Erler erwartet baldige Truppenanforderung aus Beirut

Staatsminister verteidigt frühes deutsches Angebot • Interview im Deutschlandfunk, 4. September 2006 

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, rechnet innerhalb weniger Tage mit der offiziellen Anforderung von Seestreitkräften durch die libanesische Regierung. Es gebe deshalb keinen Grund, den geplanten Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNO-Friedenstruppe in Frage zu stellen, sagte der SPD-Politiker. Man müsse Verständnis dafür haben, dass es in Beirut noch Beratungsbedarf gebe.

Moderation: Christine Heuer

Christine Heuer: Weil die libanesische Regierung noch keine Seekräfte angefordert hat, musste die deutsche Regierung ihre Entscheidung über einen deutschen Libanon-Einsatz gestern also verschieben. Bundeskanzlerin Angela Merkel begründete das so:

"Es gibt noch im Libanon und auch seitens des Libanon mit der UN Diskussionen über die Anforderung für die seeseitige Sicherung und die Umsetzung der Resolution 1701. Und wir können nur entscheiden, wenn wir eine solche Anforderung an die UNO auch wirklich haben und die UNO uns dann bittet. Deshalb haben wir aus Verantwortung auch für unsere Soldaten gesagt, wir können noch keine Kabinettsentscheidung fällen. Das deutsche Angebot bleibt weiter aufrecht, aber Sorgfalt muss hier vor Schnelligkeit gehen."

Heuer: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit, sagt also Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frage an den Staatsminister im Auswärtigen Amt, an Gernot Erler: Wenn Sorgfalt vor Schnelligkeit geht, wieso hat die deutsche Regierung sich dann so beeilt, schon im Vorfeld jeder Anforderung Bundeswehrsoldaten zur Seekontrolle anzubieten?

Gernot Erler: Ich glaube, wir haben eine unbestreitbare Verantwortung, hier zu helfen in dieser Situation. Es geht darum, einen Krieg zu beenden, der über 1000 Tote gefordert hat und schreckliche Zerstörung angerichtet hat. Deswegen hat Deutschland vorab immer mit dem Gedanken an die Voraussetzung hier schon mal ein Angebot unterbreitet. Und das muss jetzt konkretisiert werden, wenn die libanesische Regierung ihren so genannten Request, ihre Anforderung formuliert hat.

Heuer: Aber ein bisschen peinlich, Herr Erler, ist das schon, wenn Deutschland so laut "hier" ruft und die libanesische Regierung die Soldaten dann erst mal gar nicht anfordert?

Erler: Ich bin sicher, dass das in Kürze erfolgen wird. Es ist ja auch angekündigt worden von Ministerpräsident Siniora, und wir haben auch jetzt Nachrichten, dass in sehr kurzer Frist jetzt diese Anforderung kommen wird. Aber die deutsche Bundesregierung ist ja nicht verantwortlich für die Diskussionen, die innerhalb der libanesischen Regierung im Augenblick geführt werden.

Heuer: Sie haben trotzdem Nachrichten, sagen Sie. Woran liegt es denn, dass die libanesische Regierung die Anforderung noch nicht gestellt hat?

Erler: Es gibt innerlibanesische Diskussionen hier darüber, die wohl auch in die Richtung gehen, ob man nicht fordern muss, vorher die Seeblockade aufzuheben. Aber ich denke, dass das eine Diskussion ist, die zwar vor der Zusammensetzung der politischen Kräfte im Libanon verständlich ist, aber die die Sache nicht weiter herauszögern wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir doch in sehr kurzer Zeit vor der Situation stehen, dann einen Kabinettsbeschluss und auch einen Bundestagsbeschluss herbeizuführen.

Heuer: Läge es an der Seeblockade, Herr Erler, dann läge es ja an Israel. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie glauben, Israel wäre dann aber ganz rasch bereit einzulenken?

