Erler zur deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo

Rede von Gernot Erler in der 43. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. Mai 2010: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion wird einer Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Absicherung der Friedensregelung für Kosovo durch die KFOR-Mission mit großer Mehrheit zustimmen. Wir sehen dies als einen noch notwendigen Beitrag im Rahmen eines nun schon über zehn Jahre andauernden, sehr breiten Engagements Deutschlands für eine gute Zukunft des Kosovo und der gesamten Westbalkanregion.

In diesem breiten Engagement finden wir sehr verschiedene Elemente. Das hat schon mit der Aufnahme der Flüchtlinge in den Jahren 1998 und 1999 begonnen. Bis heute leben 300 000 Kosovaren in Deutschland. Dazu gehört die prominente Rolle Deutschlands als Geber für den Wiederaufbau. Mit den von Deutschland bereitgestellten Mitteln - allein 42 Millionen Euro im vergangenen Jahr - liegen wir hinter den Vereinigten Staaten an zweiter Stelle. Diese Mittel wurden für verschiedene Schwerpunkte verwendet: Aufbau der öffentlichen Verwaltung, Demokratisierung, Stärkung der Zivilgesellschaft, Bildungsmaßnahmen, aber auch Infrastruktur wie Wassermanagement und Stromversorgung. Zu unserem Engagement für den Kosovo zählt auch die Unterstützung von EULEX, der bis heute größten Rechtsstaatsmission der Europäischen Union mit über 2 600 Fachleuten - darunter etwa 1 000 Einheimische -, sowie des Aufbaus einer multiethnischen Justiz und einer Polizei sowie einem Zollwesen. Wir sind ungewöhnlicherweise auch mit exekutiven Aufgaben betraut.

Deutschland leistet nicht nur finanzielle Hilfen, sondern stellt auch circa 80 Polizisten sowie 25 Experten, Richter, Staatsanwälte und Rechtsfachleute. Zu unserem Engagement gehören auch die langjährige Unterstützung der Ahtisaari-Mission und die Unterstützung der Troika bei ihrem Versuch, eine Einigung mit Serbien zu erreichen. Als das nicht funktionierte, gehörte dazu auch unsere frühe Anerkennung der Erklärung der Selbstständigkeit des Kosovo, und zwar nur vier Tage nach der Unabhängigkeitserklärung. Heute haben sich dieser Anerkennung 66 Staaten angeschlossen.

Wir unterstützen den Kosovo bei seinem Bemühen, in die regionale Zusammenarbeit einbezogen zu werden. Häufig ist das nur unter dem Label UNMIK, der Mission der Vereinten Nationen, möglich und mit der Unterstützung der Arbeit des internationalen zivilen Repräsentanten, der gleichzeitig Sonderbeauftragter der EU ist und für die vorläufig noch überwachte Souveränität des Kosovo eine wichtige Rolle spielt. Das alles zeigt: KFOR, die militärische Absicherung des Friedens- und Stabilisierungsprozesses im Kosovo, ist Teil eines breiten politischen und finanziellen Gesamtengagements Deutschlands, um dessen Details wir uns immer wieder kümmern müssen. Zum Glück können wir heute sagen - hierin muss man dem Außenminister zustimmen: Es ist verantwortbar, die Präsenz von KFOR schrittweise zu reduzieren, weil sich die Sicherheitslage im Kosovo insgesamt verbessert hat, was für die Minderheiten und ihren aktiven Anteil am politischen Leben im Kosovo besonders wichtig ist - besonders im Süden des Kosovo wird das umgesetzt -, und weil heute blutige Ausschreitungen wie die vom März 2004 - wir haben und werden sie nicht vergessen - kaum noch denkbar erscheinen. Auch andere Aufgaben sind erledigt. Zum Beispiel ist das Kosovo Protection Corps zum Sommer letzten Jahres aufgelöst worden. Es gibt gute Fortschritte bei der Aufstellung eigener Sicherheitskräfte im Kosovo unter dem Titel Kosovo Security Force. Das bedeutet, dass man die Truppenstärke von KFOR durch das sogenannte „Gate 1" schon zum 1. Februar dieses Jahres von 14 000 auf 10 000 Kräfte reduzieren konnte. Es macht daher Sinn, die Obergrenze des deutschen Anteils, wie es im Antrag der Bundesregierung steht, von 3 500 auf 2 500 Kräfte herabzusetzen und sich auf eine - mit der KFOR etwa über die Stufen 5 500 Mann, 2 500 Mann bis hin zum Abzug - weitere Reduzierung vorzubereiten.

