Deutsche Drohnen in Ostukraine

"Probleme zurzeit auf keinen Fall überwindbar"

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann, Deutschlandfunk, 17. Oktober 2014

"Ich habe große Zweifel daran, ob es zu einem Drohneneinsatz kommt", sagte Gernot Erler (SPD), der Osteuropa-Beauftragte der Bundesregierung, im DLF. Bei dem Einsatz deutscher Drohnen über der Ostukraine im Auftrag der OSZE gebe es nicht nur technische, sondern auch erhebliche rechtliche und politische Probleme.

Bei dem Drohneneinsatz müsse es eine militärische Sicherheitskomponente geben, die nur schwer mit den Regeln der OSZE zu vereinbaren wäre, sagte der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler, im Deutschlandfunk. Diese Hürden seien noch nicht überwunden.

Beim Europa-Asien-Gipfel in Mailand müsse es jedoch vor allem um den Einstieg in ein neues Verhandlungsformat im Ukrainekonflikt gehen, so Erler. "Wir brauchen auf höherer Ebene einen ständigen Gesprächskontakt", forderte der SPD-Politiker. Der Westen habe erkannt, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gebe und sei entschlossen, eine politische Lösung zu suchen.

Der Mailand-Gipfel biete eine große Chance, auf die russische Politik Putins einzuwirken. Neben der Einhaltung der Waffenstillstandvereinbarung sei hier besonders eine unabhängige Grenzkontrolle wichtig. Außerdem müsse Putin seinen angekündigten Truppenabzug umsetzen.

Das Interview in voller Länge:

Dirk-Oliver Heckmann: Vielleicht bleibt das Treffen ja folgenlos, das Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und seinem Amtskollegen Poroschenko am Rande des ASEM-Gipfels in Mailand. Vielleicht aber auch nicht! Vielleicht ist das Treffen eine wichtige Etappe zur Beilegung des heftigen Konflikts um die Ukraine. Bundeskanzlerin Angela Merkel aber machte bereits gestern in einer Regierungserklärung klar, wer aus ihrer Sicht für sie am Zug ist.

Angela Merkel: "Den entscheidenden Beitrag zur Deeskalation muss Russland leisten."

Erler: Soweit Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern im Bundestag. - ASEM-Gipfel, diesen Namen trägt das Treffen von Dutzenden Staats- und Regierungschefs aus Europa und Asien. Normalerweise steht die Zusammenkunft nicht so sehr im Blickpunkt. Diesmal ist es aber anders: Da sind die enormen Schwierigkeiten, die Ebola-Seuche unter Kontrolle zu bringen, da ist die Bedrohung durch den selbst ernannten Islamischen Staat, die lahmende Weltkonjunktur kommt hinzu, also eine ganze Menge an ernsthaften Themen, die die Staats- und Regierungschefs in Mailand beschäftigen werden.

Mit besonderer Spannung aber wird das Treffen vor allem aus einem Grund verfolgt. Für heute nämlich ist ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und seinem Amtskollegen aus der Ukraine Poroschenko angesetzt. In der Nacht sprach Putin bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Am Telefon ist nun Gernot Erler von der SPD. Er ist Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft. Guten Morgen, Herr Erler.

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Heckmann.

"Frühstücksgespräch mit Putin und Poroschenko ist eine große Chance"

Heckmann: Herr Erler, reihenweise hatte man ja multilaterale Treffen mit Russland abgesagt. Die G-8-Runde hat man zum G7-Format zurückgeschrumpft als Konsequenz aus dem Verhalten des russischen Präsidenten Putin in der Ukraine-Krise. Von einem Boykott oder einer Absage des ASEM-Gipfels in Mailand war hingegen nie die Rede. Haben Sie eingesehen, hat der Westen eingesehen, dass man ohne Putin, ohne Russland nicht weiterkommt?

Erler: Auf jeden Fall ist man entschlossen, einen Versuch zu machen, eine politische Lösung für diesen Konflikt, der ja nun schon Monate andauert und schon fast 4000 Menschen das Leben gekostet hat, zu suchen. Und dazu muss man dann eben Gelegenheiten benutzen. Weil es keinen ständigen Kontakt gibt, muss man zum Beispiel so etwas, was gar nicht dafür vorgesehen ist, wie den ASEM-Gipfel benutzen, um ins direkte Gespräch zu kommen, während sonst nur das Telefon zur Verfügung steht.

Heckmann: Jetzt hat es ja gestern Abend das Gespräch gegeben, ein längeres Gespräch, ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin. Die russische Seite, die sprach danach davon, dass weiterhin erhebliche Differenzen existierten. In welchem Klima ist das Gespräch abgelaufen? Was wissen Sie darüber?

