Erler: Die bisherigen Sanktionen werden eher verspottet

Interview im Handelsblatt, 28. März 2014

Gernot Erler (SPD) ist Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft.

Handelsblatt: Herr Erler, Sie waren gerade zu politischen Gesprächen in Moskau. Sind die Sanktionen und die Drohungen mit Maßnahmen gegen die russische Wirtschaft dort angekommen?

Erler: Die sich vertiefende Selbstisolierung wird verdrängt, die bisherigen Sanktionen werden eher verspottet. Es gibt nur sehr partiell Schuldgefühle. Hinter der Trotzhaltung spürt man aber eine Ungewissheit darüber, wie weit der Westen gehen würde. Es ist deshalb wichtig, dass unsere Botschaften klar bleiben: Die Wahl hat jetzt die russische Führung.

Handelsblatt: Haben Sie nach den Gesprächen den Eindruck, dass Russland nach der Annexion der Krim jetzt weitere Aggressionen einstellt?

Erler: Wir hören keine klare Festlegung, was die Ostukraine angeht. Positiv sind erste Gesprächskontakte auf Ministerebene zwischen beiden Ländern. Gerade deshalb wären jetzt ein paar konstruktive Botschaften aus Kiew wichtig: Entwaffnung der Milizen, Aufklärung der Schüsse vom 20. Februar, Festlegung der Minderheitenrechte ab sofort und für die künftige Verfassung, belastbare Vorschläge für erweiterte Selbstbestimmungsrechte der Regionen des Landes. Der Westen sollte solche Erwartungen gegenüber der Interimsregierung auch äußern, deutlicher als bisher. Dagegen sind die Äußerungen von Frau Timoschenko schlicht katastrophal. Sie selbst und ihre Partei sollten sich unmissverständlich davon distanzieren, auch wenn es ein privates, illegal mitgeschnittenes Gespräch war.

Handelsblatt: Wie groß ist die Gefahr, dass sich Russland jetzt auch nochTeile der Ostukraine, Transnistrien oder Teile des Baltikums einverleibt?

Erler: Wir brauchen und erwarten von Moskau eine verbindliche und belastbare Erklärung, dass es keinerlei solche Absichten gibt. Es ist auch nicht hinnehmbar, die Unsicherheit vor Ort und die sehr realen Ängste in den genannten Ländern aus taktischen Gründen einfach stehen zu lassen. Ohne Schritte zur Wiedergewinnung von Vertrauen wird sich die Diskussion über tief einschneidende Sanktionen im Westen verstärken.

Handelsblatt: Herr Erler, vielen Dank für das Interview.