Deutsches Engagement im Sudan? Interview mit Gernot Erler, SWR 2 Tagesgespräch, 16. September 2004

Deutsches Engagement im Sudan?

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler schließt nicht aus, dass sich die Europäer an einer Intervention im Sudan beteiligen werden. Allerdings sei es wegen des Engagements der Bundeswehr in Afghanistan und auf dem Balkan unwahrscheinlich, dass sich Deutschland direkt beteiligen würde. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, wenn die Sudan-Resolution, die heute im Europaparlament werden soll, von Völkermord in Darfur spricht, rücke eine Intervention oder zumindest ernsthafte Sanktionen näher.

Erler kündigte an, dass Deutschland dem geplanten Ausbilderprogramm der NATO im Irak unter amerikanischer Führung zustimmen, sich aber nicht selber daran beteiligen werde, weil diese NATO-Ausbilder unter amerikanischen Schutz Teil der US-Aktivitäten in der Region seien. Deutschland bleibe bei seinem eigenen Ausbildungsprogramm für irakische Sicherheitskräfte, das gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten außerhalb des Irak durchgeführt werde.

Wortlaut des Live-Gesprächs

Claus Heinrich: Wir sprechen über das mögliche deutsche Engagement in den Krisenregionen Irak und Sudan. Die NATO möchte nun etwa 100 Ausbilder für die irakische Armee vor Ort schicken. Die politisch brisante Frage unter wessen Führung das geschehen soll ist seit gestern beantwortet. Ausgerechnet die USA werden das Kommando übernehmen und die multinationalen Truppen, unter Führung der gleichen USA, den Schutz. Können und werden unter diesen Bedingungen auch Ausbilder der Bundeswehr in den Irak fahren können?

Gernot Erler: Nein. Das wird nicht der Fall sein. Ich bezweifle auch, dass Frankreich das machen wird. Hier liegt ja auch ein ganz anderes Angebot vor. Die Bundesrepublik hat ja schon eigene Vorbereitungen getroffen und wird in wenigen Tagen mit einem Ausbildungsprogramm gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten für irakische Sicherheitskräfte beginnen und zwar in den Vereinigten Arabischen Emiraten, unter anderem auch Ausbildung an einem deutschen 5-Tonner-Lastwagen von dem 100 für den Irak zur Verfügung gestellt werden. Das heißt: es wird keine deutsche Beteiligung an der Entsendung von diesem Ausbildungseinsatz in den Irak geben.

Claus Heinrich: Aber gleich wohl wird Deutschland diese Entscheidung der NATO, die ja noch nicht gefallen ist, mittragen. Bleibt da Deutschland seiner Kriegsgegnerschaft treu unter diesen Bedingungen?

Gernot Erler: Ja. Das ist also keine neue Entwicklung, sondern das hat der Bundeskanzler schon länger angekündigt, dass wenn es zu einem solchen Beschluss der NATO kommen würde, dass man den nicht blockieren will, das könnte man theoretisch, aber wenn alle anderen zustimmen, wird da Deutschland auch zustimmen, wird da aber auf die eigenen Anstrengungen verweisen und wird sich nicht an dem Ausbildungseinsatz vor Ort beteiligen. Es bleibt also an dem Prinzip: Ausbildung Ja, aber nicht im Irak selbst.

Claus Heinrich: Wie kann denn eine Verflechtung der NATO-Einheiten der Ausbilder die in den Irak selbst reingehen werden mit den Aktivitäten der multinationalen Truppen vermieden werden?

Gernot Erler: Das ist eben die Frage, die wir als außerordentlich kritisch ansehen, denn es ist völlig klar, es ist ja auch jetzt beschlossen, dass die Amerikaner selber im Grunde genommen den Schutz dieser Ausbilder übernehmen müssen und damit ist man natürlich auch Teil der ganzen amerikanischen Aktivitäten in der Region, das ist das eigentliche Problem.

Claus Heinrich: Schwierig ist offenbar für Deutschland auch, besser gesagt für Europa, ein mögliches Engagement im Sudan. Etwas diplomatisch verquält hat das Außenamt den Tod zehntausender Menschen in Darfur als eine „humanitäre und menschenrechtliche Tragödie mit genozidalen Potenzialen" bezeichnet. Warum kommt denn der Bundesregierung nicht das Wort Völkermord über die Lippen?

Gernot Erler: Ja, das hat weniger mit dem Vorfall zu tun, bei dem Völkermord wo es ein durchaus ein angebrachter Begriff ist, wenn man von jetzt annähernd von 50.000 Toten redet, sondern damit, dass das Konsequenzen hätte für das weitere Vorgehen. Die europäischen Ländern wollen sich eine mögliche Verhandlungslösung im Sudan nicht verbauen, während Amerika eindeutig auf eine Intervention oder jedenfalls Sanktion gegen den Sudan marschiert, ohne allerdings zu wissen, wie es dafür in dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Zustimmung kriegen soll. Denn wir haben mindestens zwei Veto-Länder im Sicherheitsrat, nämlich China und Russland, die sehr enge wirtschaftliche Beziehungen auch mit dem Sudan unterhalten, auch im Öl-Geschäft und die bisher es strikt ablehnen mit irgendeiner Sanktionsdrohung, schon gar nicht gegen das sudanesische Öl-Geschäft hier zu arbeiten und daran haben sich bisher auch die anderen die Zähne ausgebissen. Es gibt eben nach wie vor keinen konsensfähigen Resolutionstext.

Claus Heinrich: Aber gleich wohl werden die Amerikaner in diesem Punkt von den Europäern offen unterstützt und das hätte ja letztlich auch die Konsequenzen, wenn es eine Resolution gäbe, eventuell auch mit dem Hinweis auf das Wort Völkermord. Können Sie sich vorstellen, dass Europa - möglicherweise sogar Deutschland selbst - irgendwann Truppen entsendet in den Sudan, auf Aufforderung der Afrikanischen Union beispielsweise?

Gernot Erler: Verteidigungsminister Peter Struck hat das nicht ausgeschlossen und wir können es auch nicht ausschließen, weil dann insgesamt im Grunde genommen ein solcher Beschluss auch nicht glaubwürdig wäre, aber ich halte es trotzdem für eher unwahrscheinlich, von deutscher Sicht aus gesehen. Wir haben im Augenblick eine außerordentlich angespannte Situation in Afghanistan, wo am 9. Oktober Wahlen stattfinden. Dort werden die Aktivitäten der Taliban-orientierten und Al Kaida-orientierten Kräfte stärker um diese Wahlen noch zu verhindern. Deutschland ist alleine mit über 2.500 Soldaten da tätig, und dazu kommt das anhaltende Engagement in der Balkan-Region mit mehr als 3.500 Soldaten. Das macht es eher unwahrscheinlich, dass Deutschland jetzt an erster Stelle stehen wird, wenn die Vereinten Nationen auch Europäer auffordern werden vielleicht ein Kontingent dahin zu schicken. Und bisher gibt es ja auch noch die Möglichkeit, dass eine andere Lösung gefunden wird, aber inzwischen hat die UN auch eine konkrete Anfrage an die NATO gestellt, ob sie hier tätig werden würde und das wird jetzt natürlich sehr ernsthaft dort geprüft.

Claus Heinrich: Das Europaparlament debattiert heute über eine Sudan-Resolution und da steht das Wort Völkermord sehr wohl drin. Wenn das so durchkommt im Europaparlament wären dann schon Fakten geschaffen, an die sich dann die Europäer halten müssen oder spielt das Votum des Parlaments da keine große Rolle?

Gernot Erler: Diese Sprachfrage ist wirklich wichtig, denn wenn vom Europaparlament das Wort Völkermord benutzt wird, dann bedeutet das, dass auch die Europäer sich zunehmend auf den Weg begeben, eingreifen zu müssen. Natürlich kann Europa auch keinen Völkermord in Afrika zulassen. Wir haben in der Erinnerung noch die schrecklichen Vorgänge in Ruanda und das Schuldbewusstsein darüber, dass damals nicht rechtzeitig eingegriffen worden ist und der Sudan tanzt eindeutig der Weltgemeinschaft auf der Nase rum, also dann würde eine Intervention oder zumindest ernsthafte Sanktionen gegen den Sudan einfach näher rücken.