Erler schließt Handelsembargo gegen Iran nicht aus. Interview im Deutschlandfunk, 16. Dezember 2005

Erler schließt Handelsembargo gegen Iran nicht aus

Nach den antisemitischen Äußerungen von Ahmadinedschad • Moderation: Burkhard Birke

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), schließt nach den antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ein Handelsembargo gegen das Land nicht aus. Im Augenblick sei aber nicht erkennbar, was das auslösen könne, sagte Erler. Sollte es aber so kommen, dass "die Existenzinteressen und das Recht auf Unversehrtheit" Israels gegen deutsche Außenhandelsinteressen abgewogen werden müssten, dann sei klar, wie man sich entscheiden müsse.Burkhard Birke: Die Verbalattacken haben System: Der Holocaust sei ein Märchen; der Mythos vom Massaker an den Juden werde in den westlichen Staaten höher gestellt als Gott, die Religionen und die Propheten. Das sind die Worte von Ahmadinedschad, den iranischen Präsidenten, der in einer Rede in der Provinz erneut forderte, man möge Israel nach Europa, in die USA, Kanada oder nach Alaska verlegen. Der Westen ist verständlicherweise empört und entsetzt, Israel alarmiert. Was tun? Heute debattiert der Deutsche Bundestag darüber und wir sprechen jetzt mit Gernot Erler, er ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, hat das Auswärtige Amt den iranischen Präsidenten oder zumindest den iranischen Botschafter in Berlin schon zu einem Besuch in einem KZ oder der Holocaust-Gedenkstätte eingeladen?

Gernot Erler: Das ist ein Vorschlag von gestern. Das Auswärtige Amt hat allerdings den Geschäftsträger des Iran einbestellt und hat ihm sehr deutlich gemacht, wie unglaublich diese Provokation ist, die von dem iranischen Präsidenten kommt. Das ist der diplomatische Schritt, der erfolgt ist. Und es hat auch sehr deutliche Worte des Außenministers, aber auch der Bundeskanzlerin in dieser Frage gegeben.

Birke: Eigentlich müssten Sie doch Ahmadinedschad bei seiner Einreise wegen Volksverhetzung festnehmen, wenn er in die Bundesrepublik einreisen sollte?

Erler: Das ist auch der Hintergrund, dass heute in einer Bundestagsdebatte zu Menschenrechten, wo es um den siebten Bericht der Bundesregierung zu Menschenrechten geht, ein Antrag beraten wird, der von allen Parteien des Bundestages eingebracht worden ist und bei dem es an Deutlichkeit in dieser Frage nicht fehlen wird.

Birke: Herr Erler, hat sich denn der Iran durch die Worte seines Präsidenten dorthin platziert, wo ihn der amerikanische Präsident George Bush schon immer und auch in seiner Reaktion auf die Äußerungen wieder sah: auf die "Achse des Bösen"?

Erler: Diese "Achse des Bösen" ist natürlich ein Versuch, ein Land sozusagen aus der Völkergemeinschaft auszusortieren. Und das ist die Frage, ob das jetzt die richtige Antwort darauf ist. Wir wissen, dass es viele Iraner gibt, die nicht einverstanden sind mit ihrem Präsidenten. Die auch deutlich sehen, dass der hier auch versucht, in der innenpolitischen Szene an Boden zu gewinnen. Parallel besetzt Ahmadinedschad die wichtigsten Posten im Lande, auch in den Provinzen, um. Er versucht sich eine Hausmacht zu bauen, die er vorher gar nicht hatte. Er appelliert hier an die Straße. Das Gefährliche ist: nicht nur an die Straße im Iran, sondern auch an die breite Bevölkerung in den arabischen Staaten. Und es wird jetzt Zeit, dass auch von dieser Seite eine Reaktion kommt. Ich bin wirklich besorgt darüber, dass die arabischen Staaten bisher sich so zurückhalten - auch diejenigen, die durchaus das Existenzrecht Israels anerkennen, wie zum Beispiel Ägypten und Jordanien, die aber Angst haben davor, dass diese Worte von Ahmadinedschad populär sind in der eigenen Bevölkerung, und nicht den Mut finden, ebenfalls ganz klar diese Provokation zurückzuweisen.

Birke: Spricht der iranische Präsident nicht nur das laut aus, was viele arabische Führer denken?

Erler: Ich befürchte, dass er das laut ausspricht, was bei verarmten Bevölkerungsschichten, bei solchen, die gerade wenig Zukunftsaussichten haben und die irgendeinen Verantwortlichen für ihre Notsituation suchen, durchaus in den Köpfen herumschwirrt. Und deswegen ist es wichtig, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, die wissen, dass das eine absolut gefährliche Entwicklung ist, weil völlig unberechenbar auch ist, wie die Reaktionen zum Beispiel bei dem nun schon wieder in der Existenz bedrohten Israel sein werden, dass die einfach jetzt von ihrer Führungsverantwortung Gebrauch machen müssen und klar einer solchen Tendenz entgegentreten müssen. Denn es gibt inzwischen schon auch erste arabische Sprecher, die sich anschließen an diese Einschränkung des Existenzrechts von Israel, diese Negierung des Existenzrechts. Zum Beispiel der Hamas-Sprecher Ghasal oder auch aus der ägyptischen Moslembruderschaft, deren geistiger Führer Mohammed Mahdi Akef. So dass man befürchten muss, dass hier sogar jetzt etwas losgetreten worden ist, dessen Ende noch gar nicht abzusehen ist.

Birke: Eine gefährliche Entwicklung, Herr Erler. Sie haben vorhin erwähnt, dass es heute wohl eine einheitliche Bundestagsresolution geben wird. Auch der EU-Gipfel hat wohl einen Entwurf für eine Verurteilung der Worte des iranischen Präsidenten nun vorgelegt und wird ihn heute wohl beschließen. Aber reicht das? Kann man diese Verbalattacken nur mit Worten einfach beantworten?

Erler: Das Problem ist, dass, wenn man zum Beispiel andere Schritte macht wie - das wäre natürlich auch denkbar - Unterbrechung oder gar Abbruch der diplomatischen Beziehungen, dass dann ein anderes Ziel überhaupt in weite Ferne rückt, nämlich über Verhandlungen mit dem Iran zu einer Beendigung der Nuklearprogramme zu kommen, sofern sie auch zu waffenfähigem Plutonium führen. Und es ist nun ein sehr wichtiges Ziel, das wir verfolgen, eine solche Verhandlungslösung zu finden. Man muss sich ja auch fragen: Was wäre denn da die Alternative? Und wir stehen sogar wieder unmittelbar vor einer Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Iran. Am 21. Dezember soll hier ein neues Treffen zwischen den so genannten EU-3 - also Großbritannien, Frankreich, Deutschland -, die hier für die EU verhandeln, mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats des Iran stattfinden. Quasi so eine Art Gespräch über Gespräche. Man will sehen, ob man wieder einen Faden findet, um diese Verhandlungen fortzuführen. Und das ist ein so wichtiges Thema, dass man das mit berücksichtigen muss bei den Schritten jetzt gegen die empörenden Provokationen von Ahmadinedschad.

Birke: Machen denn diese Gespräche am 21. Dezember Sinn, wenn Ahmadinedschad selbst gesagt hat, Teheran werde keinen Deut von seinem Programm abrücken?

Erler: Das ist eben diese Widersprüchlichkeit auch, die sehr typisch für die gegenwärtige iranische Situation ist: Auf der einen Seite hören wir die harten Worte in der Öffentlichkeit - und ich sage noch mal: Der Adressat ist sehr stark eher im Inneren des Landes oder in der arabischen Welt. Und auf der anderen Seite - bei diesem Land, das eigentlich eine große Kultur, auch eine große diplomatische Kultur von vielen hundert Jahren hat -, auf der anderen Seite gibt es eben dann wieder Zeichen, dass man doch bereit ist, hier aus dieser Falle, in die die Verhandlungen geraten sind, wieder herauszukommen. Und es ist nicht so einfach für die internationale Staatengemeinschaft, hier adäquat zu reagieren.

Birke: Dennoch, Herr Erler, sollten wir nicht die deutschen Unternehmen zum Beispiel, die im vergangen Jahr Waren im Wert von 3,6 Milliarden Euro in den Iran exportiert haben, davon abhalten, weiterhin zu liefern? Denn es bestünde ja theoretisch die Gefahr, dass somit möglicherweise wichtige Bestandteile indirekt für das Atom- oder Rüstungsprogramm des Landes geliefert würden und damit auch indirekt wieder Israel bedroht würde.

Erler: Selbstverständlich gibt es hier außerordentlich gründliche Kontrollen darüber durch unsere Außenhandelsregeln und auch durch die Regeln für den Rüstungsexport, der auch so genannte Dual-use-Güter betrifft, also solche, die sowohl für zivile wie für militärische Zwecke nutzbar sind. Und da sind die Regeln in Deutschland härter und zurückhaltender als in allen anderen europäischen Staaten.

Birke: Ein Handelsembargo würden Sie aber ausschließen, um den Iran ein bisschen hier zur Einsicht zu bewegen?

Erler: Ich schließe das ausdrücklich nicht aus. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man sagt: Unsere Interessen sind ökonomisch so stark, dass wir gar nicht erst über so einen Punkt reden. Aber im Augenblick ist es nicht erkennbar, was das auslösen könnte. Aber sollte es so sein, dass hier die Existenzinteressen und das Recht auf Unversehrtheit von Israel auf der Waage stehen und auf der anderen Seite deutsche Außenhandelsinteressen, dann ist klar, wie man sich entscheiden müsste.

Birke: Nun gibt es auch Forderungen, zum Beispiel den Iran von der Fußballweltmeisterschaft auszuschließen. Die FIFA, also der Fußballweltverband, hat das abgelehnt, aber der grüne Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit bleibt hartnäckig. Was halten Sie davon?

Erler: Meine Antwort darauf wäre, dass es vielleicht anders gehen könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass man jetzt nicht den Iran ausschließt von der Fußballweltmeisterschaft, aber dass man vielleicht gerade dieses Ereignis - wenn es dann noch akut ist, und ich hoffe, dass es dann nicht mehr akut ist - dann nutzen müsste, um bei jeder Gelegenheit auch den iranischen Gästen, auch allen Leuten, mit denen man da sprechen kann, da deutlich macht, wie stark der Iran sich selber isoliert, wie stark er sich auch der internationalen Kritik aussetzt, ja geradezu sich selber ausschließt aus der internationalen Gemeinschaft. Und da würde ja gerade ein solches Ereignis, wo es mehr Begegnungen mit Iranern geben wird als sonst üblich, gut geeignet sein, solche Gespräche, solche Begegnungen genau dafür zu nutzen.

Birke: Herr Erler, lassen Sie mich zum Schluss ganz kurz noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen: Deutsche Geheimdienstangehörige haben ja Gefangene auf Guantánamo verhört. Ist es nicht doppelzüngig, formell den Irak-Krieg und die amerikanischen Methoden im Umgang mit Gefangenen seinerzeit seitens der damaligen rot-grünen Regierung kritisiert zu haben, gleichzeitig hat die Regierung es aber zugelassen, dass die Geheimdienste mit den unkonventionellen US-Methoden beim Umgang mit Gefangenen diese quasi indirekt sanktioniert haben?

Erler: Sie wissen, Herr Birke, dass wir im Augenblick im Bundestag hier eine sehr intensive Diskussion in den zuständigen Ausschüssen darüber führen. Und ich muss darauf verweisen, dass Einzelheiten zu diesem Thema tatsächlich nicht Gegenstand eines Telefongesprächs sein kann.