Gernot Erler in der 244. Sitzung des Deutschen Bundestages, 7. Juni 2013: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil KFOR zur Absiche­rung von Frieden und Stabilität im Kosovo immer noch gebraucht wird, wird die SPD-Bundestagsfraktion der Verlängerung des Einsatzes deutscher Soldaten im Rahmen der Kosovo Force zu­stimmen.

Wir sind uns als eine von 30 Nationen, die sich an KFOR beteiligt, unserer Verantwortung bewusst. Mit 830 tatsächlich eingesetzten Soldaten stellen wir das größte Kontingent, gemessen am Gesamtumfang von 5 500 Soldatinnen und Soldaten. Seit fast vier Jahren tra­gen wir vor Ort die Führungsverantwortung. Wir halten es auch für richtig, bei der bisherigen Obergrenze von 850 Kräften zu bleiben. Schließlich ha­ben wir im letzten Jahr erlebt, dass die operative Reserve eingesetzt werden musste und dabei der deut­sche Anteil vorübergehend so­gar auf 1 250 eingesetzte Kräfte anstieg. Solche Fälle kann man leider für die Zukunft nicht völlig ausschlie­ßen.

KFOR wird aber auch gebraucht, um die größte zivile Mission der EU, die Rechtsstaatsmission EULEX, in die Lage zu versetzen, ihren unverzichtbaren Beitrag zum Aufbau von Polizei, Gerichtswesen und Zoll im Kosovo zu erbringen. Schließlich hilft die Anwesenheit von KFOR-Kräften auch beim Aufbau der KSF, der kosova­rischen Sicherheitskräfte, die gute Fortschritte machen, die immer mehr Aufgaben übernehmen und zukünftig die Verantwortung für die Sicherheit im Kosovo tragen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere heutige Ent­scheidung erinnert uns daran, wie oft wir das KFOR-Mandat schon verlängert haben - seit 1999 immerhin 13-mal. Über 100 000 deutsche Soldaten sind schon im Kosovo eingesetzt worden. Man kann sagen: Heute steht es zum ersten Mal gut für die Perspektive, dass wir viel­leicht bald auf diese Mission verzichten können. Sie, Herr Minister, haben das eben ange­sprochen. Der Grund liegt darin, dass zuletzt die Weichen in Richtung einer Normalisierung des Verhält­nisses von Serbien und Ko­sovo gestellt werden konnten.

Die SPD-Bundestagsfraktion schließt sich ausdrück­lich der Bewertung an, dass dieses Erste Abkommen über die Prinzipien über die Normalisierung der Bezie­hungen - so heißt es wörtlich - zwischen Belgrad und Pristina als politischer Durchbruch zu werten ist. Wir gratulieren Baroness Ashton zu ihrem Erfolg vom 19. April dieses Jahres, zu dem zehn schwierige Ver­handlungsrunden geführt haben. Wir wissen natürlich, dass es die europäische Perspektive war, die bei beiden Partnern, bei Serbien wie beim Kosovo, zu der nötigen Kompromissbereitschaft geführt hat.

Wir sind fest davon überzeugt, dass diesmal kein Spiel betrieben wird, was wir leider in der Vergangenheit gelegentlich erlebt haben. Dafür spricht, dass von beiden Seiten schon am 22. Mai ein verbindlicher Im­plementie­rungsplan vorgelegt und bis zum 26. Mai angenommen wurde. Dieser Implementierungsplan scheint sehr ambi­tioniert zu sein. Bis Mitte Juni - das ist nicht lange hin - sollen wichtige Fragen behandelt sein, nämlich die Beendigung der Parallelstrukturen im Norden, die Been­digung der Paralleljustiz, die Transparenz serbischer Geldzahlungen, die Vorbereitung der Gründung des Ge­meindeverbandes, die Vorbereitung der Kommunalwah­len, bestimmte Gesetzesänderungen - ich nenne das kosovarische Am­nestiegesetz - sowie Vereinbarungen zu den bisher offengebliebenen Themen Energie und Te­lekommu­nikation. Auch die weitere Roadmap für diese Implementierung ist mit konkreten Zieldaten verknüpft. Ich sage noch einmal: Nicht das erste Abkommen zur Normalisierung, aber seine offensichtlich engagiert an­gegangene Implementierung kann sehr bald dazu führen, dass wir hier im Deutschen Bundestag über eine Verklei­nerung oder gar ein Auslaufen von KFOR sprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist im deutschen Interesse, die Motivation zur Umsetzung des ersten Ab­kommens aufrechtzuerhalten. Die Frage ist: Tut dies die Bundesregierung im Moment? Diese Frage ist verbun­den mit Serbiens Interesse an einer raschen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Die EU-Kommission hat sich in ihrem letzten Fort­schrittsbericht zu Serbien vom 22. April dieses Jahres eindeutig für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen und dies aus unserer Sicht über­zeugend begründet. Das Auswärtige Amt teilt ganz offensichtlich diese Position. Jedenfalls war das noch am 27. Mai der Fall, als Staatsminister Link im Rahmen der sogenann­ten Einvernehmensherstellung zwi­schen Bundesregie­rung und Bundestag an den Bundesratspräsidenten schrieb und dabei engagiert für die Verhandlungsauf­nahme warb. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: Eine Aufnahme von Beitrittsverhand­lungen unter den genannten Maßgaben würde nach Auffassung der Bundesregierung auch dazu beitra­gen, die Fort­setzung des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und Kosovo sicherzustellen und einen wichtigen Beitrag zur weiteren Stabilisierung der Region leisten.

Da können wir nur zustimmen. Aber leider sehen das nicht alle so. Inzwischen hat offensichtlich das Kanzler­amt interveniert und Sie, Herr Westerwelle, auf Linie ge­bracht. Das ist auch der Grund, warum Sie jetzt zu einem Punkt nicht Stellung bezogen haben: ob Sie dafür sind, dass der Europäische Rat am Ende dieses Monats den Weg für die Verhandlungen frei macht oder nicht.

Die Koalition wird ganz offensichtlich ihre Mehrheit dazu nutzen, ein Einvernehmen zwischen der Bundes­tagsmehrheit und der Bundesregierung dergestalt herzu­stellen, dass es beim Europäischen Rat am 27./28. Juni 2013 entweder gar keinen oder einen abschlägigen Be­schluss in Sachen Verhandlungsauf­nahme mit Serbien geben wird. Ausdrücklich wird gesagt, das soll dann nicht vor 2014 erfolgen.

Die Bundeskanzlerin, in der Durchdrückung ihrer Meinung gegen andere europäische Staaten geübt, wird kein Problem haben, diese Blockadehaltung durchzu­setzen, weil eine Verhandlungsaufnahme in der EU einstimmig beschlossen werden muss. Den positiven Beitrag zur Fortsetzung des Normalisierungsprozes­ses zwischen Serbien und Kosovo, wie es das Auswärtige Amt angekündigt hat, wird es also nicht geben. Für alle sichtbar wird es stattdessen Deutschland sein, das die Tür aus wahlpopulistischen Gründen jetzt zuknallt, und das mitten in einer entscheidenden Phase der Lösung der uns schon so lange beschäftigen­den Kosovo-Probleme. Schade, Herr Minister Westerwelle, dass Sie hier nach dem Motto „Hier stehe ich, ich kann auch anders" schlicht umgefallen sind.

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: War­ten Sie es doch einmal ab!)

Sie von der Regierungskoalition - um das einmal ganz deutlich klarzustellen - tragen hierfür die volle Ver­antwortung, auch für alle politischen Folgen, die das hat, bis hin zur weiteren Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Namen von KFOR.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)