Erler kritisiert „Desavouierung“ der UNO in der Syrien-Krise

Interview im SWR 2 Tagesgespräch, 29. August 2013

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, hält noch nicht für erwiesen, dass Truppen des Assad-Regimes für den Giftgaseinsatz am Mittwoch vergangener Woche in Syrien verantwortlich sind. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, bevor die UNO-Inspekteure ihren Bericht vorgelegt hätten, seien Behauptungen, wie sie derzeit aus Washington, London oder Paris zu hören seien, eine „Desavouierung auch der Vereinten Nationen". Die Inspektoren könnten über eine „Kennung" der für den Giftgaseinsatz verwandten Stoffe „sehr genau ermitteln", wer die Chemikalien verschossen habe. Ein westlicher Militärschlag sei aber, „egal, was bei den Untersuchungen rauskommt, nur zu rechtfertigen" mit einem UNO-Mandat.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Die neuesten Nachrichten aus den USA und Großbritannien lassen erwarten, dass ein Militärschlag gegen Syrien nun doch nicht unmittelbar bevorstehen könnte. Zeigt das in Ihren Augen, dass bei den Regierungen in Washington und London grundsätzliche Zweifel aufgekommen sind, ob es richtig, ist einen Militärschlag durchzuführen, oder geht es eher darum, Russen und Chinesen noch einzubinden im Sicherheitsrat?

Erler: Ich glaube, da drückt sich eine Rücksichtnahme auch gegenüber den Vereinten Nationen aus, Gestern hat ja Ban Ki-Moon, der Generalsekretär gesagt, die Inspektoren vor Ort würden noch vier Tage brauchen, und es ist natürlich nicht vorstellbar die Arbeit der Inspektoren zu gefährden durch einen frühzeitigen Einsatz. Aber es sieht leider so aus, aus meiner Sicht leider, dass im Prinzip eine solche Aktion beschlossen ist, aber sie findet sicherlich nicht statt, solange noch die Inspektoren der Vereinten Nationen vor Ort sind.

Geissler: Die gesamte Weltöffentlichkeit, wir alle wissen bislang nicht, ob es vielleicht syrische Rebellengruppen waren die das Gift verschossen haben um den Westen in einen Krieg um Syrien hineinzuziehen. Wie wichtig ist denn Ihnen, dass in dieser Frage Klarheit geschaffen wird?

Erler: Das ist eine absolute Notwendigkeit und auch eine Logik, denn, ich meine, es ist nachdrücklich versucht worden Russland hier dazu zu bewegen, auf den syrischen Präsidenten einzuwirken, dass er überhaupt zulässt, dass diese Inspektoren, die schon vor Ort waren, auch an diese Orte gehen, wo am 21. August offensichtlich oder möglicherweise Giftgas eingesetzt worden ist. Und in dieser Logik steht ja eigentlich, dass man abwartet, was dann tatsächlich die Inspektoren herausfinden, und was sie berichten. Stattdessen aber erleben wir, dass, etwa in Washington oder auch in London oder auch in Paris gesagt wird: wir sind uns völlig sicher, dass die syrische Führung Giftgas eingesetzt hat, das macht ja eigentlich keinen Sinn, dann braucht man auch die Inspektoren nicht.

Geissler: Haben denn die Inspekteure technische Möglichkeiten herauszufinden, wer das Gift eingesetzt hat?

Erler: Das ist gar nicht ihre Aufgabe. Aber die sind in der Lage, wenn sie die Stoffe untersuchen, sozusagen eine Kennung von den Materialien, von dem eingesetzten Giftgas doch zu bestimmen, und daraus kann man sehr genau ermitteln, wer eigentlich das Giftgas hier zum Einsatz gebracht hat. Also, die haben nicht die Aufgabe am Ende der Weltöffentlichkeit zu sagen, wer es gewesen ist, sie können nur sagen, was dort passiert ist. Aber daraus kann man Rückschlüsse ziehen.

Geissler: US-Verteidigungsminister Hagel sagt, der amerikanische Geheimdienst werde in den nächsten Tagen beweisen, dass das Regime den Einsatz zu verantworten hat. Würde Ihnen diese alternative Quelle genügen?

Erler: Ich meine, ich weiß nicht, was die Geheimdienste - angeblich haben die irgendwelche Telefongespräche abgehört - das kann natürlich auch ein wichtiger Hinweis sein. Aber nochmal: In der Logik des bisherigen Vorgehens steht, dass man jetzt abwartet, was die Inspektoren sagen und sich dann ein endgültiges Bild macht. Alle Behauptungen, man wüsste sowieso schon, was das Ergebnis ist, ist eine Desavouierung auch der Vereinten Nationen.

Geissler: Wenn die Ungewissheit bleiben sollte, wie wäre denn dann ein Militärschlag völkerrechtlich überhaupt zu rechtfertigen?

Erler: Nein, ein Militärschlag ist, egal was bei den Untersuchungen rauskommt, nur zu rechtfertigen mit einem Mandat der Vereinten Nationen. Es ist jetzt überdeutlich, dass die Völkerrechtler sich einig sind darin, jedenfalls die Meisten, dass ohne einen Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, eigentlich, in diesem Fall, keine Gewaltanwendung möglich ist, denn es handelt sich nicht um einen Verteidigungsfall - das ist die einzige Ausnahme des Gewaltverbots der Charta der Vereinten Nationen, wo auch einseitig Waffeneinsatz möglich ist, oder wo man auch zu Hilfe kommen kann - das liegt ja hier ganz offenbar nicht vor, und insofern wäre in jedem Fall ein Beschluss der Vereinten Nationen notwendig.

Geissler: Deutschland ist ja im Moment kein Mitglied des UNO-Sicherheitsrats. Wenn wir aber jetzt dort säßen und sollten mit abstimmen über eine militärische Reaktion, welches Verhalten der Bundesregierung hielten Sie dann für angebracht?

Erler: Das käme ja nun tatsächlich darauf an, wie man diese Situation nach den Erkenntnissen der Inspekteure beurteilt, ob eindeutig eine Schuldzuweisung möglich ist, und es käme natürlich auch darauf an, was ist denn eigentlich das Ziel eines solchen militärischen Schlages. Auch da sehe ich im Augenblick überhaupt keine Klarheit. Vielfach ist von Bestrafung gesprochen worden, jetzt höre ich, dass der amerikanische Präsident sagt, es geht um Abschreckung, also dass nicht noch einmal Chemiewaffen eingesetzt werden. Aber bisher ist völlig unklar, was denn eigentlich ein Militärschlag auslösen würde in der Bürgerkrieg-Situation. Ist es sinnvoll, in dieser jetzigen Lage Assad zu schwächen, ist es sinnvoll, vielleicht auf diese Weise zu versuchen, ein stärkeres Gleichgewicht wieder mit den eher in die Defensive geratenen Aufständischen herzustellen. Darüber haben bisher diejenigen, die für einen Militärschlag sind, überhaupt keine Auskunft gegeben.

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