Gernot Erler in der 207. Sitzung des Deutschen Bundestages, 21. November 2012: Haushalt Ausw?rtiges Amt
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Pr?sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die ganze Welt schaut auf die Lage in Nahost, auf die Konfliktentwicklung in Israel und in den Pal?sti?nensergebieten. Gestern gab es einige Stunden lang Hoffnung auf eine rasche Feuerpause. Diese Hoffnung wurde entt?uscht. Es wird weiter geschossen.
Wie immer sind dabei Zivilisten, Frauen und Kinder die ersten und zahlenm??ig die meisten Opfer. Jeder, der den Waffenstillstand weiter aufschiebt, aus welchen Gr?nden auch immer, l?dt Schuld auf sich - Schuld am Tod und an Verletzungen von unschuldigen Opfern des Konflikts. Ich bin mir sicher: Der gesamte Deutsche Bundestag unterst?tzt nicht nur eine sofortige Waffen?ruhe, sondern fordert sie unmissverst?ndlich ein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des B?ND?NISSES 90/DIE GR?NEN)
Herr Au?enminister, Sie haben sich eingeschaltet und sind innerhalb von 24 Stunden in Jerusalem, Ramallah und Kairo gewesen. Es kann sein, dass der deutsche Ein?fluss in Nahost ?berschaubar ist, wie der Kollege Stinner heute Morgen im Radio gesagt hat; es kann sein, dass es vorerst nur ?im Trippelschritt zur Feuerpause" kommt, wie eine Tageszeitung heute schreibt. Aber Sie, Herr Minister, haben sich bem?ht, dass diese kleinen Schritte wenigstens in die richtige Richtung gehen. Daf?r haben Sie unsere Anerkennung und unsere Unterst?tzung auch bei weiteren Versuchen dieser Art.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem B?NDNIS 90/DIE GR?NEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nat?rlich muss es politisch weitergehen, wenn erst einmal das Wichtigste, also das Schweigen der Waffen, erreicht ist. Was muss eigentlich noch passieren, bis alle verstehen, dass in Wirklichkeit der Konflikt zwischen Israel und den Pal?s?tinensern die Mutter aller Konflikte in der Gro?region des Broader Middle East, das n?rdliche Afrika mit ein?geschlossen, ist?
Eine nachhaltige L?sung - Herr Minister, Sie haben diesen Begriff auch gebraucht - dieses Konflikts ist un?verzichtbar, und zwar f?r alle Schaupl?tze von Iran ?ber Syrien bis Mali, f?r alle Regionen, in denen Extremisten und Dschihadisten Zulauf haben. Es kann nicht sein, dass ein Ausweg aus der jetzigen dramatischen Situation nur wieder in eine Sackgasse f?hrt, die in drei Jahren er?neut in einem Gewaltausbruch endet, wie das Ende 2008, Anfang 2009 der Fall war und jetzt in diesen Ta?gen der Fall ist.
Wer eine nachhaltige L?sung dieses Konflikts will, muss auch bereit sein, sich selbst zu bewegen. Ich per?s?nlich vertrete schon l?nger die Position, dass man am Ende doch mit den Vertretern der Hamas direkt verhan?deln muss. L?ngst ist klar: Im Gazastreifen muss sich die Hamas inzwischen weit radikalerer Dschihad-Gruppen erwehren. Wie kann es denn sein, dass die ganze Welt jetzt auf die Vermittlungsf?higkeiten des ?gyptischen Pr??sidenten Mohammed Mursi baut, wo doch jeder wei?,dass die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kommt, die Hamas als Familienmitglied betrachtet? Das hat f?r mich keine Logik. Zumindest muss man konstatieren, dass die Ausgrenzungsstrategie, die viel mit Selbstausgrenzung zu tun hat, in der Sache bisher keinen Schritt nach vorne gef?hrt hat.
