Die aktuelle Lage der Menschenrechte in Simbabwe

91. Sitzung des Deutschen Bundestages, 29. März 2007

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse der letzten Wochen haben in dramatischer Weise unterstrichen, dass die seit langem schwelende Krise in Simbabwe eskaliert. Die brutale Behandlung friedlicher Demonstranten und oppositioneller Politiker, .aber auch die Drohungen gegenüber westlichen Botschaftern zeigen ein Regime, das die Maske der Rechtsstaatlichkeit endgültig fallengelassen hat.

Präsident Mugabe kämpft mit allen Mitteln um den Erhalt seiner Macht. Zugleich wendet sich die Stimmung in Simbabwe angesichts der desolaten Wirtschaftslage und der zunehmenden Repressionen immer offener gegen ihn, nicht nur in der Bevölkerung allgemein, sondern auch in seiner Partei, der ZANU-PF. Wir schauen mit Interesse auf die morgigen Beratungen im Zentralkomitee der ZANU-PF, die auch darüber entscheiden wird, ob es Mugabe gelingen wird, seine Macht im Jahr 2008 zu behalten.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat in den vergangenen Wochen zu den Ereignissen in Simbabwe eindeutig Stellung bezogen. In zwei Erklärungen, vom 12. März und vom 14. März dieses Jahres, haben wir die Kriminalisierung der friedlichen Gebetsversammlung, des Prayers Meeting, in Harare am 11. März verurteilt und die Freilassung der Verhafteten sowie die Gewährung rechtlichen und medizinischen Beistands gefordert. Die Deutsche Botschaft in Harare hat am 13. März 2007 im Namen aller EU-Partner in einer Note die simbabwische Regierung nachdrücklich zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien aufgefordert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die EU-Botschafter vor Ort haben in enger Abstimmung untereinander gegenüber der Regierung zum Ausdruck gebracht, dass sie jederzeit bereit sind, sich persönlich um die von der Regierung Verhafteten und Verletzten zu kümmern; das haben sie auch getan.

Am Wochenende des 17./18. März dieses Jahres kam es erneut zu Festnahmen mit Misshandlungen von Oppositionellen. Zwei bei den Übergriffen am 11. März schwerverletzte weibliche Oppositionelle wurden zudem durch Passentzug an der Ausreise nach Südafrika gehindert, wo sie sich medizinisch behandeln lassen wollten. Die deutsche EU-Präsidentschaft hat diese Maßnahme am 18. März in einer weiteren Erklärung auf das Schärfste verurteilt. Die verletzten Oppositionellen konnten inzwischen nach Südafrika ausfliegen, und die meisten der am 11. März verhafteten Oppositionellen sind wieder auf freiem Fuß. Das Versammlungs- und Demonstrationsverbot ist inzwischen bis auf einige Teile in Harare aufgehoben worden.

Wie schon erwähnt wurde, gab es gestern erneut Übergriffe gegen die Opposition. Das Hauptquartier des MDC, des Movement for Democratic Change, das Harvest House, wurde von der Polizei umstellt, und Morgan Tsvangirai sowie 20 seiner Mitstreiter wurden verhaftet. Ich kann Ihnen aber die positive Botschaft übermitteln, dass Herr Tsvangirai und die meisten seiner Mitstreiter inzwischen wieder freigelassen worden sind. Allerdings war das natürlich ein weiterer Versuch der Einschüchterung der Opposition. All das findet vor dem Hintergrund einer dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Simbabwe statt. Die dortige Wirtschaft verzeichnet fast jedes Jahr ein Negativwachstum in der Größenordnung von etwa 5 Prozent. Seit 1998 ist das Bruttosozialprodukt um ein Drittel gesunken.

Auf die dramatische Inflationsrate hat der Kollege Strässer bereits hingewiesen. Das Haushaltsdefizit liegt im Moment bei 24 Prozent. Es gibt eine Krise der Landwirtschaft. Die Maisproduktion ist seit 1996 um 40 Prozent zurückgegangen. Der Kollege Vaatz hat darauf aufmerksam gemacht, dass inzwischen 4 Millionen Menschen, das heißt ein Drittel der Bevölkerung, von Nahrungsmittelhilfen des Welternährungsprogramms abhängig sind. 80 Prozent der Bevölkerung haben - das entspricht unseren Armutskriterien - weniger als 2 Dollar pro Tag zur Verfügung, 50 Prozent sogar weniger als 1 Dollar. 35 Prozent der Bevölkerung gelten als unterernährt. Hinzu kommt eine erhebliche und ernsthafte Aids-Durchseuchung: In der Altersgruppe der 25- bis 45 Jährigen sind davon etwa 25 Prozent betroffen. Rund 1,2 Millionen der 1,6 Millionen Waisenkinder, die es in diesem Land gibt, haben ihre Eltern aufgrund einer Aidserkrankung verloren.

