Erler: EU braucht stabilen Balkan

Interview in der Frankfurter Rundschau, 31. März 2007 • Frankfurter Rundschau: Am Dienstag kommt der Status des Kosovo in den Sicherheitsrat. Die Westmächte sind für die Unabhängigkeit, Russland ist dagegen. Kann sich das bis nächste Woche noch ändern?

Gernot Erler: Bis nächste Woche vielleicht nicht, aber wir setzen sehr darauf, dass sich auch Russland konstruktiv an einer Lösung beteiligt, die letztendlich entscheidend für die Stabilität der gesamten Region ist. Die EU hat den Vorschlag von Martti Ahtisaari, der sowohl dem Wunsch der übergroßen Mehrheit der kosovarischen Bevölkerung Rechnung trägt als auch die legitimen Interessen der serbischen Minderheit im Kosovo berücksichtigt, einhellig begrüßt. Der Generalsekretär hat ihn angenommen und dem Sicherheitsrat weitergeleitet. Die deutsche EU-Präsidentschaft setzt darauf, dass jetzt eine Entscheidung zeitnah herbeigeführt werden muss.

Frankfurter Rundschau: Warum so schnell?

Gernot Erler: Die Lösung der Statusfrage ist eine der größten Herausforderungen unserer Ratspräsidentschaft. Die Frage der Stabilität auf dem Balkan wirkt sich unmittelbar auf die EU aus. Insofern gibt es hier keine Zeit zu verschenken. Auch der russische Vorschlag, eine Delegation des Sicherheitsrates in den Kosovo zu schicken, darf nicht zu einer zeitlichen Verzögerung führen. Aber er könnte vielleicht eine Brücke zu einer Verständigung mit Russland sein.

Frankfurter Rundschau: Der Ahtisaari-Plan liegt nun auch schon acht Wochen auf dem Tisch. Warum ist in dieser Zeit zwischen den Westmächten und Moskau nichts ernsthaft passiert?

Gernot Erler: Selbstverständlich wurde auch mit der russischen Seite geredet. Es hat außerdem noch zwei Verhandlungsrunden zwischen Belgrad und Pristina gegeben. Ahtisaari hat sich beweisbar bemüht und bei den Minderheitenrechten der Serben noch einmal nachgelegt. Jetzt bleibt gar nichts anderes übrig, als die Sache vom Sicherheitsrat entscheiden zu lassen.

Frankfurter Rundschau: Glauben Sie denn, dass die Russen wirklich eine Lösung wollen?

Gernot Erler: Die russische Seite weiß auch, dass von einer Stabilisierung im Kosovo und damit auch der politischen Diskussion in Serbien sehr viel abhängt. Wie gesagt, es gibt durchaus berechtigte Sorgen in Bezug auf die Gesamtstabilität in der Region.

Frankfurter Rundschau: Was will Moskau also?

Gernot Erler: Das ist auch für Leute, die sich mit der russischen Politik gut auskennen, nicht klar zu erkennen. Möglicherweise reagiert man jetzt ja auch darauf, dass die Kosovo-Kontaktgruppe immer wieder zu fünft, ohne Russland also, getagt hat, und will zeigen, dass es ohne Russland nicht geht. Das würde bedeuten, dass auch in Russland kein ernsthafter Plan für eine andere Lösung besteht und man nur auf die Wichtigkeit der eigenen Rolle hinweisen will.

Frankfurter Rundschau: Oder hat Moskau vielleicht ein Interesse daran, die EU-Südosterweiterung ein wenig zu stören? Vielleicht will man ja nicht, dass eines Tages auch in Serbien Nato-Raketen stationiert werden...

Gernot Erler: Dafür gibt es bislang keine Hinweise. Ich glaube, es ist ein irrationaler Faktor im Spiel. Ich frage meine russischen Gesprächspartner immer: Was wäre denn die Alternative, wenn es jetzt zu keiner Einigung kommt? Dann bekämen wir möglicherweise eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und einen beliebigen Anerkennungsprozess, wobei sehr wichtige Staaten gleich den Anfang machen würden.

Frankfurter Rundschau: Die USA und Großbritannien?

Gernot Erler: Das kann ich nicht ausschließen. Allerdings wäre ein solches Vorgehen auch ein Bärendienst an den serbischen Interessen in Bezug auf den Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo. Wir benötigen eine neue Resolution, um ein Mandat für die zukünftige internationale Präsenz festzulegen und das die notwendige rechtliche und politische Grundlage für die Stabilität in der Region bietet.

Frankfurter Rundschau: Wie würde Deutschland sich verhalten?

Gernot Erler: Wir, und damit meine ich nicht nur Deutschland, sondern die EU als Ganzes, setzen eindeutig auf die Lösung im Rahmen des Sicherheitsrates. Wir brauchen den Schutz der serbischen Minderheit und sehen zum Ahtisaari-Plan keine Alternative.

Frankfurter Rundschau: Weil es ohne Sicherheitsratsbeschluss auch keine gemeinsame europäische Position mehr gibt?

Gernot Erler: Wir haben in der Union eine große Gemeinsamkeit - obwohl einige Länder durchaus kritische Fragen gestellt haben, weil sie eine Signalwirkung für künftige Umfange von Minderheitenrechten fürchten.

Frankfurter Rundschau: Aber ohne Beschluss des Sicherheitsrats ist es mit der EU-Gemeinsamkeit wieder vorbei.

Gernot Erler: Darüber will ich nicht spekulieren. Aber dass eine geschlossene Position der EU wichtiger denn je ist, dürfte jedem Mitgliedsland bewusst sein.

Interview: Norbert Mappes-Niediek