Atom-Verhandlungen mit dem Iran noch nicht ausgereizt

SWR 2 Tagesgespräch, 24. Juli 2012 

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, sieht den Verhandlungsspielraum bei den Atomgesprächen mit dem Iran skeptisch, aber „noch nicht ausgeschöpft". Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, für das Treffen auf Arbeitsebene heute in Istanbul gebe es die „vage Hoffnung", dass dort Datum und Tagesordnung eines neues Spitzentreffens ausgehandelt werden könnten. Alle Beteiligten klammerten sich an den Verhandlungsprozess, weil die Alternative eines Waffengangs auch wegen der Lage in Syrien „sehr bedrohlich und sehr bedrückend" sei. Aus israelischer Sicht drohe sich das Zeitfenster für ein sinnvolles Eingreifen in die iranische Nuklearproduktion bereits zu schließen, sagte Erler. Jerusalem gehe davon aus, dass Teheran am Bau einer Atombombe nicht mehr gehindert werden könne, wenn es seine neue Urananreicherungsanlage in Fordo erfolgreich unterirdisch verbunkert habe. Die USA dagegen rechneten damit, dass der Iran noch „mindestens ein Jahr" lang nicht in der Lage sein werde, eine Atombombe herzustellen.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Die Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm werden heute in Istanbul fortgesetzt, auf Arbeitsebene, wie es im Diplomatendeutsch heißt, denn die letzte hochrangig besetzte Runde zu diesem Thema hatte wiedermal kein Ergebnis gebracht, keinen Durchbruch im Juni, bei den Gesprächen Teherans mit den fünf Vetomächten plus Deutschland. Und das ist der Sachstand ja nun schon seit fast einem Jahrzehnt. Wie lange kann das noch gut gehen, was meinen Sie?

Erler: Alle klammern sich an diesen Verhandlungsprozess, weil die Alternative sehr bedrohlich und sehr bedrückend ist, nämlich, dass unter Umständen ein Waffengang stattfindet. Insofern knüpft sich weltweit die Hoffnung daran, dass doch vielleicht etwas wieder in Gang gesetzt wird, jetzt von diesen Gesprächen in Istanbul, nachdem es vorher in Moskau, in Bagdad, in Istanbul seit etwa vier Monaten nicht voran gegangen ist.

Geissler: Inwieweit ist denn möglicherweise das, was inzwischen in Syrien sich abzeichnet, also der nahende Untergang von Assad, inwieweit ist denn das, aus Ihrer Sicht, möglicherweise eine Druckkulisse bei diesen Atomverhandlungen?

Erler: Das ist durchaus eine negative Entwicklung für das Regime in Teheran, weil das der einzige wirklich starke Partner ist, den der Iran, in der Region hat. Und auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass im Augenblick durch die dramatische Entwicklung in Syrien die Weltöffentlichkeit ein bisschen verschoben wird, weg von der iranischen Frage hin zu der syrischen Tragödie, und insofern ist ein bisschen das, was heute dann auch passiert, in den politischen Windschatten geraten.

Geissler: Ist denn das, was in Syrien passiert eine Druckkulisse in dem Sinne, dass Teheran jetzt, mit Aussicht auf den Verlust des letzten regionalen Bundesgenossen, möglicherweise bereitwilliger ist zu einem Ausgleich mit dem Westen?

Erler: Also bisher sieht das nicht so aus. Es gibt verhärtete Positionen auf beiden Seiten, weil die westliche Seite, vor allen Dingen die EU, die Sanktionen gegen Teheran anzieht und immer weiter ausdehnt. Und das ist keineswegs ohne wirtschaftliche Folgen in Iran passiert, sondern, man schätzt sogar, dass vielleicht die Drosselung der Förderung um ungefähr ein Drittel stattgefunden hat, was sich natürlich auf die Finanzströme auswirkt und auf die Möglichkeiten, Lebensstandard zu erweitern. Weshalb ja auch das Regime in Teheran selber droht nun mit Gegenmaßnahmen, zum Beispiel, immer wieder, der Schließung der Meerenge von Hormus, was für die westliche Seite überhaupt nicht akzeptabel wäre, oder auch mit einer Ausdehnung der Anreicherung des Irans - das ist ja gerade der Hauptreitpunkt - auf bis zu 56 Prozent.

Geissler: Sie haben einen möglichen Waffengang gegen den Iran schon angesprochen. Im Frühjahr hieß es mal, wenn der Iran bis Juli nicht einlenkt, dann riskiert er, dass Israel tatsächlich präventiv zuschlägt gegen die Atomanlagen. Wie nah sind wir diesem Augenblick, nach Ihrer Einschätzung?

Erler: Ja, also in den letzten Wochen hat es ja monatlich praktisch ein Treffen gegeben und insofern kann man sagen, der Verhandlungsprozess ist noch nicht ausgeschöpft, es gibt die vage Hoffnung, dass wenn heute die beiden Stellvertreter der Verhandlungsführung, also Helga Schmid für Catherine Ashton und Ali Bageri für Said Dschalili aufeinander treffen, dass sie vielleicht wenigstens ein Datum und ein Programm wieder für ein Spitzentreffen aushandeln können. Alle klammern sich im Augenblick an diesen Verhandlungsprozess und hoffen, dass der einen Waffengang verhindert. Denn die Sorge darüber, dass daraus unter Umständen ein Krieg, ausgerechnet jetzt in dieser schwierigen Situation auch noch in Syrien, ausbrechen können, die ist doch sehr hoch, die ist auch in Amerika sehr hoch.

Geissler: Der Westen hat zwei Forderungen eigentlich an den Iran: einmal die Sache mit dem Uran, dass es nicht weiter angereichert wird, dann aber auch, dass die relativ neue Atomanlage in Fordo ganz geschlossen wird. Das Problem ist offensichtlich, dass die so stark verbunkert wird, dass sie unverwundbar werden könnte und dann eine mögliche Atomwaffenproduktion dort faktisch hingenommen werden müsste. Wie lange, denken Sie, ist das Zeitfenster noch offen, um das verhindern zu können?

Erler: Ja, also Sie haben vollkommen recht, das ist eines der Kriterien auch für die israelischen Überlegungen. Die sagen, wir stehen unter zeitlichem Druck, weil nämlich der Iran praktisch nicht angreifbar wird, wenn er weiterhin eine Verbunkerung von Anreicherungsanlagen fortsetzt. Und dann ist es mit den israelischen Waffen auch nicht mehr möglich, eine solche verbunkerte Anlage zu treffen. Die amerikanische Seite sagt, es ist noch Zeit, es ist noch nicht soweit, dass das Regime in Teheran in der Lage ist, kurzfristig eine Atombombe zu bauen. Und diese beiden Prozesse haben eine Relation zueinander, also dies sind zwei Zeitprozesse, die da laufen, da tickt die Uhr...

Geissler:... aber das Zeitfenster, wie lange offen noch?

Erler: Das Zeitfenster ist eben aus amerikanischer Sicht noch etwas länger offen, mindestens ein Jahr. Aus israelischer Sicht sieht das anders aus. Die sagen, wenn wir nicht bald etwas machen, dann ist alles, was wir eigentlich verhindern wollen, in Prozessen unter der Erde gelandet, und dann können wir nichts mehr tun. Also insofern muss man sich überlegen, welcher Zeitrechnung man sich anschließt.