Aktuelle Stunde Pakistan stabilisieren – Völkerrecht beachten

Deutscher Bundestag, 178. Sitzung, Mittwoch, den 24. September 2008: Aktuelle Stunde Pakistan stabilisieren - Völkerrecht beachten

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst den Angehörigen der Opfer des schrecklichen Anschlags auf das Marriott-Hotel in Islamabad mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken. Meine - ich glaube, unser aller - Gedanken sind bei den Familien, die einen tragischen Verlust erlitten haben, und bei den zahlreichen Verletzten.

Dieser Anschlag hat uns allen noch einmal deutlich gezeigt, wie schwierig die Lage in Pakistan ist und wie dringend die internationale Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Politik finden muss, durch die wir Pakistan stabilisieren und durch die wir Pakistan in die Lage versetzen, eine positive, stabilisierende Rolle in einer strategisch wichtigen Region zu spielen. Die Zeit drängt - das ist heute deutlicher als je zuvor -; denn Pakistan ist in der Tat ein wichtiger Partner für uns. Mehrere Kolleginnen und Kollegen haben das hier gesagt. Gerade bei der Stabilisierung Afghanistans geht nichts ohne eine verlässliche Zusammenarbeit mit Pakistan.

Die Bundesregierung hat immer für einen regionalen Ansatz bei der Stabilisierung Afghanistans geworben, Kollege Klose, Iran einschließend. Während unserer G-8-Präsidentschaft im letzten Jahr haben wir eine Initiative zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Pakistan und Afghanistan angestoßen. Wir sind mit der nächsten G-8-Präsidentschaft - das ist Italien - im Gespräch, eine Regionalkonferenz durchzuführen, die alle Nachbarn einbezieht. Ähnliche Vorschläge habe ich eben schon gehört.

Aber Pakistan ist nicht nur aus diesem Grund ein wichtiger Partner für uns. Pakistan ist eine Atommacht in einem komplizierten regionalen Umfeld. Pakistan ist das zweitgrößte muslimische Land der Erde. Pakistan liegt an der Grenze zwischen zwei strategisch entscheidenden Weltregionen: dem mittleren Osten und Südasien. Deswegen greift es in der Tat zu kurz, Pakistan ausschließlich durch das Prisma des Problems Afghanistan zu sehen. Da kann ich dem Kollegen Polenz nur recht geben. Pakistan ist eine wichtige Regionalmacht. Seine Handlungen und seine innere Verfasstheit haben Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Lage in der gesamten Region. Damit sind für uns auch so strategisch bedeutende Staaten wie die kommende Großmacht Indien und eben auch Afghanistan betroffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade vor diesem Hintergrund haben wir natürlich alle große Sorgen, wenn wir heute nach Pakistan schauen und sagen müssen: Die Sicherheitslage ist kritisch. In manchen Teilen des Landes drohen extremistische Kräfte die Kontrolle zu übernehmen. Dabei hat sich in der pakistanischen Innenpolitik - auch darauf ist hier schon hingewiesen worden - im letzten Jahr einiges bewegt. Manches davon lässt uns hoffen. Pakistan hat wieder eine vom Volk gewählte Regierung unter einem zivilen Präsidenten. Bei allen Problemen, die wir auch sehen: Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Präsident Zardari, der seine Frau Benazir Bhutto bei einem Anschlag verloren hat, hat dem Terrorismus den Kampf angesagt. Wir müssen ihn da beim Wort nehmen; denn die Verantwortung für die Sicherheit in Pakistan - in Islamabad, Karatschi und an der Grenze zu Afghanistan - trägt alleine die pakistanische Regierung. Sie kann dabei auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zählen, eine Unterstützung, die - das betone ich - nur in Abstimmung mit der pakistanischen Regierung Erfolg verspricht. Gegenüber unseren Partnern, auch gegenüber den Vereinigten Staaten, haben wir uns entschieden dafür ausgesprochen, dass nur eine kooperative Lösung langfristig Erfolg haben kann. Jede getroffene Maßnahme muss daraufhin überprüft werden, ob sie nicht das Gegenteil des Gewollten erreicht und von den radikalen, antiwestlichen Kräften als Argument missbraucht werden kann.

Leider ist Sicherheit nicht das einzige Problem. Pakistan befindet sich auch in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Hier ist eine international abgestimmte Anstrengung nötig, um Pakistan zu helfen, langfristig zu einem sicheren, stabilen Wachstumskurs zu gelangen, eine Anstrengung, die neben klassischer Entwicklungszusammenarbeit besonders ein Engagement der internationalen Finanzinstitutionen erfordert. Wir als Bundesregierung stehen bereit, uns an einer solchen internationalen Initiative zu beteiligen;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn am Ende gilt: Eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist die beste Waffe gegen Radikalisierung, Instabilität und Terror.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Bundesregierung war frühzeitig in Kontakt mit ihren Partnern in den USA und in Großbritannien, die jetzt eine internationale Freundesgruppe für Pakistan gründen wollen. Wir wollen uns in dieser Gruppe engagieren. In diesem Zusammenhang plädieren wir auch für eine stärkere Rolle der EU. Europa war bisher in Pakistan nicht ausreichend präsent. Dies stellt uns zunächst vor die Herausforderung, innerhalb der EU zu einer kohärenten Pakistan-Politik zu kommen, die der Rolle Pakistans als wichtiger Regionalmacht Rechnung trägt. Die Bundesregierung - ich möchte das wiederholen und bekräftigen - ist zu diesen Anstrengungen bereit. Wir hoffen dabei auf Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)