Erler: Na ja. Ich meine, die Vorbereitung war natürlich nicht gerade ideal durch diese massive Verspätung von Putin, der in Belgrad war. So ein bisschen nachvollziehen kann man das ja. Da ist er sehr, sehr freundlich empfangen worden und behandelt worden und er weiß, dass es natürlich in Mailand sehr viel ungemütlicher ist. Er hat sich verspätet. Aber dann hat es bis fast zwei Uhr morgens ein zweieinhalbstündiges Gespräch gegeben.

Naturgemäß kriegt man natürlich jetzt noch keine Einzelheiten dafür geliefert, denn das war ja die Vorbereitung für dieses Frühstücksgespräch, was heute Morgen dann stattfinden soll in breiterer Runde mit Cameron, mit Hollande, mit Renzi, mit Barroso und van Rompuy wahrscheinlich und eben Poroschenko und Putin.

Und das ist natürlich eine große Chance, jetzt noch mal auf die russische Politik einzuwirken, die bisher nicht eindeutig etwas, was sie unterschrieben hat, nämlich die Waffenstillstandsvereinbarung vom 5. September in Minsk, umzusetzen. Und das erschwert natürlich eine politische Lösung, wie sie der Westen anstrebt, ganz erheblich.

"Auf jeden Fall gibt es da eine Mitverantwortung für Moskau"

Heckmann: Angela Merkel hat gestern im Bundestag gesagt, der Großteil der Bemühungen zur Beilegung der Krise und des Konflikts muss von Moskau kommen. Was genau erwartet die Bundesregierung jetzt von Moskau?

Erler: In diesem Abkommen, in dieser Vereinbarung vom 5. September - und da gab es am 9. September noch mal ein Memorandum über die Umsetzung - steht drin, dass alles Gerät, alle Personen, bewaffnete Kräfte aus der Ostukraine abgezogen werden müssen. Da steht drin, dass es eine unabhängige Überprüfung der Grenze, eine Kontrolle der Grenze zwischen Russland und der Ukraine mit Hilfe der OSZE geben soll. Da steht auch drin, dass die Regeln für Kommunal- und Regionalwahlen, wann die stattfinden sollen, mit einem Sonderstatus für diese beiden Städte Lugansk und Donezk, darin stehen sollen. All das ist bisher nicht erfüllt worden, auch nicht die Waffenruhe und eine Bildung von einer zweimal 15 Kilometer breiten Pufferzone.

Heckmann: Und daran ist Moskau schuld?

Erler: Auf jeden Fall gibt es da eine Mitverantwortung für Moskau, weil diese Zone bisher noch gar nicht so eingerichtet worden ist, und dafür haben auch die Separatisten eine Mitverantwortung. Aber am wichtigsten ist diese Grenzkontrolle, weil ja ohne eine solche unabhängige Grenzkontrolle jederzeit wieder Waffen und auch Personen über die Grenze kommen können und die Separatisten unterstützen, und das war ja genau der Sinn dieser Vereinbarung, dass das beendet wird.

Und nachdem wir auch keine Bestätigung dafür haben, dass Putin das wahr macht, was er angekündigt hat, nämlich die 17.600 Soldaten, die sich im unmittelbaren Grenzgebiet befinden, abzuziehen, macht das natürlich große Sorge beim Westen, dass hier diese Vereinbarung nicht umgesetzt wird.

"Der ukrainische Teil der Vereinbarung ist umgesetzt worden"

Heckmann: Putin - das hat er ja klar gemacht in seinem Interview, das ja kurz vor dem Treffen in Mailand erschienen ist, dass er die Verantwortung nicht bei sich und bei Moskau, sondern bei der Sanktionspolitik des Westens sieht, die Verantwortung für die derzeitige Situation.

Muss der Westen nicht in der Tat seine Parteinahme allein für Kiew überdenken, denn auch auf ukrainischer Seite gibt es ja nun Hinweise darauf, dass Kriegsverbrechen begangen worden sind, und die Beteiligung des rechten Sektors zum Beispiel an der Regierung in Kiew, die wurde nie so wirklich deutlich angeprangert?

Erler: Na ja. Ich meine, in der jetzigen Situation gibt es schon einen Unterschied. Ich habe ja eben gesagt, was alles noch nicht umgesetzt ist von Dingen, die man nicht von Putin verlangt, sondern die von der russischen Seite unterschrieben worden sind.

Auf der anderen Seite hat Poroschenko, salopp ausgedrückt, geliefert, und das war nicht einfach für ihn. Dieses Sonderstatut für diese ostukrainische Region mit Donezk und Lugansk, das war ein erhebliches Zugeständnis. Da steht ja drin, dass es hier eine weitgehende Autonomie dieses Gebietes geben soll bis hin zum Recht, eigene Milizen aufzustellen, bis hin zum Recht, teilweise Steuern erheben zu können, bei Richterwahl und Bestimmung von Staatsanwälten mitreden zu können.