Erler: Ich denke, das ist jetzt eine Spekulation, die uns nicht weiterführt. Die israelische Seite hat immer wieder betont, dass die Seeblockade eben umgekehrt erst aufgehoben wird, wenn es dort eine Kontrolle für die Schifffahrtsbewegungen gibt. Und Sie wissen ja, es geht ja darum zu verhindern, dass illegale Waffenlieferungen in Richtung Hisbollah, in Richtung Süden des Libanon erfolgen und dass das auch von See her kontrolliert werden soll.

Heuer: Gestern war zu lesen von einer Uneinigkeit im libanesischen Kabinett. Dass die Anforderung noch nicht gestellt wird, könnte das an der Hisbollah, die ja auch im Kabinett ist, liegen?

Erler: Das ist möglich, aber dazu liegen mir keine konkreten Informationen vor.

Heuer: Wissen Sie denn, ob der libanesische Verteidigungsminister deutsche Seekräfte haben möchte?

Erler: Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass Herr Siniora - und das ist der Ministerpräsident - der Bundeskanzlerin zugesagt hat, dass dieser Request, diese Anforderung so rasch wie möglich kommt. Und wir hatten damit eigentlich zum Wochenende schon gerechnet. Es ist also eigentlich kein Grund, jetzt das Ganze in irgendeiner Weise in Frage zu stellen, wenn sich das jetzt um ein oder zwei Tage verzögert.

Heuer: Und das ist die Zeitrechnung, die Sie haben?

Erler: Das ist das, was wir hören. Wir haben keine Garantien, aber es ist ja jetzt auch ein libanesisches Interesse, denn offensichtlich kann es ja überhaupt nur weitergehen auch mit der Beendigung der verschiedenen Blockaden, wenn diese Kontrolle eingerichtet wird. Das ist jedenfalls der Stand der Dinge vor dieser libanesischen Entscheidung. Insofern denke ich, ist es auch im libanesischen Interesse, dass so schnell wie möglich diese maritime task force, also diese Seestreitkräfte dort eingesetzt werden.

Heuer: Lassen Sie uns noch mal spekulieren, Herr Erler. Sollte die libanesische Regierung die Anforderung, um die es hier geht, nicht stellen, hätte sich dann der Nahost-Einsatz der Bundeswehr ganz erledigt?

Erler: Wir haben immer wieder von der Bundesregierung gesagt, es gibt drei unverzichtbare Voraussetzungen für diesen maritimen Einsatz. Das eine ist eben diese Anforderung der libanesischen Regierung. Das andere ist ein robustes Mandat. Da sind wir in der letzten Woche sehr viel weiter gekommen. Und das dritte ist dann natürlich die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages. Ohne diese drei Voraussetzungen kann es eine solche Unterstützung, wie wir sie anbieten, nicht geben.

Heuer: Es kann also sein, dass am Ende überhaupt keine Bundeswehr in den Libanon geschickt wird?

Erler: Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Heuer: Ist denn die Zustimmung des Bundestages nach den Vorgängen von diesem Wochenende noch so sicher, wie die Fraktionsspitzen von Union und SPD es letztes Wochenende, am Freitag genauer, behauptet haben?

Erler: Ich kann zumindest für die gesamte Union nicht sprechen. Hier gab es ja am Wochenende kritische Töne aus den Reihen der CSU. Aber ich kann Ihnen sagen, dass die SPD, bei deren Sitzungen ich dabei war und referiert habe, eigentlich einen sehr breiten Konsens dazu aufweist, hier zu helfen und auch einen entsprechenden Bundestagsbeschluss mitzutragen.

Heuer: Also es gibt auch bei Ihnen Abweichler, höre ich da heraus?

Erler: Das ist völlig normal in der Politik, aber ich habe ja von einem breiten Konsens gesprochen, und der war zu erkennen. Es hat überhaupt keine Diskussion in Richtung einer Ablehnung oder Ähnliches gegeben, sondern eher breite Zustimmung zu dem, was vorgetragen wurde.

Heuer: Um eine Mehrheit bei einer Abstimmung fürchten Sie gar nicht?

Erler: Nein, in keiner Weise, aber wir sind sehr daran interessiert, dass es eine breite Mehrheit ist. Insofern ist auch die Opposition gefordert. Ich bin schon überrascht darüber, dass zum wiederholten Male auch in diesem Fall die FDP hier, ohne das genau zu begründen, Ablehnung ankündigt. Das ist für die Zukunft von irgendeiner gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kein gutes Signal. Und wir hoffen auch auf Stimmen aus der Opposition. Von den Grünen ist mir das gewiss.

Heuer: Nun ist es ja so, Herr Erler, dass die FDP zum Beispiel unter anderem damit argumentiert, dass deutsche Seekräfte zur Küstenüberwachung im Libanon überhaupt gar nicht gebraucht werden. Ist das denn falsch? Werden die gebraucht?

Erler: Die werden selbstverständlich gebraucht, denn es geht ja hier darum, dass man einen Schifffahrtsverkehr kontrolliert, der theoretisch eben auch solche illegalen Waffenlieferungen vornehmen kann. Man kann sich gut vorstellen, dass die israelische Seite ihre Sicherheitserwartungen daran knüpft, dass an allen Grenzen des Libanon hier eine sichere Kontrolle stattfindet. Und offensichtlich ist die libanesische Armee beziehungsweise die libanesische Marine dazu im Augenblick nicht im Stande. Deswegen ist es ja zu diesem internationalen Angebot, an dem sich ja auch weitere skandinavische Länder und die Niederlande beteiligen, gekommen.

Heuer: Eben, Herr Erler! Es gibt ja ganz viele Angebote aus verschiedenen Ländern, Seekräfte zu schicken, geradezu ein Überangebot an Seekräften.

Erler: Es sind Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande, die hier Angebote gemacht haben, die aber sich auf einzelne Fahrzeuge beziehen, während alle vier Länder davon ausgehen, dass Deutschland den Hauptteil stellt und wahrscheinlich dann auch die Hauptverantwortung übernehmen wird.

Heuer: Weil die Deutschen das besser können als die anderen?

Erler: Die Deutschen haben in der Tat Erfahrungen damit. Sie werden sich erinnern, dass am Horn von Afrika, im Rahmen der Mission "Enduring Freedom" in Afghanistan hier schon eine solche Seeroutenkontrolle seit einigen Jahren stattfindet. Und das ist natürlich auch ein fachlicher Hintergrund dafür.

Heuer: Was ist eigentlich, Herr Erler, wenn Libanon gar keine Anforderung stellt? Über die möglichen Folgen für Deutschland haben wir schon gesprochen. Aber was würde das bedeuten für die UN-Resolution 1701? Wäre die dann erledigt?

Erler: Nein, die wäre damit nicht erledigt, aber ich halte das, um es noch mal zu wiederholen, für außerordentlich unwahrscheinlich, dass der libanesische Ministerpräsident, der das ja angekündigt hat, dass diese Anforderung kommt, hier sich in seiner eigenen Regierung nicht durchsetzt. Wir müssen Verständnis dafür haben, dass in der gegebenen Situation da ein gewisser Diskussionsbedarf da ist, der jetzt nicht so schnell zu einem Ende geführt hat, wie das Siniora selber wohl erwartet hat. Das ist aber kein Grund, die ganze Mission jetzt in Frage zu stellen.

Heuer: Es gibt in Deutschland - damit noch einmal zurück sozusagen zur Innenpolitik - ja viel Kritik an Verteidigungsminister Jung über seinen Umgang mit der ganzen Angelegenheit. Auch aus der SPD gibt es diese Kritik. Teilen Sie die, Herr Erler?

Erler: Ich kann dazu nur sagen, dass die Bundesregierung gerade in dieser Frage sehr vertrauensvoll untereinander zusammenarbeitet. Dabei soll es auch bleiben. Und es ist völlig normal, dass im parlamentarischen Raum auch die Leistungen von verschiedenen Regierungsmitgliedern unterschiedlich gewertet werden. Es steht aber mir überhaupt nicht zu, dazu irgendwelche Kommentare abzugeben.

Heuer: Gernot Erler, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Erler: Alles Gute!