Gernot Erler in der 159. Sitzung des Deutschen Bundestages, 10. Februar 2012: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss etwas Wichtiges in der deutschen Außenpolitik passiert sein,

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn am Mittwoch dieser Woche das Bundeskabinett eine reich bebilderte Broschüre von 64 Seiten als Konzept der Bundesregierung beschließt, das in der Hausgebrauchsversion für Abgeordnete - DIN A4 ohne Bilder - auch schon circa 30 Seiten umfasst, dieses dann einen Tag später im prall gefüllten Weltsaal des Auswärtigen Amtes mit großem Tamtam der Öffentlichkeit vorgestellt wird und sich heute im Bundestag - man beachte die Reihenfolge - eine Unterrichtung durch die Bundesregierung und eine anderthalbstündige Debatte anschließen.

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Am Mittwoch hat die Unterrichtung stattgefunden!)

Inzwischen wissen wir, dass diese Arbeit 18 Monate gedauert hat und dass alle 14 Bundesministerien an ihr beteiligt waren. Unter diesen Umständen kommt einem der Titel „Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen" schon fast bescheiden vor. Da greift man lieber zu dem idiomatisch innovativen Titel „Gestaltungsmächtekonzept". Das macht neugierig, das verführt zum Lesen.

Je mehr man allerdings liest, desto mehr stößt man auf einige Auffälligkeiten dieses Konzepts der Bundesregierung. Schon die erste Kapitelüberschrift lautet: „Neue Gestaltungsmächte als Partner". Zu gern wüsste man natürlich, welche Länder das namentlich sind. Man erwartet, dass sie alsbald aufgezählt werden. Aber Fehlanzeige. Weder auf den 68 Seiten noch auf den knapp 30 Seiten - je nach Version - erfährt man, was es denn für Länder sind, mit denen so viel gemacht werden soll.

Am weitesten haben Sie sich, Herr Außenminister, noch bei der Vorstellungsrede im Weltsaal vorgewagt und dies heute zum Teil wiederholt. Sie haben zum Schluss Ihrer Rede gesagt, es seien nicht nur die BRICSStaaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Sie sind dann fortgefahren - ich zitiere -: „Eine Vielzahl anderer Länder hat sich auf den gleichen Weg gemacht, ob Mexiko, Indonesien, Vietnam, Kolumbien oder viele andere mehr." Das Gestaltungsmächtekonzept ist also eine Strategie für neun genannte Länder oder „viele andere mehr". Das hinterlässt einen ein bisschen ratlos,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Patrick Döring [FDP]: Das ist aber eher Ihr Problem!)

obwohl man ahnt, dass diese Vagheit etwas mit geopolitischer Höflichkeit zu tun haben könnte. Warum sollte man ein Land, das sich selbst als Gestaltungsmacht einordnet, durch eine allzu geizige Aufzählung womöglich vor den Kopf stoßen?

Es ist nun leider so, dass diese Vagheit nicht nur an dieser Stelle besteht, sondern in dem ganzen Konzept zu finden ist. Hier wird buchstäblich über alles gesprochen: internationale Zusammenarbeit und Global Governance, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Frieden, Sicherheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Finanzen, Ressourcen, Ernährung, Energie, Arbeit, Soziales, Gesundheit, Entwicklung und Nachhaltigkeit.

Jedes Mal lesen wir einige unstrittige Sätze über Ziele, die wir uns insgesamt in diesen Arbeitsbereichen vorgenommen haben. Dann kommt wie ein ceterum censeo, dass wir diese Ziele im Dialog mit den neuen Gestaltungsmächten ein Stückchen weiterbringen wollen. Diese Methode führt zu einem Produkt des unangreifbaren guten Willens und der jeden Widerspruch entmutigenden Schlichtheit. Ich widerspreche deswegen auch keinem einzigen Satz dieses Konzepts, stelle aber doch die Frage, ob es überhaupt eines ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Antwort auf diese Frage findet sich auf Seite 26 der Version ohne Bilder. Ich zitiere: „Die Bundesregierung ist dem Ziel verpflichtet, die einzelnen Fachpolitiken zielgerichtet zu einem übergreifenden und umfassenden Globalisierungskonzept für die Zusammenarbeit mit den neuen Gestaltungsmächten zu verzahnen."