Inzwischen hat das zu einem Flüchtlings- und Emigrantenstrom von mehr als 3,5 Millionen Simbabwern geführt. Man sieht, das ist nicht mehr nur ein Problem Simbabwes, sondern das ist zu einem Problem der ganzen Region geworden.

Präsident Mugabe entwickelt in dieser Situation zunehmend eine Bunkermentalität. Doch seit den Ereignissen vom 11. März rückt das Ende seines Regimes nach unserer Analyse zusehends näher. In der EU hat deswegen neben der Diskussion über die aktuellen Entwicklungen ein Nachdenken über mögliche Szenarien von Veränderungen in Simbabwe begonnen. Wir haben für den 4. April eine Sondersitzung der auch für Simbabwe zuständigen Afrika-Arbeitsgruppe der EU anberaumt. Zusätzlich soll es am 18. April eine umfassende Diskussion der EU-Afrikadirektoren geben. Wir streben außerdem an, dass der Rat der Außenminister am 23. April die Krise in Simbabwe erörtert und Schlussfolgerungen verabschiedet.

Wir beobachten sehr aufmerksam die Reaktionen der Nachbarn Simbabwes; das ist hier praktisch von allen Rednern angesprochen worden. Unsere Botschaften in der Region stehen mit den Regierungen ihrer Gastländer in einem intensiven politischen Dialog. Parallel hierzu hat die Afrikabeauftragte des Auswärtigen Amts vor zwei Wochen am Sitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba zahlreiche Gespräche über die Simbabwekrise geführt.

Es verdichten sich die Anzeichen, dass in der gesamten Region - nicht zuletzt unter dem Druck der Zivilgesellschaft - die Solidarität mit dem Mugabe-Regime bröckelt. Hoffnung macht insbesondere, dass jetzt auch unsere afrikanischen Partner erstmals offen zeigen, dass die Lösung der Simbabwekrise ihnen ein zentrales Anliegen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der DU/CSU)

Sambias Staatspräsident Mwanawasa hat Simbabwe mit der sinkenden „Titanic" verglichen. Das südafrikanische Kabinett hat am 22. März Besorgnis über die Situation in Simbabwe geäußert. Die Troika der SADC hat sich am 22. März mit Simbabwe befasst, und seit gestern tagt ein Sondergipfel der afrikanischen Staats- und Regierungschefs der Region in Tansania, in Daressalam, übrigens im Beisein von Mugabe. Das zeigt, dass in der Region die Sorge wächst und allmählich konkrete Aktivitäten ergriffen werden.

Angesichts der eskalierenden Gewalt und zunehmender Menschenrechtsverletzungen mehren sich die Stimmen, die eine Ausweitung der geltenden EU-Visasanktionen gegenüber Simbabwe auf die Mitarbeiter der an den Übergriffen vom 11. März beteiligten Sicherheitsorgane fordern. Wir wollen darüber am 4. April mit unseren EU-Partnern in Brüssel beraten.

Es besteht Einvernehmen unter den EU-Partnern, dass eine Lösung der Krise in Simbabwe nur mit afrikanischer Unterstützung gelingen kann. Unsere afrikanischen Partner machen deutlich, dass sie nach den Ereignissen vom 11. März nicht länger bereit sind, wegzuschauen. Die Präsidenten Kikwete und Mbeki haben eine Initiative vereinbart, die auf einen Dialog zwischen Regierung und Opposition in Simbabwe abzielt.

Wir sollten das stärker werdende afrikanische Engagement als Chance begreifen, auch mit Blick auf den für Dezember dieses Jahres geplanten zweiten EU-Afrikagipfel in Lissabon, für den wir uns eine breite und hochrangige Beteiligung aus Afrika wünschen. Es gilt für die EU, weiterhin mit dem nötigen Nachdruck auf die Ereignisse in Simbabwe zu reagieren. Die EU kann und wird zu Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zugleich sollten wir aber verhindern, dass Präsident Mugabe erneut einen Keil zwischen die EU und die afrikanischen Nachbarn Simbabwes treibt. Behutsam und mit viel Fingerspitzengefühl müssen wir versuchen, falsche Reflexe, sich mit Präsident Mugabe zu solidarisieren, weiter zu verhindern. Es gibt in dieser Situation nur eine unterstützenswerte Solidarität: Das ist die Solidarität mit dem simbabwischen Volk und mit den mutigen und auch zum Eigenrisiko bereiten Oppositionellen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)