SPD-Fraktionsvize kritisiert sudanesische Regierung. Interview mit Gernot Erler im Deutschland Radio, 2. August 2004

SPD-Fraktionsvize kritisiert sudanesische Regierung

Ricke: Guten Morgen, Herr Erler.

Erler: Guten Morgen, Herr Ricke.

Ricke: Wie beurteilen Sie denn diese Taktiererei, sage ich mal, im Sudan? Mal sagt man, man erkennt die UN-Resolution an, dann heißt es wieder, man braucht mehr Zeit.

Erler: Das ist ein empörendes Verhalten, das aber zurückzuführen ist auf die schwache Reaktion im Sicherheitsrat und das Bewusstsein der sudanesischen Führung, dass sie dort starke Fürsprecher vor allen Dingen mit Russland und China haben, die sogar eigentlich versucht haben, jegliche Resolution des Sicherheitsrat zu vermeiden. Empörend ist es auch, weil die Führung in Karthum ja schon vor vielen Wochen im Juni gegenüber Kofi Annan und auch Colin Powell versprochen hat diese Janjaweed-Milizen zu entwaffnen und seitdem ist absolut, nachweislich nichts passiert.

Ricke: Was kann die Weltgemeinschaft denn jetzt tun, einen weiteren Monat zuschauen wie Tausende getötet und Zehntausende vertrieben werden, um sich dann wieder zusammensetzen, um wieder zu diskutieren?

Erler: Naja, das ist ja das Schlimme, dass die Weltgemeinschaft genau das beschlossen hat. Das heißt, es ist bereits ein Drittel der Bevölkerung in Dafur vertrieben, 50.000, das sind die neuesten Schätzungen, sind dabei ums Leben gekommen und über eine Million sitzen entweder in Lagern, in Flüchtlingslagern, sind unterwegs ohne jeden Schutz und ohne jede Nahrung und Wasser oder sie sind in den Tschad geflohen. Das heißt, dieser Beschluss wird darauf hinauslaufen, dass noch ein ganzer Monat länger diese Vertreibung weiter geht, denn das ist das Wahrscheinlichste, weil nach dem langen Warten, dass wir bisher erlebt haben, ist nicht, aus meiner Sicht, bei der Schwäche der Resolution, auch nicht zu erwarten, dass jetzt Al-Bashir, der Präsident, irgendeine andere Maßnahme ergreift, als einfach weiter zu machen.

Ricke: Glauben Sie denn, dass die UNO in vier Wochen, in sechs Wochen, in acht Wochen dem Sudan in den Arm fällt?

Erler: Es ist schwer vorauszusagen, weil es ist ganz offensichtlich, dass zwei Vetomächte, die das durchaus verhindern können, nämlich Russland und China, andere Interessen hier verfolgen. Man muss sagen, das ist schon eine unheilige Allianz zwischen zwei verschiedene Interessen. Einmal gibt es ganz konkrete wirtschaftliche Interessen, was das sudanesische Öl angeht. Hier ist ja auch vor acht Tagen ein hochdotierter Vertrag unter russischer und chinesischer Beteiligung abgeschlossen worden. Das andere ist eben, dass beide Länder ein Exempel in der UNO fürchten, Sie haben eigene Probleme mit Minderheiten, bei Menschenrechtsverletzungen, das gilt für Tibet in China, das gilt für Tschetschenien in Russland. Und deswegen versuchen diese beiden Länder trotz der Tragödie, die sie natürlich auch kennen, eine scharfe Reaktion der UNO verhindern, weil sie fürchten, das so etwas vielleicht einmal bei einem Fall, der sie selbst angeht, passieren könnte.

Ricke: Muss man blauäugig sein, um dabei zu überrascht sein, dass Eigeninteressen das Elend von Wehrlosen dominieren, dass Russland wegen der Sorge um Tschetschenien, dass China wegen der Sorge um Tibet, wegen der Sorge um die Menschenrechtsverletzungen, die in diesen Regionen ja weltweit bekannt sind, sich nicht um die Wehrlosen in Afrika kümmern?

Erler: Das Problem dabei ist doch, dass auf der Strecke am Ende das Prestige der Weltorganisation Vereinte Nationen bleiben wird. Ich gehe soweit zu sagen, dass man nicht mehr davon sprechen kann, dass ein Uganda, ein zweites Uganda droht, Entschuldigung Ruanda droht, sondern ich sage, ein zweites Ruanda ist schon da. Denn das alles, was bisher passiert ist und die schwache Reaktion des Weltsicherheitsrates bedeutet, dass wir eigentlich fast eine noch schlimmere Situation als vor zehn Jahren haben. Weil, hier hat sich ja der Sicherheitsrat mit der Lage befasst und am Ende steht eine ganz schwache Androhung von Maßnahmen, die nicht näher beziffert sind für den Fall, dass in dreißig Tagen nichts passiert nachdem schon zwei Monate nichts passiert ist. Das ist schon eine Art politische Bankrotterklärung, so dass im Grunde genommen im Augenblick nur noch eine Hoffnung bleibt, nämlich, dass die afrikanischen Staaten selber, die afrikanische Union, jetzt nicht weiter zuguckt. Sie hat ja schon beschlossen, wenn auch eine kleine Zahl Soldaten, nämlich dreihundert, in die Region zu schicken. Das ist schon eine komische Situation, dass die Weltorganisation sich selber außer Stande sieht, etwas zu machen und darauf hoffen muss, dass eine regionale Organisation von Staaten hier nicht einfach zusieht, dass diese Tragödie sich weiter fortsetzt.

Ricke: Sie attestieren dem Weltsicherheitsrat ein Versagen, Sie benutzen den Begriff Bankrotterklärung, können Sie sich vorstellen, dass eine Reform diese Gremiums mehr Effektivität und auch mehr Menschlichkeit bringen kann?

Erler: Ja unbedingt. Zum Glück ist das ja unterwegs. Wir wissen, dass der Generalsekretär Kofi Annan sich ganz entschieden sich für eine Reform einsetzt. Er hat auch ein Gremium von eminenten Personen beauftragt, hier bis zum Ende dieses Jahres einen Vorschlag zu machen. Und wir stehen möglicherweise ja vor einer Erweiterung des Sicherheitsrates, vor der Aufnahme von anderen Ländern vor allen Dingen aus den Kontinenten, die bisher noch nicht so stark vertreten sind. Und dann müsste im Grunde genommen auch die Frage des Vetorechts auf den Tisch, denn diese Blockademöglichkeiten, die da jetzt genutzt worden sind, die haben auch sehr viel mit diesem völlig veralteten Vetorecht von diesen fünf sogenannten permanent five, diesen permanenten fünf Staaten, die eben dieses Vetorecht haben, zusammen.

Ricke: Vielen Dank, Gernot Erler von der SPD.