Es gibt aber auch Probleme. Noch ist das, was in der gegenwärtigen Phase von KFOR als „deterrent presence" bezeichnet wird - also die abschreckende Anwesenheit -, notwendig, also nicht verzichtbar, schon allein deswegen, um jeden Rückschritt betreffend die Sicherheitslage auszuschließen, aber auch, um den dringlichen Erwartungen der internationalen Gemeinschaft, was weitere Reformbemühungen im Kosovo angeht, Nachdruck zu verleihen. Solange die EU-Kommission, wie in ihrem letzten Fortschrittsbericht vom 14. Oktober 2009 niedergelegt, Grund dazu hat, mangelnde Fortschritte bei der Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und beim Aufbau des Justizsystems im Kosovo zu beklagen, solange dringend Erfolge im Kampf gegen Korruption, Drogenhandel, organisierte Kriminalität und sogar Kinderarbeit angemahnt werden müssen, so lange kann es nicht zu einem Ende der überwachten Souveränität kommen. Gerade gestern, am 19. Mai, hat die sehr angesehene internationale Organisation zur Politberatung ICG, die International Crisis Group, einen neuen Bericht zum Thema „Rechtsstaatlichkeit im unabhängigen Kosovo" veröffentlicht. Die ICG konstatiert Fortschritte, insbesondere im Bereich der Sicherheit von Minderheiten, aber kommt sehr kritisch und eindrucksvoll auf die Schwächen des kosovarischen Justizsystems zu sprechen. Ich möchte den Kernsatz aus diesem Gutachten vorlesen: Im Zivilrecht ist es für Bürger wie Einheimische und internationale Firmen praktisch unmöglich, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen. - Dann wird darauf hingewiesen, dass das häufig dazu führt, dass Auseinandersetzungen nicht vor Gericht, sondern auf andere Art, inklusive Gewaltanwendung, ausgetragen werden. Solange diese Gefahr noch vorhanden ist, müssen wir im Rahmen von KFOR mit reduzierten Kräften vor Ort vertreten bleiben.

Ich möchte mit zwei klaren Erwartungen abschließen, die ich an die Bundesregierung richte. Die erste Erwartung hat etwas mit dem Reduzierungsprozess bei KFOR zu tun. Wir müssen verhindern, dass bei diesem weiteren Reduktionsprozess Unordnung entsteht. Ich denke daran, dass die Franzosen angekündigt haben, dass sie bei „Gate 2", also bei der nächsten Reduzierungsstufe, alle Truppen abziehen wollen. Wenn das zu einer Art Wettlauf wird, wer am schnellsten wieder draußen ist, kann das für den Kosovo gefährlich werden. Meine Herren Bundesminister, versuchen Sie, das zu verhindern; denn das wäre katastrophal für das Land.

Zweitens - hier knüpfe ich gerne an die Schlussbemerkung von Ihnen, Herr Dr. Westerwelle, an -: Es ist schon wichtig, sich immer bewusst zu sein, wie wichtig für alles Konstruktive, was im Kosovo und im Westbalkan passiert, die verbindliche europäische Perspektive ist. Es ist gut, dass Sie das hier erwähnt haben. Besser wäre es gewesen, wenn schon im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gekommen wäre, dass das, was einst im Juni 2003 im Europäischen Rat von Thessaloniki gesagt worden ist, weiterhin verbindlich gilt. Ohne diese politische Perspektive der europäischen Integration wird es keine Motivation für nachhaltigen Fortschritt in der Region geben. Deswegen möchte ich das hier noch einmal sehr deutlich ansprechen. Wir sollten zusammen eine solche Sicherheit geben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)