Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland
79. Sitzung des Deutschen Bundestages, 1. Februar 2007
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte bietet eine gute Gelegenheit zur Klärung, was eigentlich das zwischen der EU und der Russischen Föderation vereinbarte Ziel, an einer strategischen Partnerschaft zu bauen, bedeutet. Der Begriff stützt sich zunächst einmal auf Intensität.
Ich möchte das an fünf Punkten zeigen:
Erster Punkt. Seit zehn Jahren haben wir das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen als Grundlage. Wenn man sich einmal den Text anschaut, dann wird man sehen, dass dort von einer hohen Verbindlichkeit, gemeinsamen Werten, Prinzipien und Abläufen die Rede ist.
Zweiter Punkt. Neben diesem PKA hat sich die Arbeit an den vier gemeinsamen Räumen in zentralen Feldern der Zusammenarbeit mit sehr konkreten Ergebnissen dynamisch entwickelt.
Dritter Punkt. Zweimal im Jahr finden EU-Russland-Gipfel statt, die sehr intensiv vorbereitet werden und nach sehr offenen Diskussionen ebenfalls zu sehr konkreten Ergebnissen kommen.
Vierter Punkt. Es gibt die wachsende Rolle der Energiezusammenarbeit. Russland liefert immerhin 70 Prozent der eigenen Produktion in die EU, und die EU verlässt sich auf die Russische Föderation, um 30 Prozent ihres Gas- und Erdölbedarfs zu befriedigen. Deshalb kann man schon von einer wechselseitigen Abhängigkeit sprechen, die geradezu zur Zusammenarbeit zwingt. Wir haben in den letzten dreieinhalb
Jahrzehnten auch gute Erfahrungen mit der Verlässlichkeit beider Partner gemacht.
Fünfter Punkt. Jeder, der sich mit internationaler Politik beschäftigt, weiß, dass Russland ein unverzichtbarer Partner bei dem Bemühen um die Lösung von Konflikten ist - ob im Kosovo, im Iran, in Afghanistan oder im Nahen Osten. Allein aufgrund dieser fünf Punkte, durch die die Intensität des Austausches deutlich wird, ist es gerechtfertigt, von einer Arbeit an einer strategischen Partnerschaft zu sprechen.
(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])
Strategische Partnerschaft bedeutet aber auch noch etwas anderes. Sie bedeutet einen akzeptierten Anspruch beider Seiten auf den offenen und kritischen Dialog über die gesellschaftliche Entwicklung bei beiden Partnern. Kritische Fragen kommen eben nicht unter die Räder einer strategischen Partnerschaft, sondern sind im Gegenteil ein Teil der strategischen Partnerschaft. Wir haben in der Tat Grund, Fragen zu stellen, weil es uns aufgrund der Intensität der Zusammenarbeit nicht egal sein kann, wohin der Partner geht. Wir sind davon überzeugt, dass zu einem starken Russland, das Anspruch auf Ansehen und Einfluss erhebt, eine freie Presse, ein System eigenständiger Parteien, rechtstaatliche Verhältnisse, die Vermeidung von Straffreiheit bei aller Form von Verbrechen und eine sehr lebendige Zivilgesellschaft, auch wenn sie regierungskritisch auftritt, gehören.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nicht nur, weil es unseren gemeinsamen Werten entspricht, sondern auch, weil es im Interesse dieses Partners Russland ist, erwarten wir, dass die abscheulichen Morde an Anna Politkowskaja und dem Ex-Geheimdienstmann Litwinenko aufgeklärt werden.
(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deswegen beobachten wir aufmerksam, in welche Richtung sich die Anwendung des neuen NGO-Gesetzes entwickelt. Wir werden das bei jeder Begegnung mit unseren russischen Partnern immer wieder
ansprechen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Abschließend sage ich: Die Intensivierung und das Verständnis dieser strategischen Partnerschaft, die ich versucht habe, hier kurz zu beschreiben, sind ohne Alternative. Es wird kein Zurück hinter einen ständigen intensiven Austausch über Werte und ihre richtige Umsetzung und auch kein Zurück hin zu einer partiellen und seelenlosen Interessenkoordinierung geben. Das ist bei der Qualität dieser wechselseitigen Abhängigkeit nicht mehr angemessen. Dies ist unser Verständnis von einer strategischen Partnerschaft, an der wir weiterhin bauen müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)