Gernot Erler: Prävention statt Intervention - ein Lernprozess.
In: Kurt Beck, Hubertus Heil (Hg.), Sozialdemokratische Außenpolitik für das 21. Jahrhundert. Baden-Baden 2007, S. 111-117

Prävention statt Intervention - ein Lernprozess

Im Alltag kennen wir die Weisheit von der „Heilsamkeit des Schocks". Gemeint ist, dass manchmal ein dramatisches Schadenserlebnis, wie zum Beispiel eine schwere Krankheit, einen Lernprozess auslöst, der zu einer Änderung von Verhaltensweisen führen kann. Im Idealfall lässt sich auf diese Weise eine Wiederholung des Schockerlebnisses vermeiden. Auch in der Politik gibt es solche Lernprozesse, ausgelöst durch dramatische Ereignisse. Man kann etwa die europäische Nachkriegsgeschichte so lesen: Die beiden furchtbaren Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die ihren Ursprung in europäischen Rivalitäten und Feindseligkeiten hatten, fanden im Prozess der europäischen Integration eine späte, aber wirksame Antwort. Heute gilt eine kriegerische Auseinandersetzung innerhalb der Europäischen Union als schlicht nicht mehr vorstellbar.

Jüngeren Datums ist ein Schock, dessen ganzes Ausmaß im Verlaufe des Kosovo-Kriegs von 1999 sichtbar wurde. Die europäische Politik zeigte sich nach den epochalen Ereignissen zwischen 1989 und 1991, mit der Auflösung von Sowjetunion und Warschauer Pakt sowie mit der deutschen Wiedervereinigung, außerstande, vier blutige Kriege im Zuge der ebenfalls vonstatten gehenden Auflösung der Jugoslawischen Föderation zu verhindern. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts kehrte der Krieg nach Europa zurück und entblößte die Schwächen der EU, die bei der Befriedung des Balkans auf amerikanische Hilfe zurückgreifen musste.

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