Das ist eine erhebliche Autonomie und das hat Poroschenko im Wahlkampf auch sofort heftige Kritik von den Nationalisten eingebracht. Das heißt, der ukrainische Teil der Vereinbarung ist umgesetzt worden, aber nicht der russische, und da ist es keine einseitige Parteinahme, wenn man jetzt versucht, auf Putin einzuwirken, wie das in Mailand passieren soll, doch das, was er unterschrieben hat, auch umzusetzen.

"Wir brauchen ein neues Verhandlungsformat"

Heckmann: Aber es gibt ja immerhin Signale von Moskau aus, die möglicherweise bedeuten sollen, dass man dort in Moskau auch eine Kursänderung vornimmt. Putin hat seine Truppen angewiesen, sich zurückzuziehen. Zumindest ist es eine Ankündigung. Die NATO sagt, sie sieht noch keine Truppenbewegungen. Aber muss man so was nicht aufgreifen? Muss man nicht versuchen, solche Ansätze aufzugreifen, um eine positive Entwicklung herbeizuführen?

Erler: Natürlich! Wir haben eine doppelte Situation im Augenblick. Einerseits hat verbal Putin jetzt vor diesem Treffen in Mailand ganz schön um sich geschlagen. Er hat Obama Feindseligkeit vorgeworfen, er hat von Erpressungsversuchen von westlichen Staaten gegenüber Russland gesprochen.

Auf der anderen Seite hat er sich zweieinhalb Stunden mit der Kanzlerin hingesetzt. Er setzt sich heute Morgen den sicherlich kritischen Partnern gegenüber, wo er genau weiß, dass sie von ihm vieles erwarten. Und er hat diese Geste der Ankündigung gemacht. Das kennen wir allerdings schon. Solche Ankündigungen sind schon ein paar Mal gekommen mit dem Truppenabzug. Und jetzt sagt die NATO, bisher ist nicht viel davon umgesetzt.

Also es ist eine Situation, die zweischneidig ist. Aber der Westen ist entschlossen, auf jeden Fall auf der Basis der Erkenntnis, eine militärische Lösung gibt es nicht für diesen Konflikt, eine politische Lösung zu suchen, und da kann Mailand jetzt ein wichtiger Zwischenschritt sein.

Denn was wir im Grunde genommen ja auch brauchen ist der Einstieg in ein neues Verhandlungsformat.

Die Frage ist ja: Wie weit kann eigentlich diese Kontaktgruppe mit nicht sehr hochrangigen Vertretern von der Ukraine, von Russland unter der Leitung der OSZE und natürlich auch mit Beisein der Separatisten noch nach dem Waffenstillstand weitere Ergebnisse erzielen? Wir brauchen jetzt auf einer höheren Ebene einen ständigen Gesprächskontakt und ich hoffe, dass von Mailand vielleicht ein Signal in diese Richtung ausgeht.

Heckmann: Herr Erler, die "Bild"-Zeitung meldet heute, dass der Einsatz von deutschen Drohnen, die vorgesehen waren für den Einsatz in der Ostukraine, dass dieser Einsatz infrage steht, weil diese Drohnen für die kalten Temperaturen dort nicht ausgelegt seien. Wie peinlich ist das für Deutschland, wenn es so ist?

Erler: Das ist ein technisches Problem dieses Luna-Systems, dass das bei Temperaturen von unter 19 Grad nicht mehr sicher gesteuert werden kann. Deswegen war das Angebot, was aus dem Verteidigungsministerium kam, von vornherein immer nur bis Ende dieses Jahres ausgelegt. Es hat sich aber herausgestellt, dass es erhebliche rechtliche und auch politische Probleme hier gibt, denn es muss eine militärische Sicherungskomponente bei dem Einsatz dieses Systems geben, und das ist schwierig mit den Regeln der OSZE zu vereinbaren. Das ist auch schwierig, weil natürlich hier auch die Ukraine und Russland zustimmen müssten, die beide ja auch Mitglied der OSZE sind, und hier sind diese Probleme auf keinen Fall in irgendeiner Weise im Augenblick - das sieht auch nicht so aus - überwindbar.

Heckmann: Das heißt, es wird in absehbarer Zeit keinen Einsatz dieser Drohnen geben?

Erler: Ich habe da große Zweifel daran, ob es zu einem solchen Einsatz tatsächlich kommt. Die Zeit rennt ja auch ein bisschen davon. Bisher sind die Hürden, die da sind, noch nicht überwunden.

Heckmann: Der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft, Gernot Erler war das von der SPD. Herr Erler, danke Ihnen für Ihre Zeit!

Erler: Gerne!

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