„Ist dem Ziel verpflichtet" heißt doch wohl: Da kommt erst noch die Arbeit; sie muss erst noch geleistet werden. Das ist wieder ein Satz, dem man nur zustimmen kann. Es gibt also dieses Gestaltungsmächtekonzept noch gar nicht, sondern eher eine Art Materialsammlung, aus der man künftig ein Konzept machen könnte.

Dann fragt man sich aber, warum es dann diesen enormen Aufwand gibt. Hier stößt man auf eine ziemlich persönliche Motivationskette von Außenminister Westerwelle, wenn man noch einmal in seine Vorstellungsrede für das Gestaltungsmächtekonzept schaut. Gleich am Anfang finden wir da ein Bekenntnis zu Deutschlands Partnerschaften in Europa und über den Atlantik. Das haben Sie eben auch noch einmal betont. Dann jedoch kommt ein lautes Aber. Das lautet so: „Aber die Welt befindet sich auch im Wandel: Es entstehen neue Kraftzentren in der Welt, in Asien, in Lateinamerika und anderswo."

Der Topos „Neue Kraftzentren" kommt uns bekannt vor. Wir erinnern uns: Er stammt aus einer mit harten Bandagen geführten Kontroverse über Grundausrichtungen und Prinzipien der deutschen Außenpolitik, die ihren Ausgangspunkt in der Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in der Nacht vom 17. auf den 18. März letzten Jahres hatte, wo Deutschland bekanntlich eben nicht mit Frankreich und den Vereinigten Staaten, sondern gemeinsam mit Russland und China gestimmt hat.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gestaltungsmächte! - Dr. Rainer Stinner [FDP]: Was Ihr Fraktionsvorsitzender ausdrücklich begrüßt hat, Herr Erler! Hier!)

In diese Debatte hat dann hinterher Altbundeskanzler Helmut Kohl mit mahnenden Worten eingegriffen. Er hat davor gewarnt, sich von den wichtigsten Partnern Frankreich und den Vereinigten Staaten abzuwenden.

(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was sagt Herr Steinmeier dazu?)

Damals haben Sie, Herr Außenminister, proaktiv gegengehalten. Ich zitiere aus Zeit Online vom 25. August 2011: Es sei nicht nur entscheidend, „alte Partnerschaften" zu pflegen, sondern auch „die neuen Kraftzentren der Welt ernst zu nehmen und neue strategische Partnerschaften aufzubauen". Das haben Sie eben noch einmal wiederholt. Das war damals Ihre Legitimation. Das war Ihre Antwort auf die Sorgen und die Kritik vom Altbundeskanzler und anderen. Jetzt taucht dieses Thema wieder auf. Die neuen Kraftzentren der Welt sind unbegreiflicherweise immer noch - ich habe das zitiert - das große Aber zu unseren historisch gewachsenen, nicht aufgebbaren Partnerschaften. Ich sage Ihnen: Daraus kann nichts Gutes entstehen.

Ich sage Ihnen aber auch: Kompliment, dass Sie das ganze Bundeskabinett in dieses Konzept mit eingespannt haben. Mit uns wird Ihnen das nicht gelingen. Wir diskutieren gerne mit Ihnen über eine Welt im Wandel, in der es unbestritten Länder und Regionen gibt, deren Bedeutung zunimmt.

(Patrick Döring [FDP]: Was wollen die Sozialdemokraten? Das bleibt völlig im Dunkeln!)

Es gibt aber auch Länder und Regionen, die an Bedeutung verlieren.

(Patrick Döring [FDP]: Was wollen Sie denn?)

Wir diskutieren aber nicht auf so einer unverbindlichen, geradezu beliebigen und von der Entstehungsgeschichte ideologisch infizierten Grundlage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)