„German Angst“ statt Pionierrolle für globale Energiesicherheit

Pressemitteilung, 16. März 2011 

Zu den internationalen Aspekten des "Moratoriums" in der schwarz-gelben Energiepolitik erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Die Welt wundert sich. Der hektische energiepolitische U-Turn in Berlin mit der Schnellabschaltung von sieben AKWs wird als Produkt von "German Angst" wahrgenommen. Also als Kurzschlussreaktion, kaum nachahmenswert für andere. Dass es sich um eine auf Einsicht beruhende Umkehr zurück zu dem Modell des rot-grünen Aus- und Umstiegs in eine Energiezukunft der autonomen, dezentralen und auf die grenzenlosen Vorräte der erneuerbaren Ressourcen setzenden Versorgung handeln könnte, hat die Bundeskanzlerin ausdrücklich ausgeschlossen. Nach einer kurzen taktischen Pause, Moratorium genannt, soll es weiter entlang von Frau Merkels "energiepolitischer Revolution" mit der Atomenergie als der längsten Hängebrücke der Welt gehen. Herr Villis (EnBW) reibt sich schon die Hände beim Gedanken daran, dass nach drei Monaten "die Karten neu gemischt" werden. Er weiß ja, dass diese Kanzlerin den vier großen Playern nicht wirklich die Joker aus der Hand nehmen wird.

Der rot-grüne Atomkonsens von 2000 stand auf zwei Beinen: Geregelter Atomausstieg und Anschub für die Erneuerbaren Energien über das gleichnamige Gesetz. Für Deutschland löste dieses verkaufte Konzept zu Hause eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte aus: Export-Boom und Systemführerschaft bei den Renewables, mindestens 350.000 qualifizierte neue Arbeitsplätze und ein weitgehender Konsens über die Energiezukunft nach endlosen Kontroversen in der Vergangenheit.

Aber noch viel wichtiger war: Ein großes und renommiertes Industrieland ging erfolgreich einen Weg aus der Kernenergienutzung heraus. Wer den globalen Markt der Erneuerbaren nicht überproportional den Deutschen überlassen wollte, musste in diesen Wettbewerb einsteigen - Länder wie die Vereinigten Staaten und China reagierten, allerdings ohne Atomausstieg. Trotzdem setzte das industriepolitische Signale, und über Wettbewerb und die "Economies of Scale" gewannen die Renewables auch weltweit an Gewicht. Wäre die Bundesrepublik konsequent auf diesem Weg geblieben, dann hätte bis etwa 2020 der Beweis erbracht werden können: Ja, es gibt eine machbare und attraktive Alternative zu dem Neu- und Zubau von AKWs, auch für aufstrebende und große Industriegesellschaften, ein Modell, das eben eine eigenständige Energieversorgung unabhängiger, klimafreundlicher und arbeitsplatzsichernd möglich macht.

Schwarz-Gelb hat dieses Modell fast irreparabel beschädigt. Nach Frau Merkels "Revolution" fällt es aus als Hoffnungsträger für zahlreiche Länder, die Alternativen zum AKW-Ausbau wenigstens erwägen. Der globale Schaden dieser Fehlentscheidung und worum es hier geht, wird an einigen Zahlen deutlich: Heute setzen 29 Länder mit 442 Reaktoren wenigstens teilweise auf Atomtechnologie, aber weitere 65 Anlagen sind bereits im Bau und 65 weitere Länder haben entsprechende Pläne, davon allein 21 auf dem afrikanischen Kontinent. Nach Fukushima wird es aber weltweit eher mehr suchende Blicke nach Beispielen für Alternativen geben als vorher. Dass Schwarz-Gelb mutwillig den deutschen Atomkonsens aufgekündigt, ohne Not die Abhängigkeit vom Atomstrom verlängert und damit Deutschlands Pionierrolle als Industriestaat auf dem Weg in eine neue Energiezukunft stark beschädigt hat - das hat weltpolitische Folgen, deren Tragweite jetzt mit den Ereignissen in Japan erst richtig deutlich werden. Frau Merkels politischer Looping korrigiert das nicht. Der Blick auf "German Angst" wird keinen einzigen Entscheidungsträger in den Ländern, die jetzt nach einer neuen energiepolitischen Orientierung suchen, in irgendeiner Weise beeindrucken oder gar umstimmen.