Gernot Erler in der 250. Sitzung des Deutschen Bundestages, 27. Juni 2013: Mali

Entsendung be­waffneter deutscher Streitkräfte zur Be­teiligung an der Multidimensionalen In­tegrierten Stabilisierungsmission in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheits­rates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag dieser Woche hat der UN-Sicherheitsrat einstimmig beschlossen: Ab 1. Juli sollen 11 200 Soldaten und 1 440 Polizisten in Mali zur Stabilisierung der Lage eingesetzt werden. Die Mission heißt Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission - Herr Präsident, ich habe geübt -, trägt die Abkürzung MINUSMA und stellt immerhin weltweit die im Moment drittgrößte - Frau Schuster hat es gesagt - UN-Mission dar. Diese massive Intervention findet in einem kleinen afrikanischen Land statt. Mali hat 15 Millionen Einwohner bei 30 verschiedenen Ethnien, hat sich aber den Wahlspruch ausgewählt: „un peuple, un but, une foi" - ein Volk, ein Ziel, ein Glaube - und galt, was die politische Situation anging, lange Zeit als demokratisches Vorzeigeland in Westafrika. Dramatische Vorkommnisse im Jahr 2012 haben alles geändert. Im Januar greift eine Organisation mit dem Kürzel MNLA - Mouvement national de libération de L'Azawad - die malische Armee an. „Azawad" steht für das Land, das sich die Tuareg als unabhängig wünschen Dafür haben sie sich schon öfter erhoben. Also, eigentlich ist das nichts Neues.

Diesmal werden sie aber von gut bewaffneten Söldnern, die früher dem Oberst Gaddafi gedient haben, und von Überläufern aus der malischen Armee unterstützt. Diese erleidet bei einem Überfall schwere Verluste mit mehr als 80 Toten und lässt ihre Wut darüber mit einem Putsch gegen den Präsidenten aus, der abgesetzt wird. Die Tuareg kämpfen aber nicht alleine. Ihnen haben sich zwei andere Organisationen zugesellt. Die eine heißt Ansar Dine - Anhänger des Glaubens -, sie möchte im Norden Malis die Scharia durchsetzen. Die andere hört auf die klangvolle Abkürzung MUJAO und gehört zur Terrorgruppe AQMI, was bedeutet: al-Qaida au Maghreb islamique. Die Profikämpfer der beiden islamistischen Vereinigungen drängen alsbald die MNLA der Tuareg beiseite, nehmen den Norden Malis unter Kontrolle, terrorisieren die wehrlose Bevölkerung und fühlen sich stark genug, in Richtung Süden zu marschieren. Mali ist plötzlich ein Land ohne handlungsfähige Regierung, mit zerstörten Dörfern, Flüchtlingsströmen, mit ruinierten heiligen Stätten, die zum Weltkulturerbe gehören, und vor allen Dingen mit der Gefahr, dass ein Ableger von al-Qaida das ganze Land zu einem sogenannten sicheren Hafen des Terrorismus macht.

Das ruft jetzt andere auf den Plan. Die zuständige afrikanische Regionalorganisation ECOWAS schickt sich an, eine Militärmission zu bilden, die auf die englische Abkürzung AFISMA hört. Die EU bereitet Ende 2012 eine Ausbildungsmission für die desolate malische Armee vor, EUTM Mali, und die Vereinten Nationen legitimieren diese Bemühungen mit einer Sicherheitsratsresolution. Als sich aber plötzlich zeigt, dass das alles zu spät kommen könnte - sichtbar an dem Vormarsch der Islamisten Richtung Hauptstadt Bamako im Süden des Landes -, interveniert Frankreich kurzerhand am 11. Januar dieses Jahres mit der Opération Serval und schafft es mit 4 000 Soldaten und den Resten der malischen Armee, die Aufständischen nach Norden abzudrängen und das Land wieder weitgehend unter Kontrolle zu bringen.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wie viele Tote hat es gegeben?)

Allerdings werden die Terrorgruppen nicht vollständig aufgerieben. Sie gehen zu dem über, was wir als asymmetrische Kriegführung kennen. Das heißt, Mali braucht noch auf Dauer internationale Hilfe, die weder von Frankreich noch von der EU oder ECOWAS gestellt werden kann. Deshalb debattieren wir heute über die massive UN-Mission MINUSMA.

Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht die Lage Hoffnung. Die Tuareg konnten inzwischen - auch das hat Frau Schuster erwähnt - zu einer Waffenruhe und einem Friedensabkommen - dies war am 18. Juni - überredet werden. Das macht den Weg frei, im ganzen Land - auch in der bisher umkämpften nördlichen Stadt Kidal - am 28. Juli Präsidentschaftswahlen abzuhalten. 12 600 UN-Soldaten und -Polizisten sollten eigentlich ausreichen, die Lage in Mali wieder nachhaltig unter Kontrolle zu bringen.

Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, hierzu mit nicht mehr als 150 Soldaten für Lufttransport, Luftbetankung und Stabsaufgaben einen wirklich überschaubaren Beitrag zu leisten. Aber einige Fragen stellen sich in Sachen Mali doch, wenn man sich den von mir kursorisch skizzierten Ablauf vor Augen hält. Das Tuareg-Problem war längst bekannt. Die illegalen Geschäfte des abgesetzten Präsidenten Amadou Toumani Touré - auch mit den Tuareg - waren ebenfalls längst bekannt. Die Schwächen und Unzufriedenheiten in der nur 5 000 Mann umfassenden malischen Armee waren ebenso längst bekannt. Auch das Problem der nicht entwaffneten, aus Libyen zurückkehrenden Tuareg-Söldner war längst bekannt. Hier hat also die Konfliktprävention versagt; das ist eindeutig. Bei aller Konzentration auf das, was zu tun ist, darf die Frage nach dem, was leider nicht richtig gemacht wurde, nicht vergessen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die nächste Frage gilt ECOWAS. Wir brauchen Regionalorganisationen, die tatsächlich in der Lage sind, regionale Verantwortung zu übernehmen. Mali zeigt das Problem der sogenannten African Ownership. Statt über die Ertüchtigung von Gestaltungsmächten durch Waffenlieferungen sollte die Bundesregierung über die Ertüchtigung von Regionalorganisationen nachdenken, damit diese zur Konfliktprävention und Konfliktlösung befähigt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zwei andere Umstände sind noch auffällig. Bei MINUSMA kennen wir die Zahl der benötigten Soldaten und Polizisten. Es ist aber auch die Rede von zivilen Missionsangehörigen, allerdings ohne Nennung von Aufgaben oder Zahlen. Wieso eigentlich? Warum beschließen wir hier eine Mission mit einer unbekannten zivilen Komponente? Ich würde gerne einmal wissen, wer dazu Auskunft geben kann.

Wir wissen, dass sich die Kämpfer der MUJAO und AQMI über die Grenze zurückziehen und sich, wie auch die Tuareg, in der ganzen Sahelzone bewegen. Umso wichtiger wird die EU-Strategie für die Sahelregion unter Einbeziehung von Mali, Mauretanien und Niger. Aber außer vier Aktionslinien und der Tatsache, dass ein französischer EU-Sonderbeauftragter dort Dienst tut, hört man nichts von dieser EU-Sahelstrategie. Dabei ist klar, wie wichtig der regionale Aspekt bei der Lösung dieses Konflikts eigentlich ist. Unsere Zustimmung zum deutschen Beitrag zu MINUSMA bedeutet nicht, dass wir nicht weiter auf der Beantwortung dieser Fragen bestehen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)