Noch viele Opfer in der Ostukraine zu erwarten

Nordwest-Zeitung, 4. Juli 2014

Ein Interview von Andreas Herholz 

Frage: Heftige Kämpfe und sogar Luftangriffe auf die Separatisten - die Lage in der Ost-Ukraine spitzt sich wieder gefährlich zu. Droht jetzt eine neue Eskalation?

Erler: Ja, nachdem die zehntägige Waffenruhe leider nicht genutzt wurde, sind jetzt wieder heftige Kämpfe in der Ostukraine ausgebrochen. Präsident Poroschenko hat geltend gemacht, dass während der Waffenruhe 27 ukrainische Sicherheitskräfte getötet und weit mehr als 70 verletzt worden sind. Solche Zahlen sind schwer zu verifizieren. Auf der anderen Seite gibt es Berichte, dass es auch Kampfhandlungen der ukrainischen Sicherheitskräfte gegeben hat. Auf jeden Fall hatten Separatisten gewaltsam drei Grenzübergänge übernommen, so dass Waffen über die Grenze geschafft werden können. Am Verhandlungstisch konnte leider keine Lösung erreicht werden, wie man darauf regieren soll. Das hat dazu geführt, dass Kiew jetzt auf eine militärischen Einsatz gegen Separatisten setzt. Wir erleben jetzt eine dramatische Weiterentwicklung des Konfliktes. Ich fürchte, es sind noch sehr viele Opfer zu erwarten.

Frage: Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Beendigung der Waffenruhe beklagt und warnt vor kriegerischen Auseinandersetzungen. Ein Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken?

Erler: Ganz offensichtlich ist der russische Präsident von dem Ende der Waffenruhe und der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen überrascht worden. Putin hat sehr starke Worte gewählt und sich für Russland vorbehalten, alle vom Völkerrecht erlaubten Maßnahmen bis hin zur humanitären Intervention und zur Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung geltend zu machen. Offenbar will Putin auf keinen Fall einen Gesichtsverlust hinnehmen, was den von ihm garantierten Schutz der Landsleute und sich zu Russland bekennenden Bewohner der Ostukraine angeht.

Frage: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat seine Amtskollegen aus Russland, der Ukraine und Frankreich zum Krisentreffen nach Berlin gebeten. Was lässt sich mit diesen Gesprächen erreichen?

Erler: Wir müssen erreichen, dass die militärischen Auseinandersetzungen gestoppt werden, dass die Waffen wieder ruhen. Es darf nicht die Illusion genährt werden, dass es eine militärische Lösung des Ukraine-Konflikts geben könnte.