Erler: Obama konnte gar nicht anders

SPD-Außenpolitiker zur Besuchsabsage des US-Präsidenten

Gernot Erler im Gespräch mit Silvia Engels, Deutschlandfunk, 8. August 2013

US-Präsident Barack Obama habe nicht anders reagieren können auf das russische Verhalten im Fall Snowden, sagt SPD-Fraktionsvize Gernot Erler und ist überzeugt: Weder die USA noch Russland haben Interesse an einer dauerhaften Belastung ihrer Beziehungen.

Silvia Engels: Anfang Juni war Edward Snowden für die Welt noch ein Unbekannter. Mittlerweile taugt das Tauziehen um den Enthüller angeblicher NSA-Spähaktionen dazu, die US-russischen Beziehungen auf Eis zu legen. Denn es war die russische Entscheidung, Snowden Asyl zu gewähren, die gestern das Weiße Haus offensichtlich dazu brachte, ein lange geplantes Vieraugengespräch zwischen den Präsidenten Obama und Putin Anfang September im Rahmen des G-20-Gipfels in Moskau abzusagen. Am Telefon ist nun Gernot Erler. Er ist stellvertretender Fraktionschef der SPD im Bundestag und in dieser Funktion zuständig für außenpolitische Fragen. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Engels.

Engels: Hat Barack Obama richtig entschieden?

Erler: Ich glaube, er konnte gar nicht anders, weil er auch unter Druck stand von Zuhause, in irgendeiner Weise auf dieses russische Verhalten im Fall Snowden zu reagieren. Und er hat das so gemacht, dass möglichst wenig Schaden entsteht. Er fährt zu dem G-20-Gipfel nach St. Petersburg. Es wurde auch nicht das Außen- und Verteidigungsminister-Treffen beider Länder morgen in Washington abgesagt, sondern eben nur der persönliche Besuch bei Putin am Vorabend des G-20-Gipfels. Das ist deutlich, dass kein Schaden entstehen soll, oder zumindest Schadensbegrenzung gesucht wird.

Engels: War es denn umgekehrt diplomatisch klug von Moskau, Snowden Asyl zu gewähren und ihm ja auch in den vergangenen Wochen spektakuläre Pressekonferenzen zu ermöglichen?

Erler: Auch da sieht man, dass Schadensbegrenzung versucht wird. Putin hat immer von Snowden verlangt, dass der sich dann zurückhält, wenn er in Moskau bleiben darf, und keinen Schaden für die USA weiter anrichten soll. Und auch jetzt bei den Reaktionen auf die Absage - wir haben es ja gerade gehört - ist ein Versuch, das konstruktiv zu bewerten. Da wird anerkannt, dass hier Obama handeln musste. Aber es wird gesagt, die Einladung bleibt bestehen, und man hofft bald auf eine Wiederaufnahme intensiverer Beziehungen.

Engels: Das heißt, Sie rechnen nicht mit einer dauerhaften Belastung der russisch-amerikanischen Beziehungen durch den Fall Snowden?

Erler: Zumindest sehe ich nicht, dass irgendeine Seite ein Interesse hieran haben könnte, und am allerwenigsten hätten wir ein Interesse daran, weil es gibt einen Punkt, wo wir unbedingt eine Verständigung von Washington und Moskau brauchen. Das ist die Frage von Genf II, also der Chance für eine politische Lösung des Syrien-Dramas. Da geht es nicht ohne eine Annäherung von Washington und Moskau, und ich hoffe sehr, dass hier der Fall Snowden jetzt nicht sich als Stolperstein erweist für diese Notwendigkeit.

Engels: Soweit die internationale Ebene. Daneben gibt es beim Fall Snowden ja aber auch die moralische Ebene. Die Stimmen waren ja nicht wenige, die sich auch hätten vorstellen können, Herrn Snowden beispielsweise in Deutschland aufzunehmen. Ist also da durch diese Trennung zwischen internationaler Notwendigkeit und moralischer Ebene auch dauerhaft ein schwieriges Verhältnis in den bilateralen Beziehungen zu erwarten?

Erler: Natürlich ist das so ausgedrückt worden, dass es Enttäuschung gibt. Enttäuschung hat Obama ausgedrückt über das Verhalten von Moskau. Interessanterweise hat die russische Seite dann das gleiche Wort "Enttäuschung" auch benutzt über die Absage des Besuches. Diese Enttäuschung war wahrscheinlich unvermeidbar in der Entwicklung und wie gesagt, beide Seiten haben eigentlich versucht, von vornherein Andeutungen zu machen, dass man kompromissbereit ist. Putin hat nie erwogen, Snowden auszuliefern nach Amerika, aber er hat eben doch gesagt, dass es Bedingungen gibt für einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus, und das ist natürlich in Amerika registriert worden und das erklärt auch, dass es für Obama dann relativ einfach war, jetzt zwar ein klares Zeichen zu setzen mit der Absage, aber trotzdem nach St. Petersburg zu fahren und auch trotzdem dieses Außen- und Verteidigungsminister-Treffen stattfinden zu lassen.

Engels: Können Sie es denn gut heißen, dass die US-Administration so hart gegen Whistleblower vorgeht?

