Erler: Russland ist genauso abhängig wie wir

Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, 11. Januar 2007 

Der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler sieht Deutschland in einer Mittlerrolle in den komplizierten Beziehungen zwischen Brüssel, Osteuropa und Moskau.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Erler, verändert der zweite russische Energielieferstopp binnen zwölf Monaten das Vertrauensverhältnis zwischen Berlin und Moskau?

GERNOT ERLER: Es ist jedenfalls ein Prozess, der im Widerspruch zu den guten Erfahrungen steht, die gerade Deutschland 40 Jahre lang in der Energie-Zusammenarbeit mit der früheren Sowjetunion und der späteren Russischen Föderation gemacht hat. Das zwingt die EU, ihre Bemühungen um einen Dialog mit Russland über diese Zusammenarbeit zu intensivieren.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Es gibt Befürworter einer engeren wirtschaftlichen Kooperation, die dem russischen Energiekonzern Gazprom auch Zugang zu deutschen Stadtwerken geben könnte.

ERLER: Die gegenwärtige Krise vermittelt den falschen Eindruck einer einseitigen Abhängigkeit Westeuropas von russischen Energielieferungen. In Wirklichkeit, das spiegelt sich auch in den augenblicklichen Bemühungen Präsident Putins wider, gibt es eine wechselseitige Abhängigkeit. Russland braucht den Erfolg dieser Exportpolitik. Wir glauben, dass man die enge Verflechtung der Volkswirtschaften noch intensivieren sollte, damit es ein gemeinsames Interesse am Funktionieren gibt. Das könnte dann wichtiger sein als die augenblicklichen Probleme, die eindeutig eine Art Bruderzwist sind. So könnten solche Konflikte in Zukunft vermieden werden.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Unsere osteuropäischen Partner sind vom gegenwärtigen Lieferstopp noch stärker betroffen. Wie passt dazu die deutsch-russische Ostseepipeline?

ERLER: Die EU hat diese Pipeline immer als Diversifikation verstanden. Auch wenn die Entscheidung von privaten Konsortien gefällt wurde, zeigt sie, welchen Sinn eine solche Pipeline haben kann. Denn dort können Probleme mit Transitländern nicht entstehen.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Die Polen sind darüber nicht glücklich.

ERLER: Die polnischen Interessen werden von unserer Seite dadurch gewahrt, dass wir eine Arbeitsgruppe gebildet haben, wo alle Fragen geklärt werden können. Außerdem gibt es das klare Angebot, Polen entweder an der Ostseepipeline durch Stränge oder durch Lieferverpflichtungen zu beteiligen.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Hat Deutschland noch eine Mittlerrolle?

ERLER: Deutschland hat traditionell sehr intensive Austauschbeziehungen und einen sehr intensiven Dialog mit Russland und den anderen osteuropäischen Staaten. Insofern passt zu dem besonderen Verhältnis, dass die Bundesrepublik die EU-Präsidentschaft nutzen will, um weitere Fortschritte im Verhältnis zu Russland, etwa durch die Neuverhandlung des Partnerschaftsabkommens, zu machen.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Die innere Entwicklung Russlands gibt Anlass zur Sorge. Welchen Einfluss kann Deutschland ausüben?

ERLER: Das tun wir mit den EU-Partnerländern. Wir beobachten sehr genau die Entwicklung einer echten Zivilgesellschaft mit allen Rechten, die dazu gehören. Und wir suchen das Gespräch, wenn es Schwierigkeiten gibt. Dazu ist ja im Jahr 2000 auch der „Petersburger Dialog" vom damaligen Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin auf den Weg gebracht worden. Er hat zu einer starken Intensivierung des Austausches der beiden Zivilgesellschaften geführt.

Das Gespräch führte Sibylle Quenett