Erler: Gefahr eines internationalen Wettrüstens droht

SPD-Politiker fordert Druck aus der Öffentlichkeit • Interview im Deutschlandradio,  6. März 2007 

Moderation: Leonie March

Der Staatminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hat weitere Schritte zur Abrüstung verlangt. Der Vertrag zur konventionellen Abrüstung sei noch nicht ratifiziert worden, sagte Erler. Vor diesem Hintergrund und angesichts der geplanten Raketenabwehr habe Russlands Präsident Putin zu Recht vor einem neuen Wettrüsten gewarnt.

Leonie March: Der Atomstreit mit dem Iran, die Verhandlungen über das nordkoreanische Atomprogramm, der Streit zwischen Moskau und Washington über die US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien, nur einige Themen, die die Frage nahe legen, wie gefährlich die Zeiten nach Ende des Kalten Krieges sind, wie hoch die sicherheitspolitischen Risiken durch Massenvernichtungs- und konventionelle Waffen. Die Zahl der Länder, die darüber verfügen, hat stetig zugenommen, vor allem in Asien im Nahen Osten und im Mittleren Osten. Welche Rolle vor diesem Hintergrund Abrüstungs- und Rüstungskontrolle spielen, darüber diskutieren seit gestern Experten beim Forum Globale Fragen in Berlin. Eingeladen dazu haben das Auswärtige Amt und die Deutsche Stiftung Friedensforschung, und natürlich nimmt auch der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, daran teil. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen!

March: In den 80er Jahren standen die Themen Rüstungskontrolle und Abrüstung international ja ganz oben auf der Agenda. Wo stehen sie heute?

Erler: Sie stehen eben nicht im Zentrum des Interesses der Öffentlichkeit. Der Druck sozusagen auch aus der Öffentlichkeit hat nachgelassen, hier etwas zu erreichen, und das ist auch mit ein Grund, warum wir im Auswärtigen Amt dieses Forum Globale Fragen jetzt dem Thema Abrüstungskontrolle und Rüstungskontrolle gewidmet haben. Wir wollen, dass wieder mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema entsteht.

March: Nun ist die Welt ja nicht unbedingt sicherer geworden. Es gibt ernst zu nehmende Gefahren. Wie also ist es zu erklären, dass das Interesse so klein ist?

Erler: Ich glaube, dass insgesamt das Thema nukleare Rüstung mit dem Ende des Kalten Krieges weniger Aufmerksamkeit bekommt. Wir sind auch alle irgendwie noch immer der Hoffnung, dass doch mit dem Ende dieser Blockkonfrontation weniger Rüstung stattfindet. Aber leider ist die Realität anders, und vor allem die Frage der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen muss uns sehr beschäftigen, weil hier doch deutliche Gefahren zu erkennen sind.

March: Das heißt, wir leben eher in einer Zeit der Auf- statt der Abrüstung?

Erler: Durchaus in der Gefahr jedenfalls der Aufrüstung, und längst ist nicht das erreicht worden, was mal in den 80er, 90er Jahren verhandelt worden ist, und wo man hoffen konnte, dass doch insgesamt eine substantielle Abrüstung der offiziellen Atommächte schnell vorangeht, und das macht es schwierig, den Grundgedanken der Nichtverbreitung, der immer geknüpft und gekoppelt war an die Abrüstung der offiziellen Nuklearmächte, da Fortschritte zu machen.

March: Werden denn diese bestehenden Verträge und Vereinbarungen zur Abrüstungs- und Rüstungskontrolle von den Staaten nicht eingehalten oder werden sie umgangen?

Erler: Na ja, das ist nicht so ganz genau erkennbar. Zumindest gibt es schon mit dem wichtigsten Vertrag bei der atomaren Rüstung, nämlich dem Nichtweiterverbreitungsvertrag, dem so genannten NPT, eine Verpflichtung der Atommächte abzurüsten. Und es ist jetzt interessant und auch alarmierend zu sehen, dass die Staaten, die wir ansprechen müssen, weil sie im Verdacht stehen, dass sie sich Atomwaffen zulegen sollen, ich spreche jetzt besonders auch vom Iran, neuerdings sehr vehement darauf hinweisen, dass dieser Teil der Selbstverpflichtung der Atommächte doch sehr langsam vorangeht und praktisch dadurch dieser Vertrag nicht eingehalten wird. Das stellt die ganze Politik der Nichtverbreitung in Frage und muss deswegen behandelt werden in der internationalen Politik.

