Erler: Sanktionen lösen Problem mit Iran nicht

Interview im SWR Tagesgespräch, 9. November 2011

SPD-Fraktionsvize Gernot Erler hält nichts von neuen Sanktionen gegen den Iran wegen dessen Atomprogramm. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt: „Ich persönlich glaube, dass man keine Chance hat, wenn man den Iran weiter isoliert und noch mehr Druck ausübt." Stattdessen müsse man einen neuen Dialog in Gang bringen, „aufbauend auf der europäischen Verhandlungspolitik, nämlich eine Einbindung des Iran in einen umfassenden Nahostfriedensprozess." Dabei müssten zwei Dinge einbezogen werden: „Einmal die Atomwaffen in der Region, einschließlich der Atomwaffen in Israel [...] und der Atomwaffen Pakistans, und auch einschließend die Zukunft der Palästinenser." Dann könne man vermutlich auch „das Thema Ahmadinedschad" lösen, so Erler im SWR.

Erler äußerte sich auch zum angekündigten Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Berlusconi: „Das ist in doppelter Weise eine gute Nachricht." Berlusconi habe Italien belastet. Sein schlechtes Ansehen sei zuletzt auch ein Symbol gewesen „für die Handlungsunfähigkeit eines so wichtigen EU-Partners wie Italien das ist". Nun könne das Land wieder handlungsfähig werden.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Lueb: Wir sprechen gleich über den Iran. Vorweg eine Frage zur aktuellen Entwicklung in Italien. Ministerpräsident Berlusconi hat angekündigt, dass er zurücktreten wird. Ist das eine gute Nachricht für Europa?

Erler: Das ist in doppelter Weise eine gute Nachricht. Berlusconi ist schon lange zu einer Belastung des Ansehens von Italien geworden und das stand eigentlich im Vordergrund der Debatte um Silvio Berlusconi. Aber zuletzt war es eben auch ein Symbol für die Handlungsunfähigkeit eines so wichtigen EU-Partners, wie Italien das ist, und in der augenblicklichen Krise brauchen wir ein handlungsfähiges Italien. Und diese Ankündigung bedeutet, dass es eine Chance gibt, dass es wieder ein handlungsfähiges Italien gibt.

Lueb: Kommen wir zu unserem eigentlichen Thema. Zumindest bis zum vergangenen Jahr hat der Iran an einer Atombombe gebaut. So steht es offenbar in dem neuen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Entsprechend bedroht fühlt sich Israel und das hat schon zu Spekulationen geführt über Militärschläge gegen den Iran, um dessen Atomprogramm auszuschalten. Ist das eine berechtigte Warnung Israels oder wird hier gezündelt?

Erler: Also, zunächst einmal ist ganz offensichtlich das, was dieser Bericht enthält, sehr besorgniserregend, und auch in einer Offenheit, was die Details angeht, die es bisher in solchen Berichten nicht gab, sodass man sagen kann, es ist ein Bericht voller Hinweise auf Waffenprogramme des Iran, aber ausdrücklich bisher ohne Beweise für die Tatsache, dass der Iran nun tatsächlich es versucht, Atomwaffen herzustellen. Also, man muss, trotz allem noch vorsichtig mit diesem Bericht umgehen, weil es ein Unterschied gibt zwischen Hinweisen und Beweisen, aber man kann nachvollziehen, dass Israel beunruhigt ist.

Lueb: Nun könnte der Iran ja voranschreiten und Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde zulassen, das Land öffnen. Genau das wird seit Jahren gefordert und passiert nicht. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, ein Militärschlag gegen den Iran hätte womöglich größere Auswirkungen als der Mord am österreichisch/ungarischem Thronfolger 1914 in Sarajevo. Damals folgt ein Weltkrieg. Ist das Panikmache?

Erler: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, dass ein Angriff auf den Iran in der ganzen Region zu einer politischen Explosion führen kann. Und dass das im Weltmaßstab eine Gefährdung sein kann. Das hat auch durchaus Belege gegeben dafür, zum Beispiel durch die Äußerung von Dimitri Medwedew, dem russischen Präsidenten, der von gefährlicher Rhetorik gesprochen hat, der gewarnt hat davor, dass jetzt eine Eskalation stattfindet, der gesagt hat, jetzt ist angezeigt, die Lage zu beruhigen. Und ähnlich besorgt hat sich ja auch die deutsche Bundesregierung und auch die französische Politik gegeben.

Lueb: Bundesaußenminister Westerwelle hat eine neue Sanktionsrunde angekündigt für den Fall, der nun offenbar eingetreten ist, nämlich, dass der Iran an Atomwaffen arbeitet. Auch die USA sprechen von einem größeren Druck durch Sanktionen. Können solche Strafmaßnahmen, also etwa ein Handelsembargo, überhaupt wirken oder träfen sie eigentlich nur die Menschen im Iran, aber nicht das Regime?

Erler: Ja, das Problem ist, und da haben Sie vollkommen Recht, also es gibt auch Interpretationen jetzt von dieser Kriegsrhetorik in Israel, dass es dabei im Wesentlichen darum geht vorzubereiten und die Bereitschaft zu erzeugen zu härteren Sanktionen, zum Beispiel einer Isolierung der iranischen Zentralbank oder einem kompletten Ölembargo. Das Problem ist, dass bisher alle solche Sanktionen eigentlich nichts bewirkt haben.

Lueb: Also was ist zu tun? Was kann getan werden, damit etwas wirkt?

Erler: Ja, also ich persönlich glaube, dass man keine Chance hat, wenn man den Iran weiter isoliert und noch mehr Druck ausübt. Ich glaube, dass man einen mutigen Wechsel in der ganzen Politik, aufbauend auf der europäischen Verhandlungspolitik, braucht, nämlich eine Einbindung des Iran in einen umfassenden Nahost-Friedensprozess im Sinne auch einer Regionalkonferenz als Prozess, bei dem also zwei Dinge auf jeden Fall eine Rolle spielen müssen: Einmal die Atomwaffen in der Region, einschließlich der Atomwaffen in Israel, die nicht offiziell bestätigt sind, aber die vorhanden sind, und der Atomwaffen Pakistans und auch einschließend die Zukunft der Palästinenser. Wenn man das hinkriegen würde, dann würde man wahrscheinlich auch das Thema Ahmadinedschad lösen können. Denn das ist ein Mann, der lebt von der permanenten Konfrontation und auch eine Verschärfung der Sanktionen gehört zu diesem Umfeld.

Zu dem Podcast des Tagesgesprächs im SWR.