Rede Gernot Erlers in der 59. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. September 2003: Haushalt Auswärtiges Amt

Haushalt Auswärtiges Amt

Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die internationale Politik der Bundesregierung, besonders über die Außen- und Sicherheitspolitik. Ich möchte im Namen der SPD-Bundestagsfraktion erklären: Diese Politik folgt klaren Prinzipien. Sie ist verlässlich. Sie ist getragen vom Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Menschen in unserem Lande, besonders auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die wir in gefährliche Auslandseinsätze schicken, und vom Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Weltgemeinschaft, die nach wie vor große Herausforderungen zu bestehen hat. Weil das alles so ist, findet die deutsche Politik in der Welt, die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, von Außenminister Joschka Fischer, von Verteidigungsminister Peter Struck und Entwicklungsministerin Frau Wieczorek-Zeul auch eine breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung und hohe Anerkennung in der internationalen Gemeinschaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schäuble, daran können Sie mit Ihrer Rede nichts ändern, die Sie im Wesentlichen dazu benutzt haben, Informationen einzuholen, über die andere Mitglieder dieses Hauses schon verfügen. Das ist nicht der Sinn einer Plenardebatte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Morgen jährt sich zum zweiten Mal der 11. September 2001. Das erinnert uns an schreckliche, schwer erträgliche Bilder und erinnert uns an die vielen unschuldigen Opfer des 11. September und der späteren Anschläge. Das ist Gelegenheit, noch einmal zu betonen: Die Bundesrepublik Deutschland hat dem angegriffenen Amerika von der ersten Minute an beigestanden, hat umfangreiche Beiträge im Kampf gegen den global agierenden Terrorismus geleistet und tut dies auch heute. Heute, zwei Jahre nach dem 11. September 2001, ist dieser Kampf noch immer nicht gewonnen. Darauf hat der Bundeskanzler heute Morgen mit Recht hingewiesen. Es sind sogar neue, verlustreiche Fronten entstanden, so etwa im Irak.

Ich stelle hier noch einmal für die SPD-Bundestagsfraktion fest: Es war richtig, dass die Bundesregierung mit vielen anderen Staaten dem Irakkrieg nicht zugestimmt hat, dass sie versucht hat, ihn zu verhindern, und dass sie nicht an ihm teilgenommen hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Auch vier Monate nach dem Ende des Krieges fehlt jeder Hinweis auf Querverbindungen des ehemaligen Regimes von Saddam Hussein zu al-Qaida, fehlt jede Spur von den angeblichen Massenvernichtungswaffen, die an Terroristen hätten weitergegeben werden können. Ja, es fehlt sogar jeder Beleg dafür, dass es entsprechende Programme oder Anlagen für solche Waffen gegeben hat.

Das bedeutet aber: Der Irakkrieg hatte nichts mit dem notwendigen Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu tun. Wir weisen weiterhin jeden Versuch zurück, ihn da einzuordnen oder ihn so zu legitimieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vielmehr sind nach dem Irakkrieg unsere Voraussagen in schlimmster Weise eingetroffen, nämlich dass die internationale Terrorbekämpfung einen Rückschlag erlitten hat und dass jetzt im Irak die Netzwerke ein neues Betätigungsfeld finden, wo sie die Verzweiflung der Menschen über die chaotischen Verhältnisse vor Ort erbarmungslos nutzen, wo sie viele, auch so genannte weiche Ziele finden und mit ihren Anschlägen Amerika treffen, aber auch die ganze Weltgemeinschaft herausfordern können. Der Irakkrieg hat dem Kampf der Weltgemeinschaft gegen den weltweit agierenden Terrorismus geschadet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich hatte gehofft, dass der amerikanische Präsident die Gelegenheit seiner Rede vom letzten Sonntag nutzen würde, um sich offen mit dieser Entwicklung auseinander zu setzen. "Offen" hätte bedeutet, sich auch zu den Fehleinschätzungen zu bekennen, was die unmittelbare Gefahr, die von diesem Regime ausging, und was die Massenvernichtungswaffen angeht. Das ist leider nicht passiert.

Stattdessen sind wir erneut mit dem Versuch konfrontiert worden, den Irakkrieg als Teil des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus darzustellen. Folgerichtig kam dann die Aufforderung an die Verbündeten und die Länder, die sich nicht an diesem Krieg beteiligt haben, jetzt die Gelegenheit zur Umkehr zu ergreifen und ihre Pflicht zu erfüllen.