Ich m?chte noch zu einem anderen tagesaktuellen Thema kommen, das Sie ebenfalls hier behandelt haben, Herr Minister, n?mlich zu der offenbar bevorstehenden t?rkischen Bitte um Unterst?tzung durch das Abwehr?system Patriot PAC-3, das in drei NATO-L?ndern in Ge?brauch ist, auch in Deutschland. Herr Au?enminister, ich halte auch dies f?r eine politische Frage, die in Ihr Ressort f?llt. Ich sage ?auch dies", da wir seit einiger Zeit beobachten, dass Ihr Ressort, bildlich gesprochen, einem Schrumpfungsprozess bei den Aufgaben ausge?setzt ist.
Eigentlich ist der Werdersche Markt auch f?r Europa zust?ndig, eigentlich auch f?r die deutsche Russland-Politik, die in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht hat. Sie nehmen aber einfach hin, dass f?r alle sichtbar hier das Bundeskanzleramt die Hauptrolle ?bernommen, um nicht zu sagen: usurpiert hat.
(Manuel Sarrazin [B?NDNIS 90/DIE GR?NEN]: Bei Europa inzwischen sogar die Aigner!)
Genauso haben Sie sich f?r alle sichtbar aus der politi?schen Federf?hrung f?r das deutsche Engagement in Afghanistan verabschiedet. Jetzt droht das Ganze offen?sichtlich auch bei den n?chsten beiden absehbaren deut?schen Auslandsmissionen, n?mlich beim Einsatz der Pa?triots an der t?rkisch-syrischen Grenze und bei der Mission im westafrikanischen Mali - nur dass hier das BMVg das Kommando ?bernommen hat. Alle diese Zu?st?ndigkeitsverlagerungen sind problematisch und fin?den nicht unsere Zustimmung.
Wir haben gro?en Respekt vor dem, was die T?rkei als Nachbar des syrischen Dramas leistet, vor allem mit der klaglosen Aufnahme von bisher mehr als 130 000 Fl?cht?lingen aus Syrien, zu denen t?glich Hunderte, manchmal sogar Tausende dazukommen. Angesichts der prek?ren Lage an der 900 Kilometer langen syrisch-t?rkischen Grenze haben wir auch gro?es Verst?ndnis f?r t?rkische Sorgen und stehen zu unseren B?ndnispflichten.
Aber es ist doch eine Selbstverst?ndlichkeit, dass je?der deutsche Einsatz in dieser gef?hrlichen Situation, die erhebliche Eskalationspotenziale aufweist, ein Mandat des Deutschen Bundestages braucht und dass bei dieser Entscheidung nat?rlich Text und Begr?ndung des er?warteten t?rkischen Antrags von uns sorgf?ltig gepr?ft werden m?ssen. Ich verstehe ?berhaupt nicht, Herr Mi?felder, Herr Stinner, warum Sie hier einem vorausei?lenden B?ndnisgehorsam das Wort reden.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das hat doch niemand getan!)
Es ist doch gerade der Sinn des Parlamentsvorbehalts in Deutschland, dass wir das sorgf?ltig pr?fen, bevor wir in einen Einsatz gehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des B?NDNISSES 90/DIE GR?NEN)
Dazu m?ssen uns aber die entsprechenden Texte vorlie?gen. Dass zum Beispiel nach dem Artikel von Herrn Senator McCain in den letzten Tagen und auch nach t?r?kischen ?u?erungen vor einiger Zeit einiges erkl?rt werden muss, ist klar.
Ich bin ganz sicher, dass wir, wenn wir zu dieser Selbstverst?ndlichkeit des gemeinsamen Pr?fens zur?ck?kehren, eine vern?nftige Entscheidung treffen k?nnen. Es ist eigentlich eine traurige Angelegenheit, dass wir die Bundesregierung erst wieder mit unseren M?glich?keiten zu dieser Selbstverst?ndlichkeit zur?ckgef?hrt ha?ben.
Vielen Dank f?r Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des B?NDNISSES 90/DIE GR?NEN)