"Wir haben Putin durchschaut"

Handelsblatt, 15. September 2014 

Der Russland-Beauftragte fordert zum Einlenken auf.

Den SPD-Politiker Gernot Erler haben deutsche Wirtschaftsvertreter lange als Fürsprecher Russlands in Deutschland gesehen. Gegnern gilt er als "Putin-Versteher". Doch inzwischen schlägt der Russland-Beauftragte der Bundesregierung besorgte Töne an.

M. Brüggmann: Herr Erler, rutschen wir jetzt in eine Sanktionsspirale?

Gernot Erler: Tatsächlich ist die Taktung neuer Sanktionen immer kürzer geworden. Aber unser Prinzip ist immer gleich geblieben: Es gibt neben den Sanktionen immer die offene Tür, durch die Russland gehen kann. Dann würden die Sanktionen rückgängig gemacht.

M. Brüggmann: Aber was sagen Ihnen deutsche Wirtschaftsvertreter?

Gernot Erler: Bei mir sind ständig sorgenvolle Manager, die wissen wollen, wie es mit Russland weitergeht und ob die Sanktionen zurückgedreht werden können.

M. Brüggmann: Was antworten Sie ihnen auf die Frage, ob die Sanktionen überhauptwirken?

Gernot Erler: Das, was wir uns erwünscht haben - dass Russland zu einem konstruktiven und belastbaren Verhalten zurückkehrt -, ist noch nicht eingetroffen. Aber immerhin haben wir jetzt einen Waffenstillstand in der Ostukraine und Signale, dass die unter OSZE-Vermittlung getroffenen Abmachungen in Sachen Abzug russischer Soldaten und einer Grenzüberwachung in Gang kommen. Das kam wegen des westlichen Drucks. Russland muss verstehen, dass es zu einer Lösung beitragen muss.

M. Brüggmann: Sehen Sie denn kein Einlenken?

Gernot Erler: Wir haben Putins Spielchen durchschaut, vor EU-Entscheidungen immer positive Signale zu senden und danach die Hoffnungen zu enttäuschen. Deshalb haben wir jetzt den Spieß umgedreht und am Freitag harte Wirtschaftssanktionen in Kraft gesetzt - die aber jederzeit bei einem Entgegenkommen Russlands schnell wieder aufgehoben werden können. Russland zögert derzeit noch mit Gegenmaßnahmen. Und wir sind Russland auch entgegengekommen.

M. Brüggmann: Mit der Entscheidung, das Freihandelsabkommen erst Ende 2015 in Kraft zu setzen?

Gernot Erler: Ja, das ist ein besonders konstruktives Signal. Russland hat über 2000 Änderungsvorschläge eingereicht zum Freihandelsabkommen EU-Ukraine und dessen Vereinbarkeit mit Russland und der GUS. Wir wollen jetzt verhandeln über die russischen Bedenken und diese zerstreuen mit der Suche nach einem Kompromiss. Wir zeigen so die eindeutige Geste, dass es uns nicht um Druck gegen Russland geht, sondern um Interessenausgleich.

M. Brüggmann: Herr Erler, vielen Dank für das Gespräch.