(Uta Zapf [SPD]: Zur Buße!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Amerika selbst, aber auch anderswo gibt es Zweifel an der Wirksamkeit solcher Empfehlungen. Das zeigen übrigens auch die Kommentare im In- und Ausland. Die "Frankfurter Rundschau" hat zum Beispiel von Patzigkeit gesprochen, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" titelte einen Kommentar mit "Rhetorik der Zumutung". Ich mache mir diese Bewertung überhaupt nicht zu Eigen, aber ich nehme dieses alles noch einmal zum Anlass, um festzustellen: Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt ihre Pflichten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Sie wird dies auch weiterhin tun und braucht dafür keinerlei Ermahnung, egal von wem.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre im Übrigen sehr gefährlich, sich jetzt an dem Prozess zu beteiligen, alle internationalen Ressourcen allein auf den Irakkonflikt zu konzentrieren. In Wirklichkeit gibt es derzeit fünf verschiedene Regionen, in denen die Fragen des Weltfriedens und des Kampfes gegen den Terrorismus entschieden werden. Zu diesen Regionen zählt neben dem Irak zweifellos Afghanistan. Hinzu kommt - der Bundesaußenminister hat eben darauf hingewiesen - der Nahe Osten mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, in dem die Friedensbemühungen gegenwärtig einen Tiefpunkt erreicht haben, übrigens entgegen allen Voraussagen, dass die Beseitigung des Regimes Saddam Husseins den Weg für den Frieden freimachen würde. Eine weitere Region, die nicht vergessen werden darf, ist Afrika,

(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

da wir doch wissen, dass die dortigen Bürgerkriege nicht unbeantwortet bleiben können und dass man sich dort engagieren muss, weil solche Kriege dem Terrorismus Möglichkeiten bieten, ja geradezu Biotope für den Terrorismus darstellen. Schließlich meldet sich gerade in diesen Tagen der Balkan mit den neuen Problemen in Mazedonien in schmerzlicher Weise zurück und erinnert uns daran, dass die Aufgaben auch dort noch nicht erfüllt sind.

Deswegen ist es eine völlig falsche Betrachtungsweise, etwa unseren Einsatz in Afghanistan als zweitrangig anzusehen. Es ist vielmehr erstrangig und notwendig, nicht alle Ressourcen im Irak einzusetzen, sondern die anderen Aufgaben als gleichrangig anzusehen und sie prioritär zu erfüllen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich kann nur immer wieder feststellen: Der wirkliche Testfall im Kampf gegen den Terrorismus ist die Frage, ob wir in Afghanistan Erfolg haben werden oder nicht.

(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])

Deswegen ist es richtig, dass wir die Kontinuität beibehalten und dass nach der umfangreichen humanitären Hilfe, dem Petersberg-Prozess und unserem Engagement in der Operation Enduring Freedom und vor allem bei ISAF tatsächlich eine Antwort darauf gegeben wird, Herr Schäuble, wie die nächsten Stufen des Normalisierungs- und Stabilisierungsprozesses in Afghanistan abgesichert werden können. Die nächsten Stufen sind der Verfassungsprozess in der Loya Jirga und - das ist jedenfalls in Petersberg vereinbart worden - Wahlen, die im Juni nächsten Jahres stattfinden sollen.

Es waren die Amerikaner, Herr Schäuble, die als erste über die auf dem Petersberg getroffenen Vereinbarungen hinaus Handlungsbedarf festgestellt und die Bildung von Regionalen Wiederaufbauteams beschlossen haben, um der Bevölkerung zu zeigen, dass die Übergangsregierung Karzai nicht nur in Kabul etwas zu sagen hat und dass es auch in den Provinzen ankommen muss, dass sie etwas für die Bevölkerung tun kann. Das ist der Schwerpunkt der Regionalen Wiederaufbauteams. Damit ein vernünftiger Wahlkampf mit fairer Betätigung von verschiedenen Parteien stattfinden kann, ist eine Atmosphäre der Freiheit notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist die inhaltliche Begründung für die Wiederaufbauteams. Ich bedauere, dass diese Begründung immer noch nicht bei Ihnen angekommen ist. Wir werden die Ausweitung unseres Einsatzes in Afghanistan in aller Verantwortung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten, die dort tätig sind, sehr gründlich vorbereiten und beraten. Das ist bereits auf dem Weg. Dies und nichts anderes ist der Testfall im Kampf gegen den Terrorismus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh darüber, dass Sie dem im Prinzip zustimmen. Meine Fraktion wird die Arbeit der Bundesregierung zu dieser notwendigen Ausweitung unseres Einsatzes vor Ort konstruktiv und sehr sorgfältig begleiten und unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.