SPD-Außenpolitiker Erler verlangt von Washington bindende Zusagen

SWR 2 Tagesgespräch, 25. Oktober 2013

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, verlangt von Washington „überprüfbare und verbindliche Zusagen", dass die US-Geheimdienstpraktiken verändert werden. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, die Amerikaner seien in „Zugzwang" zu erklären, wie sie es mit Datensammeln und Abhören weiter halten wollten. Die Koalitions-Arbeitsgruppe Außenpolitik werde sich bei ihrer Auftaktsitzung heute vermutlich einig sein, dass es „dieses Mal ernst" und schwer vorstellbar sei dass man in den transatlantischen Beziehungen „einfach zur Tagesordnung" übergegangen werden, sagte Erler. Der Vorschlag des SPD-Europapolitikers Schulz, die Freihandelsgespräche mit Washington auf Eis zu legen, sei „logisch", weil es sich dabei um „eine der ganz wenigen Möglichkeiten und Hebel" handele, über die die EU gegenüber Washington als Druckmittel verfüge.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Die Außen- und Sicherheitspolitiker von Union und SPD kommen heute zusammen, um sich über gemeinsame Linien in diesem Ressort klar zu werden, und es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass alle Beteiligten die Nachrichten über die Abhöraffäre im Kopf haben, wenn sie sich zu dieser Runde zusammensetzen. Was meinen Sie aber, werden sich denn alle einig sein, was diese Affäre für die transatlantischen Beziehungen bedeutet?

Erler: Also, ich glaube, dass es dort weitgehende Einigkeit gibt, dass es dieses Mal ernst ist, dass diesmal die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der bisherigen Form infrage gestellt werden, und dass es schwer vorstellbar ist, dass man einfach zur Tagesordnung über geht. Vielleicht ist man sich nicht ganz so einig, was die bisherige Behandlung dieser Affäre, die ja nun schon ziemlich lang dauert, angeht.

Geissler: Welche Konsequenzen sind denn angesagt, aus Ihrer Sicht?

Erler: Ich glaube, dass jetzt Amerika im Zugzwang ist zu erklären, wie das weiter gehen soll mit dem Datensammeln, mit dem Abhören und, dass es da überprüfbare und verbindliche Zusagen geben muss, dass sich etwas ändert. Das ist ja bisher überhaupt nicht passiert. Es ist ja noch nicht einmal eine richtige Aufklärung dessen, was vorgeht, erfolgt. Das kann diesmal auf keinen Fall so weiter gehen.

Geissler: Gemessen an dem Ernst der Lage, von dem Sie selber sprechen, klang das relativ unspektakulär, was die Bundeskanzlerin und der französische Präsident Hollande gestern in Brüssel gesagt haben, dass sie nämlich einen Kooperationsrahmen in Gesprächen mit den USA festlegen wollen für die Zukunft. Was müsste das denn sein?

Erler: Na ja, das ist ungefähr das, was ich eben versucht habe zum Ausdruck zu bringen. Also ein Kooperationsrahmen müsste das enthalten, dass eine klare Ansage von Washington kommt, wie hier Aufklärung in Zukunft betrieben werden soll in Bezug auf enge Verbündete, und das sind sowohl Frankreich als auch Deutschland. Und wie man sich da auch gegenüber der EU verhalten will, denn, ich meine, offiziell handelt es sich ja noch immer um eine Folge von dem September 2001, um die Bekämpfung von Terrorismus, um die Aufklärung gegenüber terroristischen Aktivitäten, und dass die nicht möglich ist über das Handy der Bundeskanzlerin, das ist so offensichtlich, dass es hier eindeutige Zusagen der Amerikaner geben muss.

Geissler: Wie beurteilen Sie denn aus heutiger Sicht, dass Kanzleramtsminister Pofalla im Sommer noch gesagt hat, die Angelegenheit sei erledigt, der Vorwurf der Totalausspähung Deutschland sei vom Tisch?

Erler: Also, das war ja schon damals eigentlich deutlich, dass dies von der Sache her gar nicht gerechtfertigt war. Ich glaube, das muss man einfach heute dem Wahlkampf zuschreiben. Es gab damals ein sehr starkes Interesse der Bundesregierung und auch der Bundeskanzlerin, diese Affäre, wie sie sich entwickelte, so schnell wie möglich vom Tisch zu kriegen und beiseite zu schieben, weil das natürlich ein Unruhe-Faktor im Bundestagswahlkampf war. Und jetzt stellt sich heraus, dass das sehr voreilig gewesen ist, und dass das auch fahrlässig gewesen ist, so mit der Affäre umzugehen. Denn auf diese Weise ist auch nicht aufgeklärt worden, was eigentlich Sache ist.

Geissler: Ihr Parteifreund Schulz scheint diese Wahlkampfauseinandersetzung, die ja doch durchaus sachlich Begründet war, noch nicht ganz verdrängt zu haben vor dem Hintergrund der Pläne der großen Koalition. Er schlägt vor, dass die Europäische Union die Verhandlungen über Freihandel mit den USA auf Eis legt. Geht Ihnen das jetzt zu weit?

Erler: Es ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten und Hebel, die hier die europäischen Staaten in der Hand haben, weil dieses Transatlantische Handels- und Investments-Partnership-Programm etwas ist, was in beider Interesse ist, und wo etwas gemacht werden kann. Insofern ist das logisch, dass man auf dieses Thema kommt. Aber natürlich wünschen wir uns alle und erwarten auch alle, dass jetzt doch ein bisschen der Schreck auch in die Verantwortlichen in Washington in die Knochen gefahren ist, denn, ich meine, Amerika ist dabei sich, gerade auch bei den eigenen Verbündeten und Freunden, zu isolieren. Es ist ja nicht nur Deutschland; es ist hier vielleicht in besonderer Weise spektakulär, was hier mit der Bundeskanzlerin passiert ist, offensichtlich passiert ist, aber es sind ja auch große Probleme entstanden bei anderen Verbündeten. Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, hier Druck auszuüben.

Geissler: Einige Zeitungen schlagen heute vor, Edward Snowden, dem Mann, der alles ins Rollen gebracht hat, in Deutschland Zuflucht zu gewähren - als Dank dafür, dass er den Geheimdienstpraktiken abgeschworen und sich dabei auch um Deutschlands Souveränität verdient gemacht hat. Wäre Ihnen das zu unfreundlich gegenüber Washington?

Erler: Also, ich glaube, dass die Bereitschaft, hier auf Washington Rücksicht zu nehmen im Augenblick im Abnehmen begriffen ist. Es ist nur die Frage, wie das eigentlich bewerkstelligt werden soll. Selbst wenn man es wollte, es ist ja offensichtlich so, dass Edward Snowden in Moskau sicher ist, und dass die Wirkung seiner Enthüllungen weiter wirksam ist.

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