Aktuelle Stunde "Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen"

Deutscher Bundestag - 226. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2009

Vizepräsidentin Petra Pau:
[...] Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Dr. Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den letzten Wochen haben sehr viele Menschen in Deutschland mit Staunen und voller Faszination auf den aktuellen politischen Prozess im Iran geschaut. Als von über 400 Bewerbern gerade einmal vier Kandidaten zugelassen wurden und der Amtsinhaber von der geistlichen Führung die erwartete Unterstützung erhielt, schien es erst so, als wäre alles Routine. Aber dann entwickelte sich ein ernsthafter und spannender Wahlkampf, dessen Ergebnis offen erschien. Der beste Beleg dafür ist die Rekordwahlbeteiligung von 85 Prozent der Wahlberechtigten. Alleine das ist schon eine eindrucksvolle Demonstration eines breiten Willens, über die Zukunft des eigenen Landes mitzubestimmen und sich einzumischen. Und dann dieser Absturz, dieser Schock am Ende des Wahltages! Wir wissen nicht verlässlich genug, wie all die Berichte über voreilige Gesamtergebnisse mit immer demselben Stimmenverhältnis von 62 Prozent zu 32 Prozent, egal, in welcher Region des Landes, über schon volle Wahlurnen am Beginn des Tages oder fehlende Stimmzettel in den Hochburgen der Opposition und über die Behinderung von Wahlbeobachtern zu werten sind. Aber all das sind ernsthafte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, die der Wächterrat nun überprüfen soll. Bisher kann wohl niemand sagen, welchen Einfluss diese Unregelmäßigkeiten auf das konkrete Endergebnis hatten.
Was für uns alle aber augenscheinlich ist: Es besteht in der iranischen Bevölkerung - nicht nur im wohlhabenden kosmopolitischen Nord-Teheran, sondern auch in den Städten im ganzen Land - bei vielen Menschen, die sich für demokratische Wahlen im Iran engagiert haben, offenbar das Gefühl, betrogen worden zu sein. Wir alle bewundern den Mut der Menschen im Iran, gegen das so empfundene Unrecht auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren - trotz strengster Verbote und mit erheblichem persönlichen Risiko.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass zumeist friedliche Demonstranten von paramilitärischen und parapolizeilichen Einheiten gnadenlos und brutal zusammengeknüppelt wurden, hat uns alle zutiefst schockiert. Inzwischen sind Tote zu beklagen. Diese Gewalt und Brutalität gegen Menschen, die friedlich und demokratisch ihre Meinung äußern, ist scharf zu verurteilen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Hinzu kommen die zahllosen Berichte über willkürliche Verhaftungen und massive Einschränkungen der Pressefreiheit - auch für deutsche und andere ausländische Journalisten.
All das hat dazu geführt, dass die Bundesregierung über die gegenwärtigen Ereignisse im Iran mit großer Sorge erfüllt ist. Wir appellieren an die iranische Führung, die Wahlergebnisse ernsthaft und transparent zu überprüfen und gegebenenfalls die gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Die iranische Regierung hat bislang in ihren Kontakten mit anderen Staaten immer wieder darauf verwiesen, demokratisch legitimiert zu sein. Falls sich die Vorwürfe der Opposition nicht auf transparente und faire Weise entkräften lassen, würde der Anspruch auf Legitimität der iranischen Regierung dauerhaft Schaden erleiden.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir fordern die iranische Regierung eindringlich auf, die Menschenrechte und das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu achten. Die willkürlichen Verhaftungen und das wahllose Niederknüppeln von Demonstranten und anderen schutzlosen Zivilisten müssen sofort aufhören. Mit großem Nachdruck haben wir die iranische Regierung aufgefordert, die Arbeitsfähigkeit von deutschen und anderen ausländischen Journalisten im Iran sofort wiederherzustellen. Wie Sie wissen, haben wir dazu am Montag den iranischen Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Wir haben besonders auch auf den Schutz der iranischen Mitarbeiter der deutschen Journalisten gedrängt, die zum Teil massiven Repressionen ausgesetzt werden.
Unser Engagement für die deutschen Journalisten und ihre Mitarbeiter bedeutet aber nicht, dass uns etwa das Schicksal der iranischen Journalisten mit weniger Sorge erfüllt. Auch dies haben wir gegenüber der iranischen Regierung mit deutlichen Worten angesprochen. Eine Reihe europäischer Partner hat sich inzwischen dieser Initiative angeschlossen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese eindringlichen Appelle an die iranische Regierung knüpfen an unser langjähriges Eintreten für die Freiheits- und Menschenrechte im Iran an. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei der Kampf der EU gegen die Todesstrafe, besonders gegen ihre Verhängung gegenüber Minderjährigen und gegen die besonders brutale und abscheuliche Strafform der Steinigung.
Trotz vielfacher Zusicherung der iranischen Regierung hat sich die Menschenrechtslage in den vergangenen Jahren eher verschlechtert. Trotzdem konnte unser Engagement in Einzelfällen etwas erreichen, etwa durch Umwandlung von Todes- in Haftstrafen. Diese Fälle ermutigen uns, auf diesem Kurs unbeirrt voranzuschreiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben registriert, dass die Äußerungen von Staatspräsident Ahmadinedschad nach der Wahl keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, auf die Forderungen der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms einzugehen. Gemeinsam mit unseren Partnern im Rahmen der E 3 + 3 - also mit China, Frankreich, Russland, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten - haben wir dem Iran ein umfangreiches Angebotspaket als Basis für eine diplomatische Lösung vorgelegt. Seit nunmehr einem Jahr spielt aber die iranische Führung auf Zeit: Zunächst waren noch Detailfragen zu klären. Dann waren die Wahlen in den USA und nun die Wahlen im Iran ein Anlass, den Beginn konkreter Verhandlungen immer weiter hinauszuzögern. Auch auf den Strategiewechsel der USA hat der Iran bisher nur sehr zögerlich reagiert. Dieses Verhalten können wir nicht länger akzeptieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Generaldirektor der IAEO hat am Montag dieser Woche zu Beginn des IAEOGouverneursrats erneut unterstrichen, dass es allein am Iran liegt, durch eine volle Zusammenarbeit mit der IAEO die begründeten Zweifel der internationalen Gemeinschaft an den Zielen des iranischen Nuklearprogramms auszuräumen.
Wir unterstützen ausdrücklich den Aufruf an den Iran, die sich jetzt bietende Gelegenheit für eine diplomatische Lösung zu nutzen. Für alle Folgen einer weiteren Verweigerungshaltung, auch was weitere Sanktionen angeht, trägt allein die iranische Führung die Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)

