Saddams langer Schatten

Erschienen in Heft 8/2002 der Zeitschrift INTERNATIONALE POLITIK

 

Saddams langer Schatten

Seit Monaten schaut die Welt wie gebannt in Richtung Bagdad. Im Vordergrund steht dabei die Frage: Kommt es zu einem Militärschlag gegen das Regime von Saddam Hussein oder lenkt die irakische Führung rechtzeitig ein und bekennt sich zu einer uneingeschränkten Zusammenarbeit mit der UN Monitoring and Verification Commission (UNMOVIC)? Dies würde eine Rückkehr der 1998 des Landes verwiesenen Waffeninspekteure einschließen. Anfang Juli scheiterten die im März wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen den Vereinten Nationen und dem Irak über eine Rückkehr der UN-Waffeninspekteure. Nahezu zeitgleich bekräftigte US-Präsident Bush sein Ziel, alle Mittel einzusetzen, um den irakischen Machthaber Saddam Hussein zu stürzen. Untermauert wurde diese Äußerung durch die Veröffentlichung konkreter Angriffspläne in der New York Times, die einen Einsatz von bis zu 250.000 Soldaten vorsehen. Offenbar ist man in Washington nicht mehr länger der Auffassung, dass vor einem Sturz Saddams eine Lösung des Israel/Palästina-Konflikts erreicht werden muss.
Obwohl der Irak durch die Tätigkeit von UNSCOM bis 1998 weitgehend abgerüstet werden konnte, gibt es zahlreiche Indizien dafür, dass das Regime an der Entwicklung und Produktion von B- und C-Waffen arbeitet und über Restkapazitäten in diesem Bereich verfügt. Offenbar konnte das seit über elf Jahren geltende Wirtschaftsembargo nicht verhindern, dass sich der Despot in Bagdad mit modernen Rüstungs- oder Dual-Use-Gütern eindeckte. Für die gesamte Region und darüber hinaus birgt die Aufrüstungspolitik Saddam Husseins daher ein immenses Sicherheitsrisiko. Der Druck auf das Regime in Bagdad und die Forderung nach Rückkehr der Inspektoren müssen daher aufrecht erhalten bleiben. Wirksamkeit entwickelt dieser Druck nur in Verbindung mit Sanktionsdrohungen.

Auf der anderen Seite sind schwer wiegende humanitäre Konsequenzen als Folge des Embargos, unter denen die Bevölkerung des Landes zu leiden hat, nicht von der Hand zu weisen. Die internationale Gemeinschaft sollte daher das Exportverbot für irakische Nicht-Öl-Produkte aufheben, während das Rüstungsembargo selbstverständlich in Kraft bleiben muss, um die strukturelle Angriffsunfähigkeit des Irak zu garantieren.

Zugleich sollten die vorsichtigen Versuche Bagdads, sich aus der selbst verschuldeten Isolierung zu befreien, ernsthaft geprüft und gegebenenfalls genutzt werden. Offenbar gibt es innerhalb der irakischen Führung ein gezieltes Interesse, auch den Dialog mit dem Westen wieder aufzunehmen. Seit der Ernennung von Außenminister Sabri im Sommer 2001 ist es dem Irak gelungen, verlorenes diplomatisches Terrain zurück zu gewinnen. Insbesondere die Versöhnung mit Saudi-Arabien während des Arabischen Gipfels in Beirut im März 2002 erregte internationale Aufmerksamkeit.

Für den Westen macht die zum Teil sehr widersprüchliche Politik Bagdads eine Entscheidung über den weiteren Umgang mit dem Regime nicht einfacher. Ein von außen angepeilter Regimewechsel dürfte nicht ohne den Einsatz umfangreicher militärischer Mittel zu erreichen sein, da eine schlagkräftige innerirakische Opposition, vergleichbar mit der Nordallianz in Afghanistan, nicht existiert.

Damit verbunden sind jedoch eine Reihe von Fragen: Bislang gibt es keine überzeugende völkerrechtliche Legitimation für einen solchen Angriff. Ein Präemptivschlag mit der Begründung, es handele sich beim Irak um eine Gefahr für die internationale Sicherheit und die Stabilität in der Region, dürfte dabei nicht ausreichen. Und auch der Nachweis einer Verstrickung Bagdads in die Ereignisse des 11. September 2001 ist bislang ausgeblieben und wird wohl auch nicht erbracht werden können.

Neben den noch ungeklärten praktischen Erwägungen, die unter anderem die Haltung der europäischen Partner und der arabischen Welt sowie die Frage nach möglichen Verbündeten im Land betreffen, birgt ein Militärschlag einige Risiken: Was geschieht nach einer Beseitigung Saddam Husseins? Hier fehlen bislang überzeugende Szenarien, die über den Tag X hinaus gehen. Zunächst einmal ist keineswegs sichergestellt, dass die staatliche Integrität des Iraks nach einem Sturz Saddams erhalten bleibt. Ein Zerfall des Landes entlang seiner ethnischen Trennungslinien scheint nicht abwegig. Dies wiederum hätte zwangsläufig Auswirkungen auf die regionale Stabilität und würde eine Verschiebung der Machtbalance im Nahen Osten nach sich ziehen. Aus den Trümmern eines implodierten Iraks würden zwangsläufig andere regionale Mächte wie Saudi-Arabien und der Iran gestärkt hervorgehen. Ob dies im Interesse des Westens liegt, darf bezweifelt werden.

Auch ist nicht ausgeschlossen, dass der Westen auf Jahre hinaus als eine Art Protektoratsverwalter im Irak engagiert bleiben müsste. Schon heute ist die internationale Gemeinschaft im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan, um nur zwei Beispiele zu nennen, bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit involviert. Ein weiteres Versorgungsprotektorat ginge zwangsläufig zu Lasten bereits bestehender Verpflichtungen. Die negativen Folgen würden vermutlich nicht lange auf sich warten lassen.

Die Führung in Bagdad weiß, dass die Zeit für taktische Spielchen abgelaufen ist. Es liegt an ihr, ob der Irak wieder schrittweise in die internationale Gemeinschaft integriert und eine "militärische Lösung" vermieden werden kann. Die Rückkehr der Inspektoren und die volle Kooperation mit UNMOVIC ist dabei eine unumstößliche Grundvoraussetzung.