Das ist eine offene Provokation der gesamten Weltgemeinschaft. Interview mit dem Deutschlandfunk, 28. Oktober 2005

Das ist eine offene Provokation der gesamten Weltgemeinschaft

"Das Thema Iran gehört vor den Sicherheitsrat" • Moderation: Christine Heuer •

Christine Heuer: Es ist schon eine ganze Weile her, dass sich der Rest der Welt so sehr, so geschlossen und so öffentlich über die iranische Regierung empört hat. Grund sind die Worte des iranischen Präsidenten über Israel, das, so Mahmud Ahmadinedschad, von der Landkarte radiert werden müsse. Am Telefon jetzt Gernot Erler von der SPD, in deren Bundestagsfraktion stellvertretender Vorsitzender mit der Zuständigkeit unter anderem für die Außenpolitik. Guten Morgen nach Berlin.

Gernot Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Heuer: Abscheu und Empörung sind die Reaktion auf das, was der iranische Präsident gesagt hat. Es gibt also großen diplomatischen Protest. Herr Erler, reicht das aus als Reaktion?

Erler: Ich glaube, das ist nur der Anfang, aber es ist natürlich schon ein wichtiges und weltweit verstandenes Zeichen, wenn jetzt die europäischen Staaten die Botschafter des Iran einbestellen, um ihnen den Protest deutlich zu machen, und wenn eine so große Einhelligkeit international besteht, dass dieses einfach nicht akzeptabel ist, was der iranische Präsident Ahmadinedschad da gesagt hat, und dass wir natürlich einen Unterschied machen zwischen bestimmten Äußerungen im Innern des Iran in irgendwelchen Schulen oder bei irgendwelchen Vorträgen oder beim Auftritt des Staatspräsidenten mit 3000 Zuhörern, der weltweit reportiert wird. Das ist etwas anderes in der Qualität und das muss jetzt dem Iran sehr deutlich gemacht werden.

Heuer: Wenn der diplomatische Protest, wie Sie sagen, nur der Anfang ist, wie soll es denn dann weitergehen?

Erler: Ich halte es durchaus für vorstellbar, dass dieses Thema vor den UN-Sicherheitsrat kommt, wo er ja auch irgendwo hingehört, denn das ist ja eine offene Bedrohung des Existenzrechts von Israel und das ist gegen sämtliche Regeln des Völkerrechts. Das entspricht nicht der Kultur der Weltgemeinschaft und das ist eine offene Provokation der gesamten Weltgemeinschaft und das muss dem Iran verdeutlicht werden.

Heuer: Gut, wenn diese Äußerungen bei den Vereinten Nationen debattiert werden, was passiert denn dann? Welche Konsequenzen hätte das?

Erler: Dem Iran muss bewusst sein, dass da durchaus in seinen eigenen Interesse ein großer Schaden entstehen könnte, denn wenn es auch richtig ist, wie wir eben gehört haben, dass es dort große Energievorräte gibt, die man nutzen kann, in der jetzigen Konjunktur sogar sehr gewinnbringend nutzen kann, so ist auch nicht zu übersehen, dass diese neue Regierung überhaupt nur deswegen gewählt wurde, weil es auch riesige soziale Probleme im Iran gibt, eine sehr, sehr schnell wachsende Gesellschaft mit viel zu wenig Arbeitsplätzen, auch mit zu wenig Technologie. Das ist ja der Hintergrund für die Angebote des Westens, vor allen Dingen auch der Europäer, hier durch Kooperation, durch Zusammenarbeit im technologischen Bereich eine Modernisierung dieses Landes zu unterstützen.

Wenn jetzt der Iran darauf besteht - und im Augenblick gibt es sogar so etwas wie eine Flucht nach vorne nach diesen Äußerungen des Präsidenten, die einen nur noch mehr besorgt machen kann -, dann wird das zu einer Isolierung des Landes führen. Dann wird diese Modernisierung sehr viel langsamer stattfinden, zu Lasten der iranischen Bevölkerung. Dann wird man diese sozialen Probleme kaum in den Griff kriegen.

Heuer: Was heißt Isolierung in diesem Fall: Sanktionen oder nur, dass die Europäer ihre Angebote zurückziehen?

Erler: Die Europäer werden ihre Politik des Versuchs der Einbindung des Iran fortsetzen, aber das setzt selbstverständlich voraus, dass der Iran die gültigen Regeln des internationalen Rechts anerkennt und nicht die Existenz eines Nachbarn ganz offiziell in Frage stellt. Aber wir werden versuchen, diese Politik der Einbindung, die sich ja ausdrückt in dieser Bereitschaft, über das iranische Atomprogramm zu verhandeln und eine Verhandlungslösung zu finden, fortsetzen. Das geht aber nur, wenn ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft auf der anderen Seite vorhanden ist.

Heuer: Wenn dieses Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft nicht vorhanden ist, Herr Erler, was heißt das dann, aus Ihrer Sicht, dass die Europäer die diplomatischen Verhandlungen einstellen sollen?

Erler: Das heißt dann, dass es ganz automatisch zu einer weltweiten Isolierung des Iran kommen wird. Das wird über die Vereinten Nationen passieren. Das wird über die konkreten Verhaltensweisen auch der europäischen Länder passieren. Dann wird es eben nicht zu einer Kooperation kommen und dann wird das sehr schnell spürbar sein auch in der inneriranischen Entwicklung und das wird dann auch zu einer inneriranischen Diskussion führen. Wir wissen, dass es durchaus in diesem Land, das eine lange Kultur und Tradition auch von Diplomatie hat, andere Gruppen gibt, die entsetzt sind über das, was Ahmadinedschad gemacht hat, weil sie genau wissen, welche Reaktion das weltweit auslösen würde.

Heuer: Israel, Herr Erler, verlangt, den Iran aus den Vereinten Nationen auszuschließen. Wären Sie dafür?

Erler: Ich habe Verständnis für diese Reaktion, praktisch im Schock nach diesen Äußerungen, aber ich glaube eben, dass es im Augenblick die nicht angemessene Reaktion wäre, weil ja gerade die Vereinten Nationen eine Plattform sind, auf der man den Iran stellen kann, wo man auch deutlich machen kann, dass die ganze Weltgemeinschaft, übrigens einschließlich vieler arabischer Staaten, diesen Verstoß gegen das Völkerrecht nicht bereit ist hinzunehmen. Deswegen sollte man eher die Vereinten Nationen nutzen, als sie jetzt als Plattform für eine solche Auseinandersetzung mit dem Iran auszuschließen.

Heuer: Wir haben über die Drohung, die in den Worten des iranischen Präsidenten liegt, und über die europäische Diplomatie jetzt schon gesprochen. Die Drohung besagt ja, dass das iranische Atomprogramm nach den jüngsten Ereignissen noch brisanter uns allen erscheinen muss. Muss jetzt nicht dieses Programm vor den Vereinten Nationen behandelt werden?

Erler: Hier gibt es natürlich verschiedene Ansätze und Sie wissen, dass es hier einen Konsens gibt im Grunde genommen darüber, dass man zunächst einmal versuchen sollte, eben doch über die Verhandlungen hier zu erreichen, das dieser Brennstoffkreislauf - der ja die Voraussetzung für das iranische Waffenprogramm, wenn es denn weiter verfolgt wird, wäre -, dass man diesen unterbricht. Hier hat es ja schon Verhandlungen gegeben, die fast abschlussreif gewesen sind. Leider ist eben dieser Regierungswechsel dann gekommen, der dort einen großen Rückschritt gebracht hat. Aber ich glaube, es gibt keine Alternative, als nach wie vor den Versuch zu machen, den Iran aus dieser Verweigerungsecke herauszuholen und eine Verhandlungslösung zu finden. Wenn es allerdings dazu nicht kommt, dann ist völlig klar, dass auch jetzt durch die Äußerungen von Ahmadinedschad diejenigen - und das ist zum Beispiel geführt von den Vereinigten Staaten -, die recht rasch eine Anklage vor den Vereinten Nationen und eine Behandlung dieses Themas haben wollen, natürlich immer mehr Berechtigung bekommen und immer mehr Unterstützung bekommen werden. Dann ist dieser Weg vor die Vereinten Nationen gar nicht aufzuhalten.

Heuer: Herr Erler, damit die Dinge nicht weiter eskalieren und die Verhandlungen, wie viele es nach wie vor wollen, fortgesetzt werden können, was muss der Iran, was muss die iranische Regierung dafür aus Ihrer Sicht leisten?

Erler: Die aktuelle Forderung muss zweifellos sein, dass diese Behauptungen beziehungsweise diese Androhungen vom Tisch kommen und dass die iranische Gesellschaft eindeutig erklärt, dass sie diese Drohung zurücknimmt und dass das nicht die iranische Politik ist, das Existenzrecht des Nachbarn Israel hier in Frage zu stellen, und vor allen Dingen dass dies auch nicht bedeutet, dass eine konkrete Politik gemacht wird zum Beispiel in Unterstützung für terroristische Gruppen. Es hat ja auch noch eine zeitliche Übereinstimmung mit einem neuen blutigen Anschlag in Israel gegeben, genau von einer Gruppe, von der wir wissen, dass sie eben unterstützt wird vom Iran. Das heißt das Schlimme ist ja, dass diese Drohung nicht einfach wie eine Revolutionsfloskel im Raum steht, sondern dass sie unter Umständen mit sehr konkreten Handlungsweisen verbunden ist. Das ist völlig inakzeptabel. Der Iran muss beweisen, dass er keine terroristischen Akte gegen Israel unterstützt. Das ist die Mindestvoraussetzung, um überhaupt mit dieser Politik einer fairen Auseinandersetzung, einer Verhandlungsauseinandersetzung mit dem Iran weiterzumachen.