Neuerliche Äußerungen von Präsident Ahmadine-dschad unmittelbar vor wie auch nach den Wahlen weisen leider darauf hin, dass er an seiner unsäglichen und unerträglichen Leugnung des Existenzrechts Israels festzuhalten gedenkt. Um es ganz deutlich zu machen: Wir werden allen Äußerungen dieser Art so lange entschieden entgegentreten, bis sie endlich aufhören.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Präsident Obama hat mehrfach und eindrucksvoll klargemacht, dass er trotz aller Differenzen bereit ist, in vollem Respekt in den Dialog mit der iranischen Führung einzutreten. Jeder weiß: Ein solches Angebot kann nicht unbegrenzt ohne positive Reaktion im Raum stehen bleiben. Deshalb appellieren wir an den Iran, diese ausgestreckte Hand zu ergreifen und ohne weiteren Verzug in einen Dialog auf gleicher Augenhöhe einzutreten. Dies nicht zu tun, hieße, eine vielleicht einmalige historische Chance zu verpassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden daher auch an die kommende iranische Regierung den ernsthaften Appell und die ernsthafte Botschaft senden: Niemand in Deutschland, niemand in Europa will einen Iran in politischer Isolierung und in Einschränkung durch Sanktionen der Weltgemeinschaft. Im Gegenteil: Wir haben ein geradezu existenzielles Interesse an einem Iran, der sich in einer Region voller Konflikte und Probleme an einer regionalen und globalen Verantwortungspartnerschaft beteiligt und sich dadurch Anerkennung und Respekt verschafft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist unsere Botschaft, die von dieser Debatte im Deutschen Bundestag ausgehen soll und von der wir uns wünschen, dass sie auch von der großen Mehrheit der mündigen Bürgerinnen und Bürger im Iran gehört und verstanden wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)