Sotschi, die Krise in der Ukraine und die deutsche Außenpolitik - Gernot Erler im SWR Interview

SWR, 01. Feburar 2014, Das Gespräch führte Stephan Ueberbach.

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SWR: Gernot Erler, der Titel „Russlandbeauftragter der Bundesregierung", der greift ja eigentlich ein bisschen zu kurz, denn Sie sind ja für eine Region zuständig, die weitaus größer ist. Wie groß ist sie?

Erler: Also, der offizielle Titel heißt „Koordinator für die zwischengesellschaftlichen Beziehungen mit Russland, Zentralasien und den Ländern der östlichen Partnerschaft".

SWR: Aber lassen Sie uns bitte zunächst bei Russland bleiben. Es ist jetzt nur noch eine Woche bis zu den Olympischen Spielen in Sotchi, den Winterspielen in einem russischen Badeort. Arbeiten wir doch, Herr Erler, vielleicht einmal die verschiedenen Reispläne ab, die es so gibt. Denn die haben ja in den vergangenen Tagen und Wochen für besonders viel Aufmerksamkeit gesorgt. Der Bundespräsident, Joachim Gauck, fährt nicht. Warum hat er bisher nicht verraten. Die Kanzlerin wird wohl zu Hause bleiben. Die meisten Grünen auch. Was machen Sie?

Erler: Also ich habe bisher keine Reispläne, weil ich auch gar keine Einladung bisher habe. Und wenn ich eine Einladung hätte, müsste das natürlich auch abgesprochen werden mit der Bundesregierung. Sie wissen ja, dass es einen konkreten Reiseplan gibt. Das ist Herr de Maizière, der Innenminister, der auch für den Sport zuständig ist, der wird auch hinfahren. Deutschland wird also vertreten sein und niemand wird von Boykott reden dürfen.

SWR: Nun wird bei den Olympischen Spielen in Sotchi die Sicherheit ein großes Thema sein. Es gab ja Anschläge ganz in der Nähe des Veranstaltungsortes. Es gibt Terrordrohungen, und die Polizei wird wohl mit einem riesigen Aufgebot versuchen, die Sportler und das Publikum zu schützen. Werden das Spiele im Hochsicherheitstrakt, vielleicht sogar in einem Polizeistaat?

Erler: Es wird schon eine spezifische Optik geben, da bin ich sicher. Es werden 37.000 Polizisten und Soldaten eingesetzt. Es werden 1.400 Videokameras eingeschaltet. Es wird Drohnen in der Luft geben. Es wird Marieneinheiten auf dem Schwarzen Meer geben. Und ich meine, wie sollen wir uns dazu verhalten? Wir wissen, und das IOC wusste, dass Sotchi ein schwieriger Ort ist, nicht ganz so weit von der schwierigen Region Nordkaukasus, wo Dschihadisten ihr Unwesen treiben, die auch angekündigt haben, Doku Umarow, der führende Dschihadist aus der Region hat gesagt, ich werde die Olympischen Spiele verhindern. Das ist ihm bisher nicht geglückt. Und ich hoffe auch nicht, dass ihm das glückt weitere Anschläge womöglich vorzubereiten. Wir alle sind interessiert, dass niemand zu Schaden kommt bei diesen Olympischen Spielen. Und dazu gehört, aber das ist auch bei anderen großen Ereignissen der Diplomatie der Fall, ob das Gipfeltreffen der G8 oder der G20 sind, dazu gehört auch ein optisch problematischer Sicherheitsaufwand. Aber wir müssen eigentlich hoffen, dass der erfolgreich ist.

SWR: Nun sind politische Gipfeltreffen von Staatslenkern was anderes als ein Sportfest von fröhlichen jungen Leuten, wie die Olympischen Spiele ja eigentlich gedacht sind. Und nachdem was Sie beschrieben haben, mit Drohnen in der Luft, mit bewaffneten Schiffen vor der Küste, das kann doch dem olympischen Geist überhaupt nicht mehr entsprechen. War es ein Fehler, die Spiele nach Sotchi zu geben, vor diesem Hintergrund, wie wir ihn jetzt erleben?

Erler: Also, diese Frage muss man natürlich dem IOC stellen, die das 2007 beantwortet haben und selbstverständlich gab es schon damals auch den Nordkaukasus und selbstverständlich war da schon klar, dass diese Spiele in besonderer Weise geschützt werden müssen. Ich glaube, das ist ein Thema und ein Problem, was über Sotchi hinausreicht. Das ist eins, was uns immer weiter beschäftigen wird, und da eine Balance zu finden. Also diese Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, da haben wir ja auch in unserem Land gerade eine ganz aktuelle Diskussion, NSA und so weiter. Das ist ein Thema was uns beschäftigen wird, und ich kann nicht ausschließen, dass es unangenehme Gefühle hier dabei gibt. Aber, ich meine, wie wäre der Aufschrei und wie wäre die Schuldzuweisung, wenn tatsächlich etwas passieren würde. Vor diesem Problem steht ja die Politik.

SWR: Herr Erler, in den Konflikt in der Ukraine ist zuletzt etwas Bewegung gekommen. Aus Ihrer Sicht, wird sich die amtierende Regierung halten können, oder ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis Präsident Janukowitsch abtreten muss?

Erler: Ich glaube, dass wir eine ganz komplizierte Situation haben. Zunächst einmal sehe ich eine erste Stufe, wo Handeln notwendig ist. Die Deeskalation der aktuellen Situation, wo immer noch Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen ist, obwohl es jetzt einige Tage etwas ruhiger war. Aber das kann jederzeit wieder aufflammen, weil, nach meiner Beobachtung, viele einfache Leute, viele Familienväter sagen, für uns ist eine Grenze überschritten. Hier sind Menschen zu Tode gekommen, hier sind willkürliche Verhaftungen gewesen. Hier sind Menschen verschwunden, die bis heute nicht wieder aufgetaucht sind. Hier ist mit starker Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen worden, wobei auch ein Teil dieser Demonstranten üble Gewalt angewandt hat, bis hin zu Bildern von brennenden Polizisten. Aber die sagen, wir werden nicht aufhören, bevor wir nicht diesen Präsidenten weg haben. Und das bringt eine ganz schwierige Lage für die Sprecher und die Anführer der Opposition. Weil, man will ja eine politische Lösung. Dann ist die Frage, wo liegt da eigentlich der Kompromiss, wenn im Grunde genommen diese Frage Abtritt von Präsidenten Janukowitsch nicht verhandelbar ist. Die nächste Etappe wird sein, wieder eine handlungsfähige Regierung überhaupt zu entwickeln in der Ukraine. Das heißt, die Machtfrage muss entschieden werden. Die Ukraine lebt am Rande des Staatsbankrotts, es muss also hier dringend politisch auch was passieren. Und dann werden wir eine dritte Etappe haben, wo es über die Zukunft der Ukraine geht. Da wird auch Russland eine Rolle spielen. Denn wir haben dieses Problem dieser konkurrierenden Integrationsstrategien. Auf der einen Seite die EU mit dem Assoziationsabkommen, auf der anderen Seite Wladimir Putin mit der Zoll-Union und der späteren, ab 2015 geplanten Eurasischen Union. Da ist leider nicht rechtzeitig geklärt worden, ob das eigentlich Konzepte sind, die friedlich nebeneinander her leben können, oder vielleicht sogar miteinander verschränkt werden können, was gut wäre für die Ukraine. Oder ob es hier eine Konkurrenz gibt, die vielleicht neue Gräben aufreißt.

SWR: Halten Sie es für ausgeschlossen, dass aus diesem Konflikt zwischen einer Regierung und den Demonstranten doch noch ein Bürgerkrieg werden kann?

Erler: Na ja, die Gefahr ist unbestreitbar. Es hat lange Zeit sich alles konzentriert auf den Maidan-Platz und drei, vier Straßen um ihn herum. Also auf wenige Quadratmeter im Zentrum von Kiew. Aber seit ungefähr zehn Tagen hat sich das geändert, da ist das übergeschwappt auf die Provinzen. Wir haben schon eine Art Machtwechsel jetzt in zehn von siebenundzwanzig Provinzen gehabt, übrigens auch in Freiburgs Partnerstadt Lemberg. Und wir haben umgekehrt dann in der Ost-Ukraine zum Beispiel erlebt, dass Veteraneneinheiten ausgerüstet worden sind mit Schlagwaffen und mobilisiert worden sind, um so einen Umsturz zu verhindern. Also, das sind schon Bilder und Entwicklungen, die sehr nah herankommen an einen Bürgerkrieg, oder zumindest an einen mit allen Bandagen geführten Machtkampf.

SWR: In der Außenpolitik, Herr Erler, ist ja viel von verschiedenen Kulturen die Rede. Guido Westerwelle hat für sich in Anspruch genommen, die Kultur der militärischen Zurückhaltung geprägt zu haben. Norbert Röttgen, neuer CDU Außenpolitiker, würde eine Kultur des Engagements bevorzugen, von einer Kultur des Hinschauens ist auch immer wieder die Rede. Wie würden Sie diese kulturelle Vielfalt bereichern wollen, in der Außenpolitik?

Erler: Also ich würde mir eigentlich wünschen, dass wir mal einen Versuch machen zu klären, was internationales Engagement eigentlich bedeutet und was es beinhaltet. Ich bedaure, dass das häufig auf militärisches Engagement reduziert wird. Anscheinend spielt das Engagement auf anderen Gebieten nur eine untergeordnete Rolle. Dabei ist es gerade typisch für die deutsche Außenpolitik und auch für die europäische Außenpolitik in den letzten 15 Jahren, dass wir eben uns Fähigkeiten, auch bei der zivilen Krisenbewältigung, zugelegt haben. Und die EU hat mehr zivile Missionen international durchgeführt als militärische, deutlich mehr. Und wir haben uns da immer beteiligt und sind beteiligt. Warum wird eigentlich immer als Beleg dafür, dass man sich zu wenig international engagiert, nur gezählt wie viele Leute und Waffen in die Welt geschickt werden? Ich würde mir wünschen, dass wir auch mal offensiv mit diesen zivilen Missionen der EU, an denen wir uns beteiligen und übrigens auch Missionen der Vereinten Nationen, an denen wir uns beteiligen, dagegen halten, bevor wir jetzt in irgendeinen Aktionismus verfallen, jetzt schnell wohin Soldaten zu schicken. Obwohl ich glaube, dass es sinnvoll ist, über ein entsprechendes Engagement in Afrika nachzudenken und dass nicht alleine unseren Nachbarn, den Franzosen, zu überlassen.

SWR: Setzt denn, vor diesem Hintergrund, die Bundesverteidigungsministerin die richtigen Akzente, die auch gesagt hat, angesichts von Massenvergewaltigungen, von Morden dürfen wir nicht wegschauen?

Erler: Nein, es geht auf keinen Fall um wegschauen. Wir sind alle geprägt von der Tragödie von Ruanda, oder von Srebrenica. Also, es gibt schon Fälle, gerade in dem Augenblick wo es um den Schutz, um die Rettung von Menschen, die Verhinderung von Katastrophen geht, wo man nicht zögern darf, auch mit einem militärischen Engagement. Aber dann ist ja eigentlich immer schon etwas schiefgelaufen. Das heißt, immer dann, wenn wir über militärische Einsätze reden, hat Prävention versagt. Und wir können es uns gar nicht erlauben, Weltpolitik auf Dauer als Reparaturbetrieb durch militärische Intervention zu betreiben. Das wird nicht gehen und uns überlasten.