March: Die USA haben ja jetzt angekündigt, neue Atomsprengköpfe zu bauen. Russland und China sind damit nicht einverstanden und werfen Washington vor, für die Abrüstungsverhandlungen mit den Iran und Nordkorea ein falsches Signal zu senden. Sehen Sie das auch so?

Erler: Es ist noch eine Diskussion im Gange, auch in Amerika selbst. Dieses Programm ist noch weit davon entfernt, sich auf eine politische Zustimmung im eigenen Land verlassen zu können. Die Argumentation aus dem Pentagon ist, dass es sich nicht um neue Atomwaffen handelt, sondern praktisch um einen Ersatz von veralteten Systemen durch neue, die sicherer sind in der Handhabung, die also Sicherheit eher erhöhen, ohne eine neue Bedrohungsqualität oder so etwas zu erzeugen. Aber bisher hat diese Argumentation auch im eigenen Land noch längst nicht alle überzeugt, und wir müssen da abwarten, wie die inneramerikanische Auseinandersetzung hier zu Ende geht.

March: Könnten die neuen amerikanischen Atomsprengköpfe also den Beginn eines neuen weltweiten Wettrüstens markieren?

Erler: Ich glaube, dass die Gefahr eines internationalen Wettrüstens eher durch die Unstimmigkeiten über andere Vertragsgebiete ausgelöst werden kann. Hierzu hat ja Vladimir Putin, der russische Präsident, einen wichtigen Beitrag bei dieser Münchener Sicherheitskonferenz geleistet, wo er zum Beispiel auf die Nichtratifizierung des angepassten KSE-Vertrages, da geht es um die konventionelle Abrüstung, hingewiesen hat und auf die Ausdehnung der NATO und auf das Programm der Raketenabwehr und gesagt, das alles zusammen könnte eine neue Rüstungswelle auslösen, und deswegen sind wir eindeutig gehalten, jetzt über alle diese Punkte auch im westlichen Bündnis zu sprechen. Das ist auch die Position des deutschen Außenministers, der hier gesagt hat, wir müssen mehr auch mit Russland über diese Themen reden, eben um genau einen solchen neuen Rüstungswettlauf zu verhindern.

March: Inwiefern muss sich denn die Rüstungskontrolle, das ist ja ein Thema auch der Tagung, auf diese neue Entwicklung einstellen?

Erler: Ja, die Rüstungskontrolle kann immer nur dann funktionieren, wenn wir Fortschritte bei den Verträgen machen. Dazu gibt es ja eine ständige Konferenz, die Genfer Abrüstungskonferenz, und die wird zum Beispiel im Augenblick dadurch blockiert, dass es keine Fortschritte bei einer Vereinbarung über ein Verzicht auf Rüstung im Weltraum kommt, das heißt, hier haben wir vier verschiedene Themenbereiche, von denen wir eines, nämlich zum Beispiel die Unterbrechung der Herstellung von atomar nutzbarem Material schon sehr weit fortgeschritten ist, wo man zu einem Abschluss kommen könnte, leider blockiert durch die Weigerung der Vereinigten Staaten, auch nur über ein Rüstungsbegrenzungsabkommen im Weltall zu reden. Auch hier brauchen wir dringend Bewegung bei den Genfer Verhandlungen.

March: "Neue Wege der Rüstungskontrolle", das ist der Titel der Tagung in Berlin. Führen die alten Wege inzwischen ins Leere?

Erler: Neue Wege heißt vor allen Dingen, dass wir die Bedeutung dieses Bereichs wieder erkennen, dass wir mehr öffentliche Aufmerksamkeit dafür erzeugen, dass wir auch Druck entfalten und unterstützen aus den Gesellschaften, aus der öffentlichen Meinung, damit dieses Thema den Stellenwert wieder bekommt, den es nach unserer Auffassung zu Recht beanspruchen kann.

March: Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, war das im Gespräch mit der Ortszeit. Vielen Dank dafür.