Erler: Na ja, ich glaube, das ist verständlich nur aus der Geschichte der Vereinigten Staaten in den letzten elf, zwölf Jahren nach 9/11. Da hat sich doch interessanterweise in einer Kontinuität der Präsidenten, also auch von George W. Bush hin zu Obama, eine sehr viel härtere Haltung gegenüber Informanten mit aufklärerischem Impetus ergeben, die vielleicht aus unserer Sicht nicht so nachvollziehbar ist. Aber ich glaube, man muss die spezifische Situation von den Vereinigten Staaten nach 9/11 doch hier in Rechnung stellen.

Engels: Aber die sind weit über zehn Jahre her. Muss man da nicht irgendwann wieder zum Normalmaß zurückfinden?

Erler: Die amerikanische Gesellschaft ist immer noch verletzt und ist immer noch irritiert über das, was vor zwölf Jahren passiert ist, und ich sehe nicht, dass dies sich in den nächsten Jahren so schnell ändern wird. Wer da auf Obama gesetzt hat - ich sage nur mal das Stichwort Guantanamo -, der hat doch gesehen, dass er viel mehr in der Tradition zu seinem Vorgänger steht als auf einem Änderungskurs.

Engels: Wir sprechen mit Gernot Erler, SPD-Bundestagsfraktion. - Edward Snowden ist ja berühmt geworden, Herr Erler, seitdem er über umfassende Ausspähprogramme des US-Geheimdienstes berichtet hat. Sie selbst waren zu Zeiten der Großen Koalition von 2005 bis 2009 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Haben Sie denn in der Zeit etwas über eine Kooperation von US-Geheimdiensten und dem BND erfahren?

Erler: Nein, das gehörte nicht zu meinem Aufgabenbereich. Darüber habe ich nichts erfahren.

Engels: Die Union hält ja nun SPD-Fraktionschef Steinmeier vor, er habe in seiner Zeit als Kanzleramtsminister noch vorher, also in rot-grüner Regierungszeit 2002, die enge Zusammenarbeit zwischen BND und US-Geheimdienst abgesegnet. Sie waren damals außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Sehen Sie da die Zusammenhänge, dass man da Grundlagen geschaffen hat, die heute zu diesen möglichen großen Ausspähprogrammen geführt haben?

Erler: Ich glaube, da werden zwei Sachen miteinander verglichen, die man so nicht miteinander vergleichen kann. Ich besinne mich noch sehr gut an diese ersten Monate und auch Jahre nach dem 11. September und ich weiß sehr genau, wie wir alle unter Druck standen, hier alles Erdenkliche zu tun, um Amerika in dieser Situation zu helfen, und dazu gehörte sicherlich auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ziel der Abwehr von terroristischen Aktivitäten. Man wusste ja auch gar nicht, was noch weiter in Planung war bei Osama Bin Laden und seiner Al-Kaida-Gruppe. Und das zu vergleichen mit einem massenhaften Abfischen von Daten von Millionen von Menschen, ohne bestimmte Ziele dabei zu verfolgen, das ist, glaube ich, unzulässig.

Engels: Ähnlich argumentiert ja auch Frank-Walter Steinmeier selbst. Allerdings kriegt er deutliche Gegenwehr nicht nur von der Regierungskoalition, sondern auch von Linken-Chefin Kipping, die Steinmeier heute den "größten Heuchler in der ganzen Affäre" nennt. Könnte Herr Steinmeier gegenhalten, indem er sich einmal ausführlicher zu den Vorgängen damals äußert?

Erler: Wissen Sie, zu dem, was Frau Kipping macht, da kann man ja eigentlich nur staunen, denn ich meine, was wir erleben, ist eine ständige Anbiederei von führenden Personen der Linkspartei an die SPD auf der einen Seite und dann eine Ausschüttung von ungerechter Kritik und geradezu Hass auf der anderen Seite. Wer das verstehen will, der muss, glaube ich, dann die Linkspartei danach fragen.

Engels: Dann kehren wir zur Bundesregierung zurück. Die stellt ja die von Edward Snowden berichtete Weitergabe von 550 Millionen Metadaten pro Monat mittlerweile so dar, dass dies im Ausland erhobene Daten des BND gewesen seien, zum Beispiel aus Afghanistan, die dann an die NSA aufgrund der Vereinbarung von 2002 gegeben wurden. Könnte es tatsächlich sein, dass es gar nicht um Daten von Deutschen ging?

Erler: Wissen Sie, ich habe kaum noch Hoffnung, dass wir eine vernünftige Information in dieser Sache kriegen. Wir kriegen jeden Tag irgendwelche neuen Informationen und am Ende steht eines nur fest: Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, oder nicht willens, tatsächlich die Öffentlichkeit aufzuklären, was hier eigentlich passiert ist. Das ist mein Fazit. Ich bin nicht mehr in der Lage, täglich diese Meldungen auch zu überprüfen, die wir da bekommen.

Engels: Gernot Erler, der frühere ...

Erler: Staatsminister!

Engels: ... Staatsminister im Auswärtigen Amt. Danke für die Worthilfe. Heute ist er stellvertretender Fraktionschef der SPD im Bundestag. Wir sprachen mit ihm über NSA-Daten, über den Fall Snowden und über den anziehenden Wahlkampf, der damit in Deutschland verbunden ist. Danke für Ihre Zeit.

Erler: Gerne.

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