Ist es richtig, dass sich Deutschland bei der Irak-Wiederaufbauhilfe so zurück hält? Interview im WDR 5 Morgenecho, 24. Oktober 2003

Ist es richtig, dass sich Deutschland bei der Irak-Wiederaufbauhilfe so zurück hält?

Moderator: Gernot Erler ist Politiker der SPD, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und dort zuständig für Außenpolitik. Herr Erler, ein zerstörtes Land wieder aufzubauen und dabei Großzügigkeit walten zu lassen, ist eine Investition in den Frieden. Wenn dieser Satz stimmt, warum beteiligt sich Deutschland dann am Projekt Wiederaufbau Irak nur mit einem vergleichsweise kleinen Betrag?

Erler: Das ist ja die Frage, ob das stimmt, dass das ein vergleichsweise kleiner Betrag ist. Ich finde, dass annähernd 200 Millionen, wenn man alles zusammenzählt, doch eine Summe ist. Wenn man sich mal überlegen würde, dass alle 70 Länder etwa in der gleichen Größenordnung, entsprechend ihrer Wirtschaftskraft, einen solchen Beitrag leisten würden, dann hätten wir keine Probleme mehr mit der Finanzierung des Wiederaufbaus im Irak.

Moderator: Na ja, andere Zahlen: Japan 1,5 Milliarden, Spanien 300 Millionen und bei der Summe, die Sie jetzt genannt haben, ist natürlich drin, auch humanitäre Hilfe, auch das was über die europäische Union gezahlt wird. Es bleibt ein kleiner Betrag Herr Erler.

Erler: Ich sehe das anders. Aber ich meine, man kann das mit Japan nicht vergleichen. Dann müsste ich anführen, was Deutschland auch anderswo leistet, z.B. auf dem Balkan mit 3.500 Soldaten, in Afghanistan mit 1.700 Soldaten. Mit einer Entscheidung, die heute im Bundestag alleine getroffen wird, dort noch einmal mit 450 Soldaten im Kampf gegen den Terrorismus sich zu engagieren. Und mit den großen Summen, allein mit 320 Millionen Euro für vier Jahre in Afghanistan, wo wir mit an der Spitze liegen, aller europäischen Staaten. Man kann also Irak nicht isoliert betrachten, sondern man muss sehen, was international insgesamt für Verantwortung übernommen wird. Und da sage ich einmal liegt Deutschland eindeutig ganz in der Spitzengruppe.

Moderator: Herr Erler wenn ich jetzt sage, sie, die Bundesregierung, will kein us-amerikanisches Besatzungsregime finanzieren, das obendrein auch noch die Aufträge für den Wiederaufbau US-Firmen zuschanzt, ist dann irgendwas falsch an dieser Aussage?

Erler: Nein, das ist nicht direkt falsch. Und zwar deswegen, dahinter steckt nicht irgendeine Kritik an Amerika, wie sie das organisieren dort, sondern eher eine konzeptionelle Frage. Wir haben ja ein Sicherheitsproblem. Und das ist das allerschlimmste im Irak und wir sehen auch nicht große Fortschritte im Augenblick da. Und wir bedauern sehr, zusammen mit anderen Ländern, auch mit anderen europäischen Ländern, dass unsere Vorschläge dort, nämlich sehr schnell nach einem Plan Mitverantwortung an die irakischen Behörden zu geben und eben für das "Nation-Building", also für die Wiederaufbauphase, für die Vorbereitung von Wahlen und Verfassung usw., doch die UNO die Hauptaufgabe machen zu lassen. Dass das, was unserer Auffassung, übrigens auch nach Erfahrungen in anderen Ländern, z.B. in Afghanistan, funktionieren kann, dass das nicht übernommen wird, das führt schon zu einer Hemmung, sich hier stärker zu engagieren, als das jetzt in Madrid passiert.

Moderator: Kommentare, die man in den USA lesen kann, die gehen noch weiter. Die sagen, sie wollen absichtlich US-Präsident Bush auf dem Haushaltsdefizit sitzenlassen, Sie wollen ihm nicht helfen im Irak, weil das vielleicht die Aussicht bringt, dass Bush die nächste Wahl in den USA verliert. Herr Erler was sagen Sie dazu.

Erler: Das ist völlig unverantwortlich solche Behauptungen aufzustellen. Erstens einmal ist es so, dass der amerikanische Präsident erfolgreich seine Forderungen an den Kongress durchgesetzt hat. Das Geld, was er also braucht im Irak, das hat er bewilligt bekommen. Und zweitens, ist es immer schon so gewesen, dass wir uns bei internationalen Fragen in erster Linie engagiert haben mit Blick auf die notleidende Bevölkerung. Das ist der Grund, weshalb Deutschland sich besonders im humanitären Bereich, auch im Irak, engagiert hat. Es gibt kaum eine Nation, die 50 Millionen Euro sofort hier zur Verfügung gestellt hat und damit auch in der Haushaltsberatung einen Posten geschaffen hat und auch weiter wir uns bei den europäischen Programmen und bei der unmittelbaren Hilfe im Wiederaufbau auf die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung konzentrieren. Das ist unsere Blickrichtung und die nicht amerikanische Innenpolitik. Unsere Möglichkeit, die zu beeinflussen, die halte ich sowieso für eher gering.

Moderator: Wenn die USA eine Mitwirkung der Vereinten Nationen gestatten würden, wenn es möglicherweise eine irakische, eine wirkliche irakische Regierung gäbe, wäre Deutschland dann großzügiger?

Erler: Ich bin sicher, dass hat auch der Bundeskanzler zugesagt, dass dann die Überlegung, sich an einzelnen Projekten zu beteiligen, ausgeweitet würden. Und man darf ja auch nicht vergessen, dass es hier noch ein anderes Angebot gibt, was eben gerade bei dieser Frage der Sicherheit, eine wichtige Rolle spielen kann. Wir haben Erfahrung in der Ausbildung von Polizei und auch so Polizei auszubilden, dass dann weitere Ausbildungsgänge vor Ort gemacht werden können, in eigener Verantwortung, das ist in Afghanistan der Fall. Und wir haben uns ja bereiterklärt, diese Erfahrungen auch jetzt im Irak anzuwenden, bisher gibt es darauf noch keine positive Antwort.