Erler rät zur Unterstützung von Präsident Abbas

Interview im Deutschlandfunk, 15. Juni 2007 • Staatsminister beklagt Selbstzerstörung der Palästinenser • Moderation: Elke Durak •

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, fürchtet eine Ausdehnung der Gewalt unter den Palästinensern im Nahen Osten. Nach den Gefechten im Gazastreifen seien auch für das Westjordanland Kämpfe zu befürchten, sagte der SPD-Politiker. Es gebe keine andere Möglichkeit, als nach wie vor zu versuchen, den gewählten Präsidenten Mahmud Abbas zu unterstützen.

Elke Durak: "Das ist Wahnsinn, was hier passiert." Das sind Worte des Palästinenserpräsidenten Abbas über die Situation in den Palästinensergebieten. Nun hat er den Notstand ausgerufen, er, der für die Fatah steht. Ministerpräsident Hanija, den er eigentlich entlassen hat, von der Hamas sagt, alles quatsch, wir wollen weiterregieren. Wir wollen aber, wir, das heißt die Hamas, wir wollen aber keinen eigenen Staat gründen.

Bisher schien es so zu heißen, auf zum letzten Gefecht. Die Hamas ist wie in einem Blutrausch über die Fatah und deren Gebiet hergefallen, scheinbar blind für die Folgen, aber eigentlich auch beide Seiten. Blind sind und dürfen nicht sein die EU und Deutschland in diesem Konflikt, hatte man doch in der Vergangenheit Verantwortung für die Interessen aller Palästinenser übernommen. Und nun das, was einer personellen, politischen, wirtschaftlichen und insgesamt gesellschaftlichen Selbstzerstörung nahe kommt.

Am Telefon ist Gernot Erler, SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Durak!

Durak: Was ist zu tun?

Erler: Zunächst einmal muss man sich ja klar werden, welche Situation jetzt entstanden ist. Wir haben innerhalb von einer Woche hier eine enorme große Zahl von Zerstörungen, Plünderungen, Hinrichtungen, Opfern erlebt: alleine 80 Tote seit Montag, insgesamt seit den Auseinandersetzungen wohl über 630 Tote, im Ergebnis sind die offiziellen, die legalen Sicherheitsstrukturen im ganzen Gazastreifen zerstört und ersetzt durch die illegalen Einheiten von Hamas, die auch dabei sehr viel Gerät zerstört haben. Und wir haben Berichte von praktisch anarchischen Verhältnissen dort eben auch mit Plünderungen und einer enormen Gefährdung der Zivilbevölkerung.

Und wir haben tatsächlich die Gefahr, dass das noch nicht das Ende ist. Man darf nicht vergessen, im Westjordanland gibt es eine Mehrheit der Fatah, ist hier sehr stark. Es liegt nahe, dass dort Racheakte stattfinden, erste haben auch schon stattgefunden, so dass man noch nicht weiß, ob sich diese Verhältnisse nicht auch auf das Westjordanland rübergehen, dass sie da auch stattfinden. Und wir haben eine, Sie haben es erwähnt, völlig unklare Lage, was jetzt eigentlich die politische Situation ist. Nach langem Zögern hat Abbas auf den Rat der PLO eben diese Auflösung der Regierung der nationalen Einheit verkündet und den Notstand ausgerufen, aber Hanija widersetzt sich, der Premierminister, und sagt, er regiert weiter. Also auch hier ist völlig unklar, wie das weitergeht.

Durak: Also schauen wir zu und warten ab?

Erler: Nein, ich wollte nur sagen, das ist die Situation, die muss man erst mal sozusagen sich vor Augen führen, um zu überlegen, was im Augenblick die Prioritäten sind. Und ich denke, es gibt keine andere Möglichkeiten, als im Augenblick nach wie vor zu versuchen, den gewählten Präsidenten Abbas zu unterstützen. Das ist nicht einfach im Moment. Alle Mahnungen, ein Ende des Blutvergießens zu machen, sind bisher ins Leere gelaufen, das heißt nicht, dass sie sinnlos sind. Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich am wichtigsten, tatsächlich jetzt alles zu unterstützen, was ein Übergreifen des Blutvergießens auf das Westjordanland verhindert.

Da wird man appellieren müssen an die Restvernunft der Beteiligten. Und dann denke ich, dass eine andere Priorität ist, so etwas wie humanitäre Korridore zu schaffen, das heißt, international jetzt zu versuchen, Zugang zu der betroffenen Zivilbevölkerung zu bekommen. Die Hilfswerke sind ja zum großen Teil auf der Flucht aus dem Gazastreifen, das heißt, auch die bisherigen Mechanismen der Unterstützung der Zivilbevölkerung sind nicht nur in Gefahr, sondern sind dabei kaputt zu gehen. Und um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, die ganz sicherlich im Augenblick droht, ist das eines der wichtigsten Punkte. Ansonsten, denke ich, ist eindeutig, dass diejenigen jetzt handeln müssen, die auch tatsächlich Zugang zu den Akteuren vor Ort haben. Heute trifft sich die Arabische Liga. Bei den arabischen Staaten gibt es natürlich Querverbindungen zu beiden Gruppierungen zur Fatah wie zur Hamas. Die sind vielleicht die Einzigen, die hier auch tatsächlich noch auf die Vorgehensweise vor Ort einwirken können.

Durak: Herr Erler, dürfte die internationale Gemeinschaft Hamas verhindern, sollte sich Hamas im Laufe der nächsten Zeit durchsetzen?

Erler: Ich habe die Frage nicht vernünftig verstanden.

Durak: Dürfte die internationale Gemeinschaft Hamas verhindern, gesetzt den Fall, Hamas setzt sich gegenüber der Fatah durch?

Erler: Also Sie meinen vom rechtlichen Standpunkt?

Durak: Wie auch immer, ignorieren, bekämpfen, wie auch immer.

Erler: Die internationale Gemeinschaft hat, also nach meiner festen Überzeugung, zunächst einmal eine Verantwortung eben für die Situation der Zivilbevölkerung. Es ist schwierig sich zu überlegen, in welcher Weise man jetzt in diesen Machtkampf eingreifen kann. Erstens sind Ergebnisse vorhanden. Es ist wohl klar, dass es eine eindeutige Kontrolle der Hamas des Gazastreifens gibt. Die Frage ist, was wird mit dieser Kontrolle jetzt eigentlich passieren, wie wird es weitergehen? Und wir haben nun diese offene Frage dieser Regierungskrise, das ist ja schon ein vorsichtiger Ausdruck, wie das da weitergeht, also wer überhaupt in Zukunft ein Ansprechpartner ist. Das ist deswegen eine ganz wichtige Frage, weil es ja, und das ist eigentlich die Tragödie, auf der anderen Seite in den letzten Wochen und Monaten einen Prozess gegeben hat, der durchaus ermutigt hat. Für den 26./27. Juni war oder ist sogar geplant ein neues Treffen des Nahost-Quartetts, wo auch Abbas und Olmert eingeladen werden sollten, wo man konkret versuchen wollte, jetzt mit beiden den Nahost-Friedensprozess wieder auf den Weg zu bringen. Jetzt ist die Frage, ist überhaupt ein Ansprechpartner da für die palästinensische Seite? Insofern haben wir hier eine verschüttete Chance im Augenblick durch dieses gewaltsame Vorgehen in den letzten Tagen, in dieser Woche im Gaza-Streifen.

Durak: Die Hamas war für dieses Gespräch nicht vorgesehen und könnte nun aber der künftige Partner, Verhandlungspartner, wie auch immer, der internationalen Gemeinschaft sein. Deshalb meine Frage.

Erler: Die Hamas ist ja Teil der Regierung der nationalen Einheit gewesen, die jetzt suspendiert worden ist vom Präsidenten der Palästinenser, und wäre insofern natürlich auch hier sozusagen indirekt Gesprächspartner gewesen. Es macht ja gar keinen Sinn, irgendwelche Kräfte völlig auszuschließen von einem Friedensprozess. Das wollte auch niemand. Aber wer jetzt überhaupt Partner sein kann, das ist zumindest aus heutiger Sicht nicht zu sehen, denn es ist wohl nicht vorstellbar, dass zum Beispiel ein Ministerpräsident, der sich der Absetzung, die nach Gesetz erfolgt ist durch die Auflösung dieser Regierung durch den dafür tatsächlich berechtigten Präsidenten, dann plötzlich der Partner wird. Das kann man sich nicht vorstellen.

Durak: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Erler.