Reise Merkels nach Sotschi wäre ein starkes Signal

Interview Stuttgarter Zeitung, 14. Januar 2014

Berlin - Der künftige Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), will trotz aller Kritik an Menschenrechtsverletzungen den Gesprächsfaden nach Russland nicht abreißen lassen. Zu wichtig sei Moskau bei der Bewältigung der Krisen in Syrien und Iran. Einen Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi lehnt er deshalb ab. Das Gespräch führte Thomas Maron.

Stuttgarter Zeitung: Herr Erler, was wird sich im Verhältnis zu Russland mit einem Außenminister Frank-Walter Steinmeier und einem Russland-Beauftragten Gernot Erler ändern?

Erler: Gerade im vergangenen Jahr ist die wichtige Rolle Russlands bei der Bewältigung internationaler Konflikte sehr deutlich geworden. Deshalb wollen wir dazu beizutragen, dass Russland auf dem konstruktiven Weg, den das Land etwa im Syrien-Konflikt oder bei der Lösung der Probleme im Iran eingeschlagen hat, weiter vorangeht.

Stuttgarter Zeitung: Sie haben jüngst für mehr Verständnis für russische Positionen geworben. Warum darf man Russland nicht einfach mal ungeschminkt die Meinung sagen?

Erler: Ich lehne die Einteilung in Russland-Versteher und Russland-Kritiker ab. Es geht nicht darum, auf Kritik zu verzichten, sondern die Tonlage zu überdenken. Es ist von Vorteil, darüber nachzudenken, wie bestimmte Positionen Russlands zustande kamen.

Stuttgarter Zeitung: Haben sich Deutschland und Europa in den letzten Jahren zu wenig Mühe gegeben, die Hintergründe der russischen Position zu analysieren?

Erler: Nehmen Sie das Beispiel Ukraine: Warum hat die EU nicht gesehen, in welch kritischer Finanzsituation die Ukraine steht. Die von der EU geforderte Entweder-Oder-Entscheidung hat die aktuellen ukrainischen Probleme befeuert. Da ist eine Stresssituation entstanden, die sich in täglichen Demonstrationen manifestiert. Man hätte das vermeiden müssen. Dabei ist nicht einmal geklärt, ob denn ein Assoziierungsabkommen mit der EU und eine Mitarbeit der Ukraine in der Zollunion mit Russland wirklich unvereinbar sind.

Stuttgarter Zeitung: Welche russischen Traumata werden nicht ausreichend verstanden?

Erler: Die Frustration Russlands hat viel mit dem Vorgehen des Westens in den Jelzin-Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu tun, einer Zeit, die in Russland heute als Phase der Schwäche empfunden wird. Die permanente Osterweiterung von Nato und EU, das Beiseiteschieben Russlands bei der Bewältigung des Kosovo-Konflikts, die amerikanischen Raketenabwehrpläne und vieles mehr wurden als Provokation und Demütigung empfunden. Dem Westen wird seitdem vorgehalten, Russlands Schwäche ausgenutzt zu haben. Wenn man das feststellt, heißt das nicht, dass man die russischen Argumente teilt. Aber um verhandeln zu können, sollte man sie im Hinterkopf behalten. Russland ist in Versuchung geraten, sich selbst zu isolieren. Dem müssen wir entgegen wirken, um Krisen wie in Syrien bewältigen zu können. Deshalb dürfen die Gesprächsfäden nicht reißen.

Stuttgarter Zeitung: Bedeutet das auch, dass man sich mit demonstrativen Gesten zurück zurückhalten sollte? War die Präsenz von Ex-Außenministers Westerwelle bei einer Demonstration an der Seite des europafreundlichen Wladimir Klitschko ein Fehler?

Erler: Es ist für mich eine intellektuelle Herausforderung, wie es Staatsmänner schaffen wollen, sich in Kiew bei den Demonstrationen auf dem Maidan in die Oppositionsgruppen einzureihen, um danach mit dem Anspruch aufzutreten, Vermittler sein zu wollen. Wer so handelt, ist in Verhandlungen verbraucht. Vermittlung hat die Ukraine aber derzeit bitter nötig, wenn der Konflikt nicht eskalieren soll.