Kooperation in der Schwarzmeer- und Donauregion: Sich Herausforderungen stellen und Perspektiven aufzeigen

International Conference, Sofia 16.-17. November 2007

 

Regional Cooperation in the Black Sea and Danube Regions:

Adressing Challenges und Providing Perspectives

 

 

                   Von der Deutschen Bundesregierung und vom Auswärtigen Amt

                   Und von der Südosteuropa-Gesellschaft in München,

der großen deutschen Wissenschaftler- und Mittlerorganisation, die sich mit allen 14 Ländern Südosteuropas beschäftigt und die ein bisschen geholfen hat, diese Konferenz vorzubereiten!

Meine Damen und Herren,

die beiden amerikanischen Meeresgeologen Walter Pitman und William Ryan sind fest davon überzeugt, dass es vor 8000 Jahren in der Nähe des heutigen Istanbul eine spektakuläre Naturkatastrophe gab. Damals, so nehmen die beiden Wissenschaftler an, lag das Schwarze Meer 150 m tiefer als das Mittelmeer, von ihm getrennt durch einen Damm. Als dieser brach, ergoss sich eine Sturzflut von der 200fachen Kraft der Niagara-Fälle in das Schwarze Meer, überflutete in kürzester Zeit 100 000 km² - also eine Fläche 2 x so groß wie die Schweiz -, tötete unzählige Menschen, zerstörte ihre Siedlungen und löste Panik und Massenflucht aus. Pitman und Ryan glauben, dass sich so der biblische Bericht von der Sintflut erklärt.

Wenn sie Recht haben, was wir auf unserer Konferenz aber wohl nicht klären können, hätte die dramatische Geschichte des Schwarzen Meeres schon ziemlich früh begonnen. Aber an Abwechslung hat es auch in historischer Zeit, wo es schon schriftliche Überlieferung gab, nicht gefehlt. Das früheste Nachschlagewerk dafür sind die „Historien" Herodots. Es steht fest: An den Gestaden des Schwarzen Meeres gab es Jahrhunderte lang ein ständiges Kommen und Gehen: Sarmaten, Goten, Chasaren, Mongolen, Tataren, Griechen, Türken, Russen.

Dabei verfestigte sich die Sichtweise, dass an den Ufern des Schwarzen Meeres eine geographische und eine Kulturgrenze verlief: Hier Europa - da Asien, hier die sesshafte Lebensweise der griechischen Siedler - dort die Unstetheit der skythischen Nomaden. Seit der griechischen Antike bis in die jüngste Zeit hat sich eine interessengeleitete Wertung der beiden Welten gehalten, die am Schwarzen Meer aufeinanderprallten: hier die „Zivilisation" - dort das „Barbarentum". Erst neuere Forschungen und Funde, etwa die des staunenswerten Skythen-Goldes, haben unsere Kenntnisse über die angeblichen Barbaren in den Steppen am Nordrand des Schwarzen Meeres erweitert und korrigiert.

Aber trotzdem dürfte Neal Ascherson, dieser politische Biograph des Schwarzen Meeres, eine zutreffende Beobachtung in seinem berühmten Buch „Black Sea" (1995) wiedergegeben haben, als er schrieb:

„Völker, die - sei es hundert, sei es tausend Jahre - in enger Gemeinschaft mit anderen Völkern leben, sind einander nicht immer wohlgesonnen. Als Individuen können die anderen durchaus gute Nachbarn, auch Freunde sein, aber eine der traurigen Lehren aus meiner Beschäftigung mit dem Leben am Schwarzen Meer ist die Erkenntnis, dass das Misstrauen zwischen den Kulturen anscheinend unsterblich ist."

Dafür liefern die Völker dieser Region bis heute immer wieder Belege. Allein zwischen Türken und Russen hat es in der Neuzeit 13 blutige Kriege am Schwarzen Meer gegeben. Der Anrainerstaat Russische Föderation leistet sich heutzutage ein spannungsreiches Verhältnis mit den beiden anderen Anrainerstaaten Ukraine und Georgien. Vier sogenannte „frozen conflicts" in dieser Region beschäftigen die Internationale Gemeinschaft: in Transnistrien, Abchasien, Südossetien und Nagorno-Karabach. Nicht nur das Meer nennt sich schwarz, viele düstere Gestalten tummeln sich auf seinem Wasser und an seinen Ufern - und handeln mit Drogen, Waffen oder Menschen. Man schätzt, dass 80% der illegalen Migration in Richtung Westeuropa die Schwarzmeerzone durchquert.

Und plötzlich ist das alles ein Thema der EU. Irgendwie hat diese neuerdings mit allen sechs Anrainerstaaten etwas zu tun. Da gibt es die Türkei, die in Beitrittsverhandlungen mit der EU steht; was man mit Russland an Beziehungen pflegt, nennt sich anspruchsvoll „Strategische Partnerschaft"; die Ukraine und Georgien sehen sich über die „Europäische Nachbarschaftspolitik" einbezogen; und seit dem 1. Januar 2007 betrachtet sich die EU mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien selber als stolzer Besitzer eines hübschen Stückchens Schwarzmeer-Strand.

Noch wagt es Brüssel nicht, von „Mare Nostrum" zu sprechen. Bis dahin ist es sicher noch ein langer Weg. Aber wie ihn gestalten? Das ist das Thema unserer Konferenz. Es gibt nur eine Möglichkeit: Eine neue Identität der Schwarzmeerregion zu schaffen, zwischen den genannten sechs Anrainerstaaten, aber auch solche regionale Nachbarn wie Griechenland, Moldowa, Armenien und Aserbaidschan einbeziehend. Ein neues Identitätsgefühl anstelle der über die Jahrhunderte geltenden Trennlinien, anstelle des Gegensatzes von Sesshaften und Nomaden, Zivilisation und Barbarentum.

Für ein solches Projekt bringt die EU Fähigkeiten und Erfahrungen mit. Sie hat schon anderswo Systeme regionaler Kooperation aufgebaut, die Interessens-Gegensätze überwinden halfen. Das war so bzw. funktioniert so bei der „Nordischen Dimension" rund um die Ostsee, beim „Barcelona-Prozess" rund um das Mittelmeer oder beim „Stabilitätspakt für Südosteuropa" in der Westbalkan-Region.

Vieles von diesen Erfahrungen findet sich wieder in der programmatischen EU-Kommissions-Mitteilung „Schwarzmeersynergie - eine neue Initiative der regionalen Zusammenarbeit" vom 11.4.2007. Und als die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr dieses Jahres zu Ende ging, indossierte der Europäische Rat am 21. Juni 2007 einen Bericht zur Weiterentwicklung der „Europäischen Nachbarschaftspolitik", dessen konkretestes Projekt jetzt die Schwarzmeerkooperation ist.

In diesem EU-Dokument befindet sich auch ein knapper Hinweis auf die Donau-Kooperation. Flüsse können trennen oder verbinden. Beides gab es in der wechselhaften Geschichte des großen europäischen Donaustroms. Doch stand in den vergangenen 3000 Jahren häufiger der wirtschaftliche, politische, geistige und kulturelle Austausch im Vordergrund - als das verbindende Element des Wassers. Genau daran knüpfen die verschiedenen Initiativen unserer Zeit in dieser Region an.

Die Donaustädte sehen dieses Verbindende und werden immer aktiver. Gerade hat zwischen dem 6. und 8. September dieses Jahres in der bulgarischen Donau-Stadt Vidin die „3. Europäische Konferenz der Donaustädte und -regionen" stattgefunden. Da waren klangvolle Namen beteiligt wie Budapest, Bratislava, Wien, Ulm - und eben auch Vidin. Dasselbe Vidin, das zusammen mit dem rumänischen Calafat lange Zeit für ein europäisches Unvermögen stand - nämlich das Unvermögen, auf 500 km Flussstrecke zwischen Rumänien und Bulgarien eine zweite Donaubrücke zu bauen! Erst der gerade erwähnte Stabilitätspakt für Südosteuropa schaffte es, eine geistige Brücke zwischen den divergierenden Interessen auf den beiden Flussseiten zu schaffen und somit den Weg für die Brücke aus Steinen freizumachen.

Bei allen Fragen der Donauschifffahrt fühlt sich die Donaukommission zuständig. 11 Staaten stellen hier die notwendigen technischen und politischen Weichen, damit die wichtigste Wassermagistrale Südosteuropas ihre Verbindungsaufgabe wahrnehmen kann. Im Moment wird die Kommissionsarbeit von der Revision der sogenannten „Belgrader Konvention" bestimmt, mit dem Ziel, noch bessere organisatorische Voraussetzungen für die Nutzung des Flusses zu schaffen.

Wo es um Umweltfragen geht, meldet sich die „Internationale Kommission zum Schutz der Donau" zu Wort. Verdienste hat diese Institution auch dabei erworben, Mitglieder und Nichtmitglieder der EU zur Zusammenarbeit zu bringen. Die jüngste Auszeichnung mit dem „Theiss River Prize" spricht für die Qualität der geleisteten Arbeit. Und bei der jüngsten „zweiten gemeinsamen Messfahrt" Ende September nahmen Wissenschaftler aus allen Anrainerstaaten gemeinsam Wasserproben aus der Donau - von der Stadt Regensburg bis zum Mündungs-Delta.

Ich müsste noch auf weitere Institutionen entlang der Donau zu sprechen kommen, etwa den „Donaukooperations-Prozess", der seit 2002 aktiv ist, oder die „Arge (=Arbeitsgemeinschaft) Donauländer". Es wäre auch falsch, Organisationen für regionale Kooperationen hier beiseite zu lassen, nur weil der Name Donau nicht im Titel vorkommt. Hierzu zählen der „Southeast European Cooperation Process" (SEECP), der jetzt bei der „sanften regionalen Landung" des Stabilitätspakts und seinem neuen Abstimmungsorgan „Regional Cooperation Council" (RCC) eine tragende Rolle spielen soll, aber auch die seit dem 1. Juli 2006 offiziell handlungsbefugte „Energiegemeinschaft Südosteuropa" oder die „Central European Free Trade Area" (CEFTA), die nach der Erweiterung mit mehreren Ländern Südosteuropas ab September 2007 für alle Mitgliedstaaten tätig werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie sehen, wir haben an der Donau schon eine Tradition von Kooperation und ein ganzes Netzwerk von Organisationen, deren Arbeit mehr oder weniger Visibilität entwickelt. Und wir sind dabei, uns bewusst zu werden, dass die Zukunft einer Europäischen Union mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten in den Regionen liegen wird. Denn es gibt die Korrelation von Dimension und Anonymität, die Identifizierung verhindert. Je wirkmächtiger aber die Globalisierung sich durchsetzt, desto schneller wächst der Bedarf an Identitäts-Angeboten. Und die Donau, als ein seit 3000 Jahren eine Kulturregion bildender Fluss, ist per se ein solches Angebot zur Identitätsbildung. Regionales Identitätsbewusstsein und Identitätsverhalten wiederum - das zeigen viele Ergebnisse neuerer Forschung - schaffen Gefühle von regionaler Selbstverantwortung, von Dialogbereitschaft und präventiver Konfliktlösung.

Mit anderen Worten: Wenn wir über Projekte regionaler Synergie oder Kooperation nachdenken, sei es rund um das Schwarze Meer oder entlang der Donau, dann arbeiten wir an der Friedenspolitik von morgen.

Wir sind heute in Sofia, und das ist gut so. Denn Bulgarien liegt, ebenso wie sein EU-Nachbar Rumänien, in der Schnittmenge beider regionaler Kooperationszonen. Ich bin auch deshalb hergekommen, um mit Ihnen gemeinsam über eine Vision nachzudenken und ihr reale Flügel zu verleihen, nämlich die Vision des neuen und noch ganz jungen EU-Mitgliedslandes Bulgarien, das eine Führungsaufgabe übernimmt.

Warum sollte nicht ein Land wie Bulgarien, das wie kein anderes in Südosteuropa mit allen seinen Nachbarstaaten exzellente Beziehungen aufgebaut hat und nicht zuletzt deswegen als Stabilitätsanker in einer immer noch volatilen Balkan-Nachbarschaft Achtung genießt, den Finger heben und sagen: Wir sind bereit, diese Aufgabe in der EU und für die EU zu übernehmen, die Grundgedanken der „Black Sea Synergy" und der Donau-Kooperation zu verbinden, kreative Ideen dafür zu entwickeln, wie die soliden Regional-Kooperations-Erfahrungen der EU für die Großregion Schwarzmeer-Südosteuropa-Donau genutzt werden können, und von uns aus eine Netzwerkbildung in allen beteiligten Ländern anzustoßen, damit solche Ideen auch in die Realität umgesetzt werden!

Wenn wir am Ende dieser Konferenz imstande sein werden, einige wenige Aufgaben und Projekte näher zu beschreiben, die uns diesem Ziel näher bringen, dann wäre das aus meiner Sicht ein schöner Erfolg - und einen solchen schönen Erfolg wünsche ich unseren Gastgebern, allen Teilnehmern und ich wünsche ihn mir auch ganz persönlich.

Vielen Dank!