbritannien und Deutschland, diesen Prozess fortzusetzen. Und das unter Einbeziehung Russlands, der USA und Chinas. Dieses gemeinsame Agieren ist Voraussetzung, um zu Lösungen zu kommen. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir uns im sogenannten "E 3 plus 3"-Format auf ein weiteres gemeinsames Vorgehen verständigen werden.

Die Welt: Bislang sperrt sich Moskau gegen das von Washington geforderte Waffen-Embargo.

Gernot Erler: Russland ist traditionell ein wichtiger Lieferant von militärischer Ausrüstung für den Iran und will diese Aktivitäten nicht zum Gegenstand internationaler Sanktionsmaßnahmen werden lassen. Auf der anderen Seite hat Russland aber auch immer wieder sehr deutlich gemacht, dass es nicht bereit ist, eine Nuklearwaffenfähigkeit des Iran zu akzeptieren. Darum macht es Sinn, die Gespräche fortzusetzen, um eben doch noch einen weiteren Sanktionsschritt zu vereinbaren, falls das notwendig sein sollte.

Die Welt: Sollten Deutschland und die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland reduzieren?

Gernot Erler: Inzwischen gibt es eine wechselseitige Abhängigkeit. Die EU ist zu 40 Prozent beim Gas und zu 35 Prozent beim Öl von Importen aus Russland abhängig. Aber diese Exporte in die EU stellen auch 80 Prozent aller russischen Energieexporte dar. Daher geht es eher darum, wechselseitig Prinzipien und Regeln zu vereinbaren und zu akzeptieren. Es darf nicht wieder Irritationen geben wie in den Fällen russischer Energielieferstopps gegenüber der Ukraine und Weißrussland.

Die Welt: Bleibt vor dem Hintergrund der angestrebten gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik eigentlich Platz für bilaterale deutsch-russische Beziehungen?

Gernot Erler: Ja, durchaus. Da ist etwa der Petersburger Dialog zu nennen, der sich um eine Stärkung der russischen Zivilgesellschaft bemüht. Es gibt über 100 Städtepartnerschaften. Diese kommunale Verflechtung hat kein anderes EU-Land vorzuweisen. Es gibt den deutsch-russischen Jugendaustausch, das Deutsch-Russische Forum, den Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Es gibt also viel Gestaltungsraum auf der bilateralen Ebene. Aber zugleich wollen wir, dass Russland sich auf die EU einlässt und nicht zu stark versucht, die EU durch bilaterale Kontakte